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“Willkommenskultur” oder Abschreckung, Abwehr, Abschottung und Abschiebung von Schutzsuchenden?

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 88, März 2016 Der gesamte Rundbrief Nr. 88 kann hier heruntergeladen werden:  PDF-Datei , 846 KB)

Liebe Freundinnen und Freunde,

die große Flüchtlingsbewegung nach Europa zeigt, dass sich die Probleme der Welt auch in Europa nicht mehr verbergen lassen. Insbesondere seit dem vergangenen Sommer sind die Folgen von Kriegen, Unterdrückung, Hunger und Elend direkter und sichtbarer in unser Leben gekommen. Allerdings sind es kaum zehn Prozent der Flüchtlinge, die ihre eigenen Landesgrenzen überschreiten, die es überhaupt in die reichen Industrieländer des Nordens schaffen und dort einen Asylantrag stellen können. Obwohl gerade diese Industrieländer - auch Deutschland - durch militärische und strukturelle Gewalt die Hauptverursacher des Flüchtlingselends sind, bekommen wir es bisher also nur mit einem relativ geringen Teil des Elends zu tun.

Bundeskanzlerin Merkel "hat ein Jahrzehnt lang so getan, als könne Deutschland als Exportnation von der neoliberalen Version der Globalisierung profitieren, ohne die negativen Folgen zu spüren. Das war ihre große Lüge", schreibt Stephan Hebel in der Frankfurter Rundschau. Dieser Lüge habe nicht zuletzt auch eine Flüchtlingspolitik gedient, die tausendfachen Tod im Mittelmeer in Kauf genommen habe, um das Problem nur ja aus dem begrenzten deutschen Gesichtsfeld zu verbannen. Aber irgendwann im Sommer 2015 müsse Angela Merkel gemerkt haben, dass sich diese Politik ohne Schäden für "ihr" Europa, und damit auch für Deutschland, nicht würde fortsetzen lassen. Zu groß sei der Druck durch den täglichen Tod im Mittelmeer und durch die Bilder aus den Lagern in Jordanien oder dem Libanon geworden. Vielleicht sei bei der Kanzlerin zusätzlich die Überzeugung gewachsen, dass die Abschottung auch moralisch nicht mehr lange zu rechtfertigen sei. Sicher sei sie - gestützt auf die Erfahrung deutscher Vormacht in der EU - irrtümlich davon ausgegangen, dass der Rest Europas die Wende mit vollziehen würde. "Und warum sollte die deutsche Bevölkerung, die doch immer so schön stillgehalten hatte, das nicht auch weiter tun?" So sei es zu Sätzen wie "Wir schaffen das" und "Das Asylrecht kennt keine Obergrenze" gekommen, gestützt sicher auch auf die Erwartung, bei den Trägern der "Willkommenskultur" zu punkten. Für die anderen habe es ja das gegeben, was Merkel selbst stolz die "härtesten Verschärfungen des Asylrechts seit 20 Jahren" nannte.

Abschreckung, Abwehr, Abschottung und Abschiebung von Schutzsuchenden

Inzwischen macht die Bundesregierung selber wieder in ihrem öffentlichen Auftreten klar, was für sie in der Asyl- und Flüchtlingspolitik vorrangig ist: Eine äußerst rigide Verschärfung des Asylrechts, verschärfte Abschieberegeln, neue "sichere Herkunftsländer", Reduzierung der Zuzüge, Zusammenarbeit mit Despoten wie Erdogan und aus afrikanischen Staaten, die als Flüchtlings-Häscher und -Internierer fungieren sollen. Die verschärfte Orientierung ist Abschreckung, Abwehr, Abschottung und Abschiebung. Zwar redet die Kanzlerin noch von offenen Grenzen, lässt aber ihren Innenminister alles dicht machen. Und nun wird auch noch die NATO erstmals in der Geschichte des Militärbündnisses auf Betreiben Deutschlands, der Türkei und Griechenlands zur Bekämpfung von Flüchtlingsbewegungen nach Europa eingesetzt.

Eine Folge dieser europäischen Flüchtlingsabwehrpolitik sind die vielen Toten an den europäischen Außengrenzen. Rund 30.000 Menschen starben in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten auf ihrem Weg nach Europa. Alleine im Januar haben wieder ca. 300 Menschen dabei ihr Leben verloren - die meisten bei Bootskatastrophen in der Ägäis. "Der Zynismus ist kaum zu übertreffen: Während die Todeszahlen täglich steigen, drängen die europäischen Staats- und Regierungschefs Griechenland und die Türkei zu verstärkter Abwehr", stellt die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL zu Recht fest. Ausführlicher nachzulesen ist die Stellungnahme von PRO ASYL in dem in diesem Rundbrief veröffentlichten Artikel: "Januar 2016: Täglich acht tote Flüchtlinge in der Ägäis" .

Warum gibt es eigentlich kaum nennenswerten organisierten Protest gegen die Asylrechtsverschärfung und die Grenzpolitik? Wir haben doch gerade seit dem vergangenen Sommer, wie noch nie zuvor in Deutschland, eine überwältigende Solidarität von Menschen erlebt, die sich für die Geflüchteten einsetzen. Warum lehnen sich die unzähligen Initiativen und Einzelnen, die sich ganz praktisch um Flüchtlinge kümmern, nicht gegen diese Verschärfungen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik auf? Lassen sie sich täuschen durch das öffentliche Lob und die Unterstützung des vielfältigen Engagements der Zivilgesellschaft? Möchten sie ihr Engagement eventuell bewusst als unpolitische Hilfe für Notleidende ansehen?

Fluchtursachen wirksam bekämpfen

Jedenfalls gerät, über all die Abwehr- und Abschottungsmaßnahmen und die Diskussion von Obergrenzen für die Aufnahme, ganz aus dem Blick, dass Schutzsuchende vor allem darauf angewiesen sind, dass ihnen andernorts das Menschenrecht auf halbwegs unversehrtes Leben zuerkannt wird. Denn Menschen fliehen ja nicht aus purer Lust und Laune aus ihrer Heimat. Sondern vor Krieg, Gewalt, Terrorherrschaft, Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit, Seuchen und Klimawandel. Wer also möchte, dass nicht so viele Menschen aus ihrer Heimat flüchten, muss alles tun, um Fluchtländer wieder zu Ländern zu machen, in denen Menschen leben können. Das bedeutet, Fluchtursachen zu bekämpfen. Diese Aufgabe ist natürlich unendlich schwer. Zumal es nichts weniger bedeutet, als ein Wirtschaftssystem zu überwinden, das zahlreichen Menschen die Lebensgrundlagen raubt und für die Massenflucht mitverantwortlich ist. Waffenexporte müssen verboten werden! Allerdings fehlt hierzu der politische Wille, entgegen der immer wieder in Politikerreden zu hörenden Floskel von der Bekämpfung der Fluchtursachen.

Was also tun? Kürzlich hat Theo Christiansen vom Grundrechtekomitee in einem Kommentar folgende Antwort auf diese Frage gegeben: "Auch wenn es illusorischer scheint als je zuvor: Es gibt keine gute Alternative als der Hinweis darauf, dass die aktuellen Fluchtbewegungen nach Europa nichts anderes sind als Abbild einer weltweiten Entwicklung von Zerstörung, an der Deutschland tatkräftig mitgewirkt hat. Und darüber hinaus? Da geht es darum, Nothilfe zu leisten, also sichere Fluchtwege nach Europa zu ermöglichen und Flüchtlinge aufzunehmen. Rüstungsexporte müssen gestoppt und die Unterstützung von kriegsführenden Parteien und Staaten - so z.B. auch der Türkei - eingestellt werden. Das wäre nicht viel und sogar leicht zu bewerkstelligen. Aber es wird vermutlich nicht geschehen, denn das würde bedeuten, dass Deutschland einen Paradigmenwechsel einleiten würde, an dessen Anfang dann tatsächlich eine Obergrenze für tote Flüchtlinge stünde."

Soweit es in unseren bescheidenen Kräften und Möglichkeiten liegt, werden wir uns weiter engagieren, dass zumindest das relativ Wenige, das Theo Christiansen anführt, eines Tages Wirklichkeit werden wird. Gemeinsam mit anderen Menschen und Initiativen, eingebunden in Bündnisse und soziale Bewegungen, die sich für diese Ziele einsetzen.

Zivile Konfliktbearbeitung

Einer, der sich seit fast 60 Jahren in sozialen Bewegungen für eine gerechte, friedvolle Welt engagiert hat, ist leider verstorben: Andreas Buro. Insbesondere die Überwindung von Krieg und Gewalt und der Einsatz für Zivile Konfliktbearbeitung waren für ihn ein Arbeitsschwerpunkt in den vergangenen Jahrzehnten. Diese Konzepte Ziviler Konfliktbearbeitung, wie sie Andreas entwickelt und propagiert hat, konsequent umgesetzt, würden sicher dazu beitragen, dass sich weniger Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat veranlasst sehen. Wir würdigen das herausragende Engagement von Andreas Buro ausführlich in diesem Rundbrief (siehe "Trauer um Andreas Buro" ).

Christine Schweitzer stellt in dem für unseren Rundbrief verfassten Artikel "Werben für Alternativen: Menschen vor Gewalt schützen - nicht bombardieren" ein konkretes Konzept Ziviler Konfliktbearbeitung vor, das "Zivile Peacekeeping". Darunter wird ein Ansatz verstanden, Menschen vor Gewalt in Konfliktsituationen zu schützen, indem eine längerfristige Präsenz unbewaffneter ausgebildeter Friedensfachkräfte vor Ort aufgebaut wird.

Wie realistisch ist es, dass solche zivilen Konzepte wirksam werden? Andreas Buro hat in seinem letzten Artikel, den wir in diesem Rundbrief vollständig abdrucken, folgenden Ausblick gegeben:

"In vielen Teilen der Welt bilden sich Widerstandsgruppen gegen Krieg und Gewalt, Ausbildungsstätten für Zivile Konfliktbearbeitung entstehen und Ausgebildete werden bereits in Konflikten erfolgreich eingesetzt. Das Bemühen ist oft schwierig …! Manche Kontrahenten, die nicht mehr siegen können, lassen sich auf Verhandlungen ein und lernen, wie erfolgreich Zivile Konfliktbearbeitung sein kann. Soziale Bewegungen auf anderen Arbeitsfeldern lernen von einander, dass zivile Konfliktbearbeitung auch für sie hilfreich ist. Erstaunlicherweise schleicht sich auch nicht selten bei Militärs Zweifel ein, ob ihr Tun noch sinnvoll sei. Viele sprechen von Friedenslogik, die die Kriegslogik in Frage stellt."

Herzliche Grüße
Euer / Ihr

Michael Schmid

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Fußnoten

Veröffentlicht am

26. März 2016

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