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Aktuelle Studie: Stalking auch in Deutschland ein erhebliches Problem

Zusammenfassung: Erste Ergebnisse einer aktuellen Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim zeigen, dass Stalking auch in Deutschland ein erhebliches und ernstzunehmendes Problem darstellt.

In der ersten auf einer Bevölkerungsstichprobe basierenden Untersuchung zum Thema Stalking in Deutschland wurden 2000 Männer und Frauen zur Häufigkeit und Ausprägung von Stalking befragt. 78 Personen (12 ) der Mannheimer Stichprobe waren mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Stalking, zum Untersuchungszeitpunkt waren 1,6 aktuell von Stalking betroffen. Bei 68% der Stalkingopfer dauerte die Verfolgung und Belästigung länger als einen Monat, bei 24,4 sogar länger als ein Jahr. Im Durchschnitt waren die Opfer etwa fünf verschiedenen Methoden der Verfolgung, Beeinträchtigung und Belästigung ausgesetzt. In 34,6 der Fälle wurden Drohungen ausgesprochen, denen in 30,4% auch tatsächliche Gewalthandlungen seitens des Stalkers folgten. In 75,6 % der Fälle kannte das Opfer seinen Verfolger. Die Stalkingopfer zeigen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine signifikant schlechtere psychische Befindlichkeit.

Was ist Stalking?

Der Begriff Stalking wurde in den 1990er Jahren in den USA für ein komplexes menschliches Verhaltensmuster geprägt. Wörtlich übersetzt bedeutet Stalking “auf die Pirsch gehen”, in der psychiatrischen Terminologie charakterisiert man damit ein Verhaltensmuster, bei dem ein Täter einen anderen Menschen ausspioniert, verfolgt, belästigt, bedroht, unter Umständen auch körperlich attackiert und in seltenen Fällen sogar tötet. Durch diese Verhaltensweisen fühlt sich das Opfer des Stalkers, das als Stalkee bezeichnet wird, in Angst versetzt. In den meisten angelsächsischen Ländern wurden mittlerweile auch Gesetze verabschiedet, die Stalking als einen eigenständigen Straftatbestand bezeichnen.

Wie häufig ist Stalking?

Die klinische und forensische Relevanz des Stalkingkonzeptes wird in Deutschland derzeit noch kontrovers diskutiert, wobei zunehmend vorgebracht wird, dass das erst kürzlich verabschiedete Gewaltschutzgesetz keinen hinreichenden Schutz für die Stalkingopfer bietet und nach dem Vorbild angelsächsischer Gesetze ein eigenständiger Straftatbestand für Stalking eingeführt werden sollte. Befürworter einer eigenständigen Antistalkinggesetzgebung gehen von der Annahme aus, dass Stalking in Deutschland ein ähnlich weitverbreitetes Problem darstellt, wie es sich in den wenigen auf repräsentativen Bevölkerungsstichproben basierenden Studien in England, Australien und den USA gezeigt hat. Diese Studien zeigten, dass 12% bis 32% der Frauen und 4% bis 17% der Männern im Laufe ihres Lebens Opfer von Stalking wurden. Dies deutet darauf hin, dass Stalking ein weit verbreite-tes Problem darstellt. Untersuchungen von Stalkingopfern zeigten darüber hinaus, dass diese häufig unter erheblichen medizinischen und psychischen Folgewirkungen des Stalking litten. Ein besonderes Problem stellen auch gewalttätige Verhaltensweisen im Kontext von Stalking dar, die mit einer Häufigkeit von 2,7 bis 55 berichtet werden.

Für Deutschland und auch die anderen europäischen Länder außerhalb des angelsächsischen Sprachraums gibt es bisher keine auf Bevölkerungsstichproben beruhenden epidemiologischen Studien zur Häufigkeit und Auswirkung von Stalking. Die vorliegende Studie von Harald Dreßing, Peter Gass und Christine Kühner vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim ist die erste auf einer Bevölkerungsstichprobe basierende Untersuchung zum Thema Stalking in Deutschland. Um einen verwertbaren Eindruck von der Häufigkeit von Stalking zu erhalten und die Thematik nicht unkritisch auszuweiten, wurde Stalking in der vorliegenden Studie nur dann angenommen, wenn es zu mindestens zwei unerwünschten Kontaktaufnahmen auf unterschiedliche Weise (also z.B. unerwünschter Telefonanruf und unerwünschtes Herumlungern vor der Wohnung) gekommen war, diese Verhaltensweisen mindestens über zwei Wochen anhielten und bei dem Betroffenen Angst auslösten.

Die Mannheimer Studie

Aus der Einwohnermeldekartei der Stadt Mannheim wurden 1000 Frauen und 1000 Männer im Alter von 18 bis 65 Jahren zufällig ausgewählt. Diesen Personen wurde zusammen mit einem Begleitbrief, in dem das Ziel der Studie erklärt wurde, ein umfangreicher Fragebogen zum Thema Stalking zugeschickt. Der Fragebogen enthält soziodemographische Daten sowie 51 Fragen zu Erlebnissen von Bedrohung, Verfolgung und Belästigung. Befragte, die zumindest Betroffene von einer Form der Bedrohung, Verfolgung oder Belästigung sind oder waren, wurden gebeten, zusätzliche Fragen zur Dauer, Art, und Häufigkeit dieser Erlebnisse, zur persönlichen Beziehung zu dem Verfolger, dessen vermutliche Motive sowie eigene Reaktionen auf diese Verhaltensweisen und mögliche medizinische oder psychologische Folgen daraus zu beantworten. Darüber hinaus füllten alle Befragten einen Fragebogen der WHO zur Einschätzung der psychischen Befindlichkeit aus.

Ergebnisse

Insgesamt antworteten 679 Personen, was einer Rücklaufquote von 34,2 entspricht. Die Ergebnisse dieser Studie stützen die Annahme, dass Stalking auch in Deutschland ein relevantes Problem darstellt. *78 Personen (12 ) erfüllten die in der Studie zu Grunde gelegten Stalkingkriterien*, d.h. sind einmal in ihrem Leben über eine Zeitspanne von mindestens zwei Wochen mit mindestens zwei unterschiedlichen Methoden verfolgt, belästigt oder bedroht worden und wurden dadurch in Angst versetzt. Zum Untersuchungszeitpunkt waren 1,6 % aktuell von Stalking betroffen. Ähnliche Häufigkeiten fanden sich auch in Studien, die in England und den USA durchgeführt wurden.

Wer wird wie gestalkt?

Unter den Stalkingopfern fand sich ein signifikantes Überwiegen von Frauen (87,2 )*, wohingegen 85,5 der Stalker Männer waren (p< 0,001). *Bei 68 der Stalkingopfer dauerte die Verfolgung und Belästigung länger als einen Monat, bei 24,4 sogar länger als ein Jahr.

Die Stalkingopfer gaben auch eine hohe Intensität der Verfolgung und Beeinträchtigung an. 35,1 berichteten über mehrmalige wöchentliche Kontakte, 9,1 über tägliche unerwünschte Kontaktaufnahmen und bei 15,6% war es sogar zu mehrmaligen täglichen unerwünschten Kontaktaufnahmen gekommen.

Von den Opfern wurden auch vielfältige Methoden der Verfolgung und Belästigung angegeben. Im Durchschnitt waren die Opfer etwa fünf verschiedenen Methoden der Verfolgung, Beeinträchtigung und Belästigung ausgesetzt. Am häufigsten waren unerwünschte Telefonanrufe (78,2 ), Herumtreiben in der Nähe (62,6), unerwünschte Briefe, E-Mails, SMS, Faxe (50%), Verfolgen (38,5 ), Kontaktaufnahme über Dritte (35,9 ), vor der Haustür stehen (33,3%), Auflauern (24,4 ) und Beschimpfungen/Verleumdungen (47,4 ).

Die Relevanz der hier erfassten Stalkingverhaltensweisen wird durch den Befund verdeutlicht, dass in 34,6% der Fälle explizite Drohungen ausgesprochen wurden, denen in 30,4 auch tatsächliche Gewalthandlungen seitens des Stalkers folgten. 24,4 der Betroffenen berichteten, dass sie von ihrem Stalker gegen ihren Willen mit körperlicher Gewalt festgehalten wurden, 11,5 wurden geschlagen, 9 mit Gegenständen attackiert, 42,3 sexuell belästigt und 19,2 sexuell genötigt.

In 75,6 % der Fälle kannte das Opfer seinen Verfolger. Die größte Gruppe der Verfolger rekrutierte sich aus ehemaligen Intimpartnern. Frauen wurden in der überwiegenden Zahl der Fälle von Männern verfolgt, wohingegen Männer - die zwar viel seltener von Stalking betroffen sind - etwa gleich häufig von Frauen oder Männern verfolgt werden.

Die Folgen des Stalking sind weitreichend

Bei direkter Befragung nach psychosozialen und medizinischen Folgen berichtete die Mehrzahl der Betroffenen über psychische und körperliche Symptome als Folge des Stalking. 56,8 gaben verstärkte Unruhe an, 43,6 Angstsymptome, 41 Schlafstörungen, 34,6 Magenbeschwerden und 28,2 Depression an. 17,9 wurden als Folge des Stalking sogar krankgeschrieben.

Die Bedeutung von Stalking wird durch den Befund unterstrichen, dass 73,1 der Befragten ihr alltägliches Verhalten als Reaktion auf das Stalking veränderten, 16.7 wechselten gar die Wohnung, 5,1 % den Arbeitsplatz.

Wo wird Hilfe gesucht?

Bemerkenswert ist, dass nur 20,5 der Betroffenen eine Anzeige bei der Polizei erstatteten und nur 11,5 einen Rechtsanwalt aufsuchten, obwohl seitens des Stalkers Verhaltensweisen zum Einsatz kamen, die eindeutig Straftatbestände darstellten. Dies bedeutet, dass das Vertrauen in Behörden und Justiz bei Stalkingopfern offensichtlich eher gering ist und von der Justiz auch wenig Unterstützung erwartet wird. Dagegen suchten immerhin 24,4 % der Betroffenen einen Arzt oder Therapeuten wegen gesundheitlicher Probleme auf, die auf das Stalking zurückgeführt wurden. Dies kann einerseits als eine Tendenz der Betroffenen interpretiert werden, sich als hilfloses Opfer zu sehen, das bereit ist, sich mit therapeutischer Hilfe irgendwie mit der Situation zu arrangieren, und aktive Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Stalker weniger in Betracht zieht. Gleichzeitig verdeutlicht die doch relativ häufige Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe den ausgeprägt negativen Einfluss von Stalking auf die Gesundheit der Betroffenen.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass Stalking auch in Deutschland ein erhebliches und ernstzunehmendes Problem darstellt. Die Stalkingopfer zeigen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine signifikant schlechtere psychische Befindlichkeit und suchen auch häufig Ärzte und Therapeuten auf, wohingegen juristische Schritte trotz eindeutig vorliegender Straftatbestände eher selten ergriffen werden. Da Ärzte und Therapeuten offensichtlich häufiger Ansprechpartner von Stalkingopfern sind, sind profunde Kenntnisse über die Stalkingproblematik zwingend notwendig. Interventionstechniken sollten immer aus einem umfassenden Ansatz bestehen, der kompetente Beratung und Information über den Umgang mit dem Stalker, Risikoeinschätzung bezüglich gewalttätigen Verhaltens, juristische Schritte und therapeutische Maßnahmen umfasst. Ein koordiniertes Vorgehen, das Polizei, Rechtsanwälte und Gerichte vor Ort mit einbezieht, ist für ein erfolgreiches Management Voraussetzung.

Quelle: Zentralinstitut für seelische Gesundheit vom 12.07.2004

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Veröffentlicht am

23. Juli 2004

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