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Werben für Alternativen: Menschen vor Gewalt schützen - nicht bombardieren

Von Christine Schweitzer (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 88, März 2016 Der gesamte Rundbrief Nr. 88 kann hier heruntergeladen werden:  PDF-Datei , 846 KB)

In den 1990er Jahren wurde der Begriff der "humanitären Intervention" geprägt; in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends wurde auf der Ebene der Vereinten Nationen das Konzept der Schutzverantwortung eingeführt, das militärische Interventionen als letztes Mittel vorsieht. Aber ist es nicht absurd, Menschen zu schützen, indem man ihre Städte und Dörfer bombardiert, nur weil sich dort auch diejenigen aufhalten, die diese Verbrechen begehen? Und was ist mit all den Ländern und Konflikten, wo kein internationales Militär hin entsandt wird, weil sie als nicht wichtig genug (für die Politik oder Wirtschaft der Interventen) eingeschätzt werden? Müssen die Menschen dann schutzlos bleiben?

Eine Alternative in vielen solchen Fällen ist das Zivile Peacekeeping. Darunter wird ein Ansatz verstanden, Menschen vor Gewalt in Konfliktsituationen zu schützen, indem eine längerfristige Präsenz unbewaffneter ausgebildeter Friedensfachkräfte vor Ort aufgebaut wird.

Ziviles Peacekeeping verbindet Aktivitäten, die direkt der Gewaltprävention dienen, mit solchen, bei denen es darum geht, Konfliktparteien zusammenzubringen und die Fähigkeiten lokaler Gemeinschaften zu stärken, Gewalt-Eskalationen zu widerstehen. Es wird sowohl durch Nichtregierungs-Organisationen (NROs) als auch von Staaten-(bündnissen) und internationalen Organisationen eingesetzt. Seine Wurzeln gehen mindestens 80 Jahre zurück in die Zeit des indischen Unabhängigkeitskampfes, als Gandhi seinen Vorschlag einer "Friedensarmee" entwickelte. Seither ist es von vielen NROs weiterentwickelt worden, darunter Peace Brigades International (PBI) und Nonviolent Peaceforce (NP). Seit ca. zehn Jahren setzt Nonviolent Peaceforce das Zivile Peacekeeping erfolgreich in Bürgerkriegsgebieten, u.a. auf den Philippinen und im Südsudan, ein.

Von staatlicher Seite hat es ebenfalls mehrere Missionen gegeben, die mit unbewaffnetem Personal durchgeführt wurden und die Überwachung von Waffenstillständen zur Aufgabe hatten. Beispiele hierfür sind die Truce Monitoring Group in Bougainville am Ende der 1990er Jahre und die Kosovo Verification Mission der OSZE 1998-99.

Aufgabengebiete

Die Aufgabenbereiche des Zivilen Peacekeeping sind die Beobachtung von Waffenstillständen und anderen Übereinkommen, sowie von Wahlen oder Referenden. Darüber hinaus beteiligen sich die Zivilen PeacekeeperInnen aktiv am Aufbau und der Stärkung von lokalen Systemen der Frühwarnung und frühen Handelns. Besondere Schwerpunkte der Arbeit sind der Schutz von besonders bedrohten Gruppen und Gemeinschaften, wie z.B. Vertriebenen oder ethnische Minderheiten, politisch Verfolgten oder generell der Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten.

Ziviles Peacekeeping funktioniert dann, wenn es den PeacekeeperInnen gelingt, vertrauensvolle Beziehungen zu allen Konfliktparteien und zu den Menschen vor Ort aufzubauen. Vorbedingung dafür sind Überparteilichkeit und Unabhängigkeit von staatlichen oder anderen Partikularinteressen, seien diese ökonomischer, missionarischer oder politischer Art. Außerdem riskiert der potentielle Angreifer, dass die internationalen Zivilen Peacekeeper die Untat weltweit bekannt machen, was die Staaten wie aufständische Gruppen in aller Regel fürchten.

Eine allein auf zivilen Prinzipien beruhende Außenpolitik sollte sich dieses Instrument zu Nutzen machen, wenn es darum geht, Menschen in Krisengebieten vor militärischer Gewalt zu schützen.

Beispiele

Die beiden folgenden Beispiele stammen von Nonviolent Peaceforce, einer 2001 gegründeten internationalen NGO, die u.a. auf den Philippinen und im Südsudan tätig ist.

Schutzbegleitung im Südsudan

Mitte 2014 alarmierten Frauen, die in dem Benitu-Schutzgebiet (einer Art offenem Flüchtlingscamp) Südsudan lebten, das dort stationierte Team der Organisation Nonviolent Peaceforce. Sie berichteten, dass Frauen von Gruppen von Soldaten überfallen und vergewaltigt würden, wenn sie das Schutzgebiet verließen, um Feuerholz oder Wasser zu holen. Sie berichteten, dass die Soldaten diese Überfälle manchmal als Teil ihrer Arbeit bezeichneten. Oft nahmen ältere Frauen den Gang auf sich, um die jüngeren zu beschützen und die Wahrscheinlichkeit eines Überfalls zu verringern. Die Frauen mussten die Wahl treffen zwischen ihrer eigenen Sicherheit und der Erfüllung der Grundbedürfnisse ihrer Familien.

Nonviolent Peaceforce begann die Frauen zu begleiten, wenn sie das Camp verließen. Zwei oder mehr trainierte zivile BegleiterInnen wurden mit ihnen geschickt. Seitdem dieser Schutz geboten wurde, ist keine Frau attackiert worden, wenn sie begleitet wurde. Stattdessen sahen die Soldaten weg. Im letzten Jahr hat Nonviolent Peaceforce im Südsudan mehr als 1.000 Schutzbegleitungen für gefährdete Personen, hauptsächlich Frauen und Kinder, durchgeführt.

Überwachung eines Waffenstillstands

Auf den Philippinen war Nonviolent Peaceforce (NP) Teil des internationalen Monitoringteams, welches die Friedensprozesse und Waffenstillstandsabkommen zwischen der nationalen Regierung und der Moro Islamic Liberation Front (MILF) auf Mindanao überwacht. Der vierjährige Waffenstillstand führte zu einer Rahmen-Friedensvereinbarung zwischen der Regierung der Philippinen und der Moro Islamic Liberation Front (MILF), die im März 2014 unterschrieben wurde.

In einem Dorf näherten sich Streitkräfte der Philippinen (AFP) und der MILF, schwer bewaffnet und bereit zu kämpfen, bis auf 50 Meter. Die etwa 800 EinwohnerInnen des Dorfs gerieten in Panik und bereiteten sich auf eine Flucht vor.

Ein von NP in Frühwarnung und früher Reaktion trainierter Beobachter informierte den lokalen Partner von NP, die Kalimudan Foundation INC., die wiederum NP informierte. NP kontaktierte sofort die MILF und die für Koordinierung von Truppenbewegungen verantwortlichen staatliche Stellen, um unter Berufung auf die Waffenstillstandsvereinbarung Zusammenstöße zu verhindern. Außerdem kontaktierten sie die Sicherheitskomponente des Internationalen Beobachtungsteams, der NP angehört und die ein drittparteilicher Waffenstillstandsmechanismus unter Leitung von Malaysia ist.

Innerhalb einer Stunde taten die Waffenstillstandsmechanismen, wozu sie geschaffen worden waren: Sie verhinderten offene Feindseligkeiten, indem sie strukturierte Kommunikationslinien nutzten. Ein Zusammenstoß und damit der Verlust von Menschenleben wurden verhindert. ZivilistInnen mussten nicht fliehen.

Und auf der höheren Ebene? Zu dieser Zeit trafen sich MILF und RegierungsrepräsentantInnen in Malaysia zu Friedensgesprächen. Wäre es an diesem Tag zu Gewalt gekommen, wären die Gespräche wahrscheinlich unterbrochen worden. Und wäre die Gewaltspirale außer Kontrolle geraten, hätten im schlimmsten Fall die Gespräche scheitern können. Nicht lange nach dem Vorfall unterzeichneten die MILF und die Regierung eine Rahmenvereinbarung für Frieden - ein monumentaler Schritt zu einem gerechten und dauerhaften Frieden.

Forderungen an die deutsche Politik

Ziviles Peacekeeping ist ein Instrument, das im Aktionsplan Zivile Krisenprävention von 2004 keine Berücksichtigung findet. Die Bundesregierung sollte im Rahmen ihrer Aktivitäten für zivile Krisenprävention der Option des zivilen Peacekeepings Aufmerksamkeit schenken. In manchen Konflikten - vielleicht z.B. gegenwärtig in der Ukraine - könnte es eine Option sein, um die Sicherheit von Zivilbevölkerung zu erhöhen.

Zum zweiten sollte die Bundesregierung im Rahmen ihres Engagements in der OSZE, dem Europarat, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen sich für diese Option stark machen. Einige dieser internationalen Organisationen unterstützen bereits finanziell ziviles Peacekeeping durch NROs oder haben sogar eigene Missionen dieser Art entsandt.

Was für schnelle und flexible Einsätze des zivilen Peacekeeping durch NROs fehlt, sind oftmals eigene Budgetlinien bei internationalen und nationalen Geldgebern. Nur zu oft werden solche Einsätze durch die Etats der Entwicklungszusammenarbeit finanziert, die hierfür eigentlich nicht gedacht sind. Es geht darum, bei den eingestellten Haushaltsmitteln für friedenserhaltende Missionen eine Möglichkeit zu schaffen, auch die subsidiäre Arbeit von NROs im Bereich des zivilen Peacekeepings zu finanzieren.

Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin des Bund für Soziale Verteidigung (BSV). Der BSV setzt sich für das Zivile Peacekeeping ein; auf seiner Website sind etliche Publikationen zu dem Thema zu finden (s. www.soziale-verteidigung.de ).

Fußnoten

Veröffentlicht am

26. März 2016

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