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“Kann sich angesichts des aktuellen Zustands in unserer Gesellschaft noch eine gemeinsam getragene solidarische Kraft der Veränderung entwickeln?”

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 111, Dez. 2021 Der gesamte Rundbrief Nr. 111 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 696 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Liebe Freundinnen und Freunde,

gerade ist die Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow zu Ende gegangen. Die Bewertungen gehen weit auseinander. Die Tagesschau sagt: "Das war nicht die schlechteste Klimakonferenz". Umweltministerin Svenja Schulze bezeichnet dieselbe Konferenz "historisch" und FDP-Chef Lindner gibt sich "vorsichtig optimistisch". Für die BILD-Zeitung handelt es sich gar um einen "Sensationserfolg". Luisa Neubauer von Fridays for Future äußert: "Diese Abschlusserklärung ist ein Betrug" und Greta Thunberg nennt das Ergebnis von Glasgow "Bla-Bla-Bla". Hans-Josef Fell, früherer Bundestagsabgeordneter der Grünen und heutiger Präsident von Energy Watch Group, zeigt sich tief enttäuscht: "Die Abschlusserklärung der COP 26 zeigt auf, wie es alle UN-Klimakonferenzen vorher auch schon taten: Die Regierungen der Welt führen die Menschheit nur weiter in eine sich weiter aufheizende Erdtemperatur, mit dem klaren und immer mehr sichtbaren Ende der menschlichen Zivilisation."

Fell verneint dann allerdings die Frage, ob wir uns als Weltgemeinschaft nun wegen des 26ten Versagens der Weltklimakonferenz ohne Hoffnung auf den Weg in das Ende der menschlichen Zivilisation machen müssten. "Wenn Regierungen versagen, können Menschen und Unternehmen selbst handeln", meint er. "Da die Erneuerbaren Energien als Kern des Klimaschutzes heute die billigste Art der Energieerzeugung sind, kann die Dynamik zu einer globalen Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien und anderen Klimaschutzmaßnahmen bis 2030 schnell Fahrt aufnehmen." Es liege an uns allen persönlich, unseren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, auf kommunaler Ebene zu drängen und uns in Klimaschutzvereinen und Genossenschaften zu organisieren. "Jede Person und jedes Unternehmen, welche komplett aus Erdöl, Erdgas und Kohle aussteigen, helfen mit, dass dieser Weg beschleunigt sich fortsetzt und so doch noch ein Klimaschutz kommen wird, auch wenn die 27te und 30te COP wieder ein Betrug werden."

Auch der Journalist und Buchautor Franz Alt zeigt sich vorsichtig optimistisch. "Eine Konferenz kann die größte Krise der Menschheit niemals lösen", sagt er. "Entscheidend ist, ob der rasche Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energie tatsächlich bald gelingt: Beim Strom bis 2030, bei Wärme und im Verkehr bis 2035. Das ist machbar. Es ist die Gnadenfrist, die uns die Klimawissenschaft noch gibt."

Fortwährendes Wirtschaftswachstum?

Hier stellt sich allerdings die Frage, ob diese Hoffnung nicht eine Illusion ist, weil sie auf ein wirtschaftliches und gesellschaftliches "Weiter so" setzt und das Wachstum der Wirtschaft mithilfe erneuerbarer Energien und stetiger Innovation fortsetzen möchte. Steht das Potenzial erneuerbarer Energien wirklich unerschöpflich zur Verfügung, oder ist es doch grundsätzlich beschränkt? Denn die Umwandlung von Sonnen-, Wind- oder Biomassenenergie erfordert eine industrielle Ausrüstung, die in Herstellung und Verwendung nicht erneuerbare Ressourcen verbraucht. Ist es nicht so, dass wir es neben der knapper werdenden Energie aus fossilen Quellen auch mit einer Verknappung von Rohstoffen zu tun haben, die für den Ausbau der technischen Voraussetzungen und der nötigen Infrastruktur für erneuerbare Energien erforderlich sind? Müssen wir also nicht ganz grundsätzlich den Kurs mit fortwährendem Wirtschaftswachstum in Frage stellen?

Darauf weist zum Beispiel der Soziologe und Publizist Harald Welzer hin. Er fordert in seinem neuesten Buch "Nachruf auf mich selbst" (bei S. Fischer) eine "neue Kultur des Aufhörens". Er liefert zu dieser - bezüglich der gesamten Menschheitsgeschichte - "relativ neuen", auf anhaltendes Wachstum setzende kapitalistische Wirtschaft und Kultur bemerkenswerte wie erschreckende Fakten: Die Masse der von Menschen produzierten Güter habe sich seit 1900 etwa alle 20 Jahre verdoppelt - mit entsprechendem Ressourcenverbrauch und der Erzeugung von Abfällen. Dies bedeutet eine gut 60-fache Steigerung! Diese Produkte hätten damals noch 3 Prozent der Biomasse, also der lebendigen Natur ausgemacht. Doch im vergangenen Jahr nun habe "die tote Masse - also Häuser, Asphalt, Maschinen, Autos, Plastik, Computer usw. - die Biomasse erstmals übertroffen".

Unser Kulturmodell blende "die Frage, wo die Ressourcen dazu herkommen, systematisch aus", so Welzer. Doch: "Irgendeinmal geht das einfach nicht mehr weiter." Denn: "Eine Kultur, die wie unsere ihre eigenen Voraussetzungen konsumiert, muss ein Irrtum sein." Ein Irrtum, der dazu führe, dass die Menschheit auf "ihrem" Planeten inzwischen jedes Jahr schon von August an von dessen endlichen Vorräten lebe - und mit ihrer Wachstumswirtschaft ihre eigenen Grundlagen immer schneller zerstöre und aufesse.

Überlebensproblem wegen ungebremstem Weltverbrauch

Die Klimaerwärmung sei nur eine der vielen fatalen Folgen dieser grundlegend falschen Wirtschaftsweise, sagt Welzer. Diejenigen, die sie verteidigen, seien "Standardökonomen, die wie Priester dem Gott Wachstum huldigen". Diese Menschen könnten nämlich mit der Tatsache der Endlichkeit nicht umgehen. Aber die Klimaveränderung sei ein Endlichkeitsproblem. "Wenn wir eine bestimmte ziemlich enge Spanne einer überlebenstauglichen Temperatur verlassen, dann kommt die menschliche Lebensform an ihr Ende", sagt Welzer. "Artensterben ist ein Endlichkeitsproblem: Wir haben jetzt schon rund 70 Prozent der Insektenarten verloren, aber wenn wir bei 100 Prozent ankommen, ist Schluss mit den Nahrungsketten, den Bestäubungen und so weiter." Solche bedrohlichen Endlichkeitsphänomene würden von den Wachstums-Verteidigern ausgeblendet oder gar geleugnet.

"Wir haben kein Konzept von Endlichkeit, wir lernen nicht aufzuhören, sondern wir optimieren", kritisiert Welzer. Das plakativste Beispiel für das Optimieren sei die Ersetzung von fossilen Automotoren durch Elektromotoren: Wir hätten offensichtlich ein Klima- und ein Verkehrsproblem, aber anstatt zu überlegen, welche Art der Fortbewegung wir eigentlich praktizieren wollten, machten wir mit denselben Autos weiter und optimieren nur den Antrieb. Doch der ungebremst zunehmende Weltverbrauch sei der wahre Grund, "dass wir im 21. Jahrhundert ein Überlebensproblem haben".

Welzer tippt zwar kurz die Systemfrage an, indem er nahelegt, dass ein Kapitalismus, der "so ist", überwunden werden müsste, um der Klimakatastrophe mit der erforderlichen Radikalität zu begegnen. Doch letztlich unterlässt er es, diesen Schluss selber ausdrücklich zu ziehen. Natürlich hat er recht, dass Veränderung an den bestehenden Verhältnissen ansetzen und nicht nur mit erklärten Zielen, sondern immer auch mit Handlungen beginnen muss. "Das geht nicht idealistisch per Bewusstseinsbildung, sondern nur durch eine sich verändernde Praxis selbst", so Welzer. Aber die visionäre Idee, die es braucht, um dem praktischen Handeln immer wieder die Richtung zu weisen, kommt bei Welzer dann doch deutlich zu kurz.

"Eine andere Welt ist möglich - aber welche, und wie erreichen wir sie?"

Seit Juni trifft sich monatlich eine Projektgruppe des Lebenshauses, um dieser Frage nachzugehen (s. hierzu Artikel von Julia Kramer im letzten Rundbrief). Dabei nehmen wir verschiedene Ansätze unter die Lupe und tauschen uns darüber aus, die eine notwendige Systemveränderung aufzeigen. Bisher haben wir uns mit "Green New Deal", "Ökosozialismus" und "Buen Vivir" beschäftigt. Weitere stehen bereits auf unserem Plan, als nächstes "Gemeinwohlökonomie". Absicht unseres Projekts ist es, außer unserer eigenen Weiterbildung dort hin zu kommen, dass wir einen systematischen Überblick der Ansätze dann auch veröffentlichen können. Vor allem wollen wir ja gerne Antworten darauf finden, was das Motto "Eine andere Welt ist möglich" konkret für unser Handeln als einzelne Personen, aber auch für unseren Verein heißen kann.

Bisher überzeugt mich persönlich der Ansatz des Theologen und Ökosozialisten Bruno Kern am meisten, den er ausführlich in seinem Buch: "Das Märchen vom grünen Wachstum" beschreibt (siehe hierzu Buchbesprechung in: Rundbrief 109, Juni 2021). Kern zeigt schonungslos auf, warum alle Versuche zum Scheitern verurteilt sind, die trotz Klimakatastrophe das gewohnte Wohlstandsmodell aufrechterhalten wollen. "Grünes Wachstum", das uns einreden wolle, es gäbe eine "Entkoppelung" von Wirtschaftswachstum und Ressourcen- bzw. Energieverbrauch, bezeichnet er als Märchen, dem er entschieden entgegentritt. Seiner Meinung nach ist die industrielle Abrüstung dringend geboten, um den Ressourcenverbrauch zu verringern. Deshalb stellt er nicht nur den Kapitalismus mit seinem eingeschriebenen Wachstumszwang infrage, sondern die Industriegesellschaft selbst! Schließlich stünden angesichts von immer knapper werdenden Ressourcen und der umfassenden Krise, in der das Klima und die gesamte Biosphäre aus dem Gleichgewicht gerate, die Industrieländer vor der Herausforderung, "ihren Verbrauch an fossilen Energien und nicht erneuerbarer Ressourcen in möglichst kurzer Zeit drastisch (das heißt um mindestens 90 Prozent) zu reduzieren."

Interessierte möchte ich auf Bruno Kerns Buch "Das Märchen vom grünen Wachstum" verweisen und auf die ebenfalls empfehlenswerte, von ihm verantwortete Internetseite der "Initiative Ökosozialismus" unter: http://oekosozialismus.net .

"Liebe ist Teil der menschlichen DNA" (Boff)

Natürlich stellt sich die Frage, durch wen oder was diese erforderlichen tiefgreifenden Veränderungen in Gang gesetzt werden sollen. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass es hierbei auf soziale Bewegungen, auf "die Zivilgesellschaft", entscheidend ankommt. In meinem Einleitungsartikel im letzten Rundbrief habe ich deshalb geschrieben: "Über den Weg von Parteien und Parlamenten werden wir in erster Linie dann entscheidende Schritte zur Lösung globaler Herausforderungen gehen können, wenn in der Zivilgesellschaft genügend Veränderungswillen sichtbar wird und entsprechender Druck auf Parteien und Regierungen ausgeht." Seit über 45 Jahren engagiere ich mich in zivilgesellschaftlichen Organisationen und sozialen Bewegungen. Dabei habe ich viele Höhen und Tiefen, Erfolge und Niederlagen erlebt. Und mein Optimismus blieb stets erhalten, dass sich daraus auch eine Kraft entfalten kann, die ganz grundlegende Transformationen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zustande bringen könnte. Dieser Optimismus ist bei mir mit Blick in unsere Gesellschaft seit Beginn der "Corona-Maßnahmen" allerdings erheblich erschüttert worden.

Zum einen, weil "Corona" und die tägliche Berichterstattung darüber, fast alles andere in den Hintergrund rückt - abgesehen vielleicht noch vom Umweltthema. Aber soziale Fragen, Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen, Umgang mit Geflüchteten, Preissteigerungen, überhöhte Mieten und Wohnungsnot, etc. sind allenfalls noch Randthemen. Zum anderen erleben wir eine neue Spaltung der Gesellschaft, verbunden mit einer Welle von Beschimpfung, Verachtung und Diskriminierung Andersdenkender, Ausgrenzung eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung, Feindseligkeit und auch Hass. Kann sich aus diesem Klima heraus noch eine gemeinsam getragene solidarische Kraft der Veränderung entwickeln? Angesichts dessen, was ich seit knapp zwei Jahren wahrnehme, bin ich in großer Sorge um unsere demokratische Gesellschaft. Und andererseits zeigt der Fall der Mauer, dass die Geschichte immer wieder Überraschungen bereit hält…

"Liebe ist Teil der menschlichen DNA" - so lautet die Überschrift eines Kommentars des brasilianischen Philosophen, Ökologen und Schriftstellers Leonardo Boff. Darin schreibt er, Forscher, die das Geheimnis des menschlichen Lebens erforschen, hätten herausgefunden, "dass Liebe, Zusammenarbeit, Solidarität und Mitgefühl in unsere DNA eingeschrieben sind, und zwar von Natur aus und nicht einfach durch ein persönliches oder soziales Projekt." Entsprechend gelte: "Diejenigen, die Hass leben und pflegen, sind Feinde ihrer selbst und des Lebens selbst." Deshalb würden sie nichts Wirksameres hervorbringen "als Unglück, Ausgrenzung, Verbrechen und Tod."

Ein Lichtblick in dieser finsteren Zeit ist für mich die große Solidarität, die wir mit dem Lebenshaus erfahren. Die große Unterstützung - das tut gut und macht Mut! Herzlichen Dank dafür!

Ich wünsche Ihnen und Euch eine friedvolle Weihnachtszeit, ein gesundes neues Jahr 2022 und guten Lebensmut!

Euer / Ihr
Michael Schmid

Lebenshaus Schwäbische Alb bittet um Spende zum Jahresende

Wir möchten unsere Arbeit 2022 so engagiert wie bisher fortsetzen können, auch wenn wir durch die "Corona-Maßnahmen" zusätzlich vor besondere Herausforderungen gestellt sind. Trotzdem blicken wir mit Zuversicht in ein aktives neues Jahr.

Für unser von Politik, Parteien und Wirtschaft unabhängiges Engagement sind wir auf Ihre und Eure Unterstützung und Solidarität angewiesen. Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und Veranstaltungen wie z.B. unsere jährlichen Tagungen im Herbst, die Unterstützung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die Personalkosten für eine 30-Prozent-Teilzeitstelle und zwei Minijobs sowie möglichst Abbau von Verbindlichkeiten für das Gebäude erfordern erhebliche Finanzmittel.

Wir freuen uns über jede Unterstützung, gerne mit einer Einzelspende oder gar einer regelmäßigen Spende oder einer Fördermitgliedschaft.

Mit einem Vermächtnis oder einer Erbeinsetzung kann gezielt eine gemeinnützige Organisation wie Lebenshaus Schwäbische Alb unterstützt werden. In diesem Fall entfällt die Erbschaftssteuer und das Erbe kommt in vollem Umfang der Arbeit für Gerechtigkeit, Frieden und Erhalt der Umwelt zugute.

Herzlich bedanken wollen wir uns bei allen, die unsere Arbeit unterstützen!

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Möglichkeiten der Unterstützung .

Solidarfonds "Grundeinkommen Friedensarbeit"

"Brief vom Herbst 2021"

Bei “Transparenz TV” aus Berlin: Das Lebenshaus Schwäbische Alb - Video aus der Sendereihe "Friedensfragen mit Clemens Ronnefeldt",

"Kriegsdienstverweigerer. Unsere Geschichten"

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Fußnoten

Veröffentlicht am

17. Dezember 2021

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