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Irak: Im Chaos

Seit Saddam Husseins staatsterroristische Diktatur fiel, sammeln sich in Irak diejenigen Kräfte, die sich der Ausbreitung des Terrors verschrieben haben. Dabei verspürten die USA Saddam Hussein gegenüber keinerlei Berührungsangst solange er sich gegen Iran instrumentalisieren ließ. Kontaktscheu gegenüber nützlichen Diktatoren war niemals Kennzeichen ihrer Realpolitik. Die Chance, sich den Diktator nochmals für eine staatliche Stabilisierung der Region nützlich zu machen, haben die Sieger von 1991 verschmäht; danach bestand sie nicht mehr. Nach dem zweiten Sieg von 2003 zerlegte die Besatzung die irakische Nation in ethno-religiöse Bestandteile. Diese ist eine Ursache der Destabilisierung. Zwei Kommentare von Karl Grobe.

Irak: Im Chaos

Von Karl Grobe - Kommentar

Es ist ein Akt schierer Verzweiflung, am Tag des Freitagsgebets eine Ausgangssperre anzuordnen, damit die Gläubigen nicht in die Moscheen kommen können. Ein schlimmes Vorzeichen ist, dass diese Anordnung dort missachtet wird, wo bestimmte so genannte Milizen das Machtmonopol erobert haben. Die Bitte des Regierungschefs, Schiiten und Sunniten sollten gemeinsam für die Einheit der Gläubigen beten, ist ein frommer Wunsch. Die Ankündigung des US-Botschafters in Bagdad, Zalmay Khalilzad, keine “von Sektierern gesteuerten Kräfte” mehr zu unterstützen, hilft da nicht weiter. Andere Kräfte gibt es ja kaum mehr. Die gewollte Separierung der drei großen Blöcke - Schiiten, Sunniten, Kurden - hat zerstört, was einmal der Ansatz zur laizistischen Nation gewesen ist. Die Zivilgesellschaft hatte keine Chance. Khalilzad, der in damals anderer Funktion den alle umfassenden Widerstand gegen die saddamistische Diktatur zusammenzufassen versucht hat, kennt die Hintergründe.

Zu denen gehört die Hilfe, die das Pentagon einigen Exil-Intriganten zukommen ließ; dazu gehört der Generalverdacht gegen alle Sunniten, da Saddam Hussein sich auf einige sunnitische Stämme gestützt hatte; dazu gehört die Illusion, man könne auf altrömische Weise herrschen, indem man teilt. Und dazu gehört die Folge der Herrschaftslosigkeit: das Aufkommen der Fundamental-Terroristen. Systematischer sind selten Chaos und Anarchie 1 erzeugt worden.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 25.02.2006. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Irak: In Richtung Anarchie

Von Karl Grobe - Kommentar

Die Zerstörung der Goldenen Moschee in Samarra war nicht Vandalismus. Das war mehr; mehr auch als die Tat des seit der Antike verabscheuten Herostratos, der den Artemis-Tempel in Ephesus, eins der sieben Weltwunder, zerstörte. Die Täter - angeblich in Uniform - wollten nicht nur eine der heiligsten Stätten der Schiiten vernichten. Sie wollten so tief verletzen, dass der Bürgerkrieg aller gegen alle nicht mehr vermieden werden kann.

Ihre Namen, ihre (mit Verlaub) politische Haltung, ihre Hintermänner sind unbekannt. Sie mögen es bleiben. Der Teheraner Ferndiagnose (“Zionisten und Besatzer”), erstellt von den edlen Herren Ahmadinedschad und Khamenei, wäre keine Erwähnung wert, ließe sie nicht die wohl gewollte Wirkung erkennen: Schiiten sollen gegen Sunniten aufgehetzt, Chaos soll gestiftet werden, weit über den Tatort Samarra in Irak hinaus. Cui bono, wem nützt die Untat?

Wer die allseitige Zerstörung will, wer auf Anarchie versessen ist, mag Nutzen daraus ziehen. Für die - tatsächlich kämpfenden - Parteien von Kurdistan bis Bagdad trifft das nicht zu. Sie wollen Macht oder wenigstens Teilhabe daran, jedoch nicht die Zerstörung der Gesellschaft, über die Macht ausgeübt werden kann.

Die USA können gewalttätige Anarchie im Zweistromland nicht wollen. Diese würde sie dort auf unabsehbare Zeit fesseln und das materielle Kriegsziel, die Verfügung über Erdöl und eine feste militärische Position in der Golfregion, unerreichbar machen. Weder Iran noch - wie die Teheraner Agitationsredner unterstellen - Israel kann an einem Zustand sektiererisch dekorierter Dauergewalt interessiert sein: Beide würden rasch hineingezogen, Iran als Schutzmacht der Schiiten, Israel wenigstens indirekt durch eine weitere Radikalisierung der palästinensischen Fraktionen, die sich ohnehin durch die Jerusalemer Politik im Westjordanland ständig zu auch gewaltsamem Widerstand herausgefordert sehen.

Eskalation in Irak zieht unweigerlich Eskalation an allen anderen offenen und verdeckten Fronten des Nahost-Konflikts nach sich. Eine Konfliktlösung zum Frieden hin ist nur möglich, wenn alle seriös an ihr interessierten Parteien, Gruppen und Staaten daran teilnehmen. Nur über Deeskalation - die Bemühung, alle Konflikte herunterzufahren - ist der Weg zu diesem fernen Ziel zu finden. Der Weg des Ausgleichs aller Interessen bis zur Gewaltfreiheit und letztlich Kooperation ist steil genug und politisch vermint.

Die Untat von Samarra - wahrlich nicht die erste und gewiss nicht die letzte - häuft weitere Hindernisse auf. Beweggründe für diese Anstiftung zum Bürgerkrieg, sofern es nicht nur die aus kaum mehr messbarer Dummheit geborene Aktion einiger fanatisierter Täter war - können nur bei denen vermutet werden, die sich der Ausbreitung des Terrors verschrieben haben.

Die sammeln sich in Irak, seit Saddam Husseins staatsterroristische Diktatur fiel. Es mag hier angemerkt werden, dass die USA ihm gegenüber keinerlei Berührungsangst verspürt haben, solange er sich gegen Iran instrumentalisieren ließ, und dass Kontaktscheu gegenüber nützlichen Diktatoren niemals Kennzeichen ihrer Realpolitik war. Die Chance, sich den Diktator nochmals für eine staatliche Stabilisierung der Region nützlich zu machen, haben die Sieger von 1991 verschmäht; danach bestand sie nicht mehr. Nach dem zweiten Sieg von 2003 zerlegte die Besatzung die irakische Nation in ethno-religiöse Bestandteile. Diese ist eine Ursache der Destabilisierung. Auch das gehört zur Vorgeschichte von Samarra.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 24.02.2006. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Anmerkung d. Red.:

1 Karl Grobe verwendet den Begriff “Anarchie” hier und im nachfolgenden Artikel in seiner negativen, herrschaftlich geprägten Weise im Sinne von Chaos. Demgegenüber verstehen die weltweit engagierten AnarchistInnen unter “Anarchie” eine gewaltlose, herrschaftslose Gesellschaft.

Veröffentlicht am

25. Februar 2006

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