“Sittlichkeit als Grundforderung des Judentums”Ein Auswahlband zu der ab 1920 von Rabbiner Simon Bernfeld vorgelegten Quellendarbietung: Gleichheit aller Menschen, Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Frieden, UniversalismusSchalom-Bibliothek.org – Kooperationspartner: Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. Simon Bernfeld (Bearb.): Sittlichkeit als Grundforderung des Judentums. Nach den Quellen: Gleichheit aller Menschen, Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Frieden, Universalismus. (= edition pace ǀ Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 12). Herausgegeben von Peter Bürger – in Kooperation mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. – Buchversion: Hamburg: BoD 2025. (ISBN 978-3-6951-7939-8; Paperback; 220 Seiten; 9,99 Euro).
"Denn es wird natürlich als große Schande angesehen werden, wenn […] das von Natur zahme Geschöpf […], dem geselliger Sinn angeboren ist, der Mensch, von unversöhnlicher Mordgier gegen seinesgleichen sein würde." (Philo Iudaeus, † um 40 n.Chr.) "[D]er Krieg ist der Satan der Weltgeschichte. Es ist ebenso Hohn auf die Idee Gottes, als des Vaters aller Menschen, wie es dem Begriffe des Menschen, als des Selbstzwecks und des Endzwecks, widerspricht, daß man denken dürfte, wie der alte Grieche: ‚der Krieg ist der Vater des Alls‘; daß man denken dürfte, in ihm spiele sich der wahre Sinn des Völkerlebens und des Menschenschicksals ab." (Hermann Cohen, 1842-1918) Schon das Menschenschlachthaus des Ersten Weltkrieges (1914-1918) hat mit seinen Leichenbergen und einer schier uferlosen Produktion von kriegstheologischen Blasphemien allen Wunschkonstruktionen einer "jüdisch-christlichen Kultur" des Abendlandes endgültig den Garaus bereitet. Ab 1920 erschien jedoch für den deutschen Sprachraum die einzigartige Sammlung "Die Lehren des Judentums nach den Quellen", eine Tröstung wider die gottlose Anbetung der Gewalt. Sie versammelte Perlen der Menschlichkeit aus der Bibel und den unerschöpflichen Zeugnissen von zwei Jahrtausenden der rabbinischen Religion, um "den ethischen und religiösen Gehalt des Judentums in der durch die Quellen verbürgten Wahrheit darzulegen". Ein nun vorgelegter Auswahlband für die Schalom-Bibliothek ist als digitale Erstauflage zur freien Verbreitung auch direkt beim Lebenshaus Schwäbische Alb abrufbar (PDF-Band: https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/media/pdf/Bernfeld-Judentum-2025.pdf ). Er enthält einige zentrale Kapitel dieses federführend von Rabbiner Dr. Simon Bernfeld (1860-1940) bearbeiteten Werkes: "Sittlichkeit als Grundforderung des Judentums" (hier: zugleich als neuer Buchtitel), "Gleichheit aller Menschen", "Gerechtigkeit", "Nächstenliebe", "Gleichheit aller (Ablehnung von Klassenunterschieden und Standesvorrechten)", "Menschlichkeit in der Kriegsführung", "Der ewige Friede", "Universalismus (Allmacht, Gott der gesamten Menschheit)", "Erwählung und Sonderaufgabe der jüdischen Gemeinschaft". Die Gliederung erfolgt jeweils nach acht Quellen-Kategorien: I. Bibel / II. Apokryphen (a. Palästinische, b. Griechische) / III. Jüdisch-hellenistische Literatur / IV. Gebete / V. Talmudisches Schrifttum / VI. Jüdisches Schrifttum aus dem Mittelalter und aus späteren Jahrhunderten (bis um 1750) / VII. Neuere jüdische Schriftsteller / VIII. Christliche Schriftsteller. Einleitende Texte zu den ausgewählten Abschnitten stammen von Rabbiner Dr. Leo Baeck (1873-1956), Rabbiner Dr. Simon Bernfeld, Rabbiner Dr. Samson Hochfeld (1871-1921), Oberbibliotheksrat Dr. Michael Holzman (1860-1930) und Rabbiner Dr. Salomo Samuel (1867-1942, ermordet in Theresienstadt). Die Quellen-Anthologie wurde vom Verband der deutschen Juden in einem Jahrzehnt vorgelegt, das nicht aus der Perspektive einer ‚jüdisch-christlichen Ökumene‘ unserer Tage betrachtet werden darf. Die Berücksichtigung der Schriften christlicher Autoren jeweils zum Abschluss der thematischen Kapitel zeugt vor allem auch von einem apologetischen Hintergrund der Unternehmung. Antisemitismus war in der Weimarer Republik – oder in Österreich – an der Tagesordnung. (Am Ende wurde die Macht unter breiter "Volkszustimmung" an jene übergeben, die ihren Hass durch die Ermordung der Juden Europas krönten.) Lange verblieb selbst der weltweit verehrte russische Friedensbote Leo N. Tolstoi (1828-1910) in dem Vorurteil, das Judentum sei ein noch immer von archaischen Gewaltszenarien der Frühzeit geprägter ‚nationalreligiöser Komplex‘. In diesem Fall waren Widerspruch, Austausch und weiteres ‚Studium‘ erfolgreich: der Dichter berücksichtigte in den ‚Lesewerken‘ seines letzten Lebensjahrzehnts keine andere Quelle so oft wie den Talmud. (Siehe: https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/015498.html ) Zwei Jahrtausende lang hat das rabbinische Judentum die Friedensbotschaft der Hebräischen Bibel und der Propheten Israels mit Blick auf die Eine Menschheit erschlossen: "Schwerter zu Pflugscharen!" Seit der Aufklärung sind Frauen und Männer aus jüdischen Familien – "Säkulare", Orthodoxe sowie Angehörige von Reformsynagogen – vor allem aufgrund der überlieferten Absage an die Gewaltgottheiten als herausragende Fürsprecher*innen des "Ewigen Friedens" (Kant) hervorgetreten. Ohne ihre Beiträge hätte es im späten 19. Jahrhundert – namentlich im deutschsprachigen Raum – auf Schritt und Tritt an Geburtshilfe für die organisierte Friedensbewegung, den Völkerrechtsgedanken und die Menschenrechts-Arbeit gefehlt. Auch ein bedeutsamer Strom des kulturell–religiösen Zionismus betrachtete das Friedenswirken als Kernauftrag des Judentums. Was auch immer an historischen, soziologischen, politischen, kulturellen … Hintergründen für das Wirken von ‚Pazifisten und Antimilitaristinnen in jüdischen Kontexten‘ angeführt werden muss, das religiöse Herkommen sollte nie ausgeblendet werden. Morallehren werden die Welt kaum retten, doch sie zeugen von einer Menschheit, die ob ihrer Bekümmerung und Sorge (noch) gerettet werden könnte … Die offene Verachtung aller ethischen Grundlagen, die in unseren Tagen auf zahllosen massenmedialen Kanälen zur Schau gestellt wird, ist Vorbote einer neuartigen Barbarei jenseits unseres Vorstellungsvermögens. Viele rabbinische Überlieferungen enthalten hingegen kräftige Nahrung für eine Anwaltschaft des Lebens – und sie mehren – trotz aller Abgründe der Spätgeschichte des homo sapiens – schon beim Lesen unsere Freude, ein Menschenantlitz zu tragen. Peter Bürger Einige Impuls-Sequenzen zu den Abteilungen des neuen Auswahlbandes:"Ferner geschah es einst, daß ein Heide vor Schammai trat und zu ihm sprach: Mache mich zum Proselyten [gajjereni], wofern du mich die ganze Thora lehrst, während ich auf einem Fuße steh. Der stieß ihn von sich mit dem Meßstab, den er in der Hand hatte. Da ging er zu [Rabbi] Hillel, und dieser machte ihn zum Proselyten [gijjero]. Er sagte nämlich: Was dir verhaßt ist, das tu keinem andern; das ist die ganze Thora, das andre ist Erklärung – geh hin und lerne. – Sabbat 31a." "Was die Lehre Israel befiehlt, hat nur den Zweck, unter Menschen gegenseitige Liebe und Frieden aufrechtzuerhalten." (Sefer ha-chassidim) "Himmel und Erde rufe ich zu Zeugen an, es sei Nichtjude oder Jude, Mann oder Weib, Knecht oder Magd, nach dem Wirken jedes Menschen ruht der heilige Geist auf ihm." (Jalkut § 42) "Wer einen Menschen tötet, zerstört gleichsam das Weltall, weil der Mensch dessen und der Gottheit Bild ist, das sich darin kund gibt." (Sabbetai Donnolo: Chakmoni) "Alles, was man einem Heiden nicht verkaufen darf [Mordwerkzeuge], darf man auch einem gewalttätigen Juden nicht verkaufen, denn man unterstützt dadurch einen Gesetzesübertreter und veranlaßt ihn zu straucheln." – Maimonides: Mischne thora hilchot Rozeach [über Mörder] XII, 14. "Wer seinen Mitmenschen das Mitleid versagt, der gleicht dem Götzendiener, der Gottes Herrschaft von sich ablehnt." (Sifre zu 5. Mose 15,9) "Barmherzigkeit ist das Mitgefühl, daß der Schmerz des einen Wesens von selbst im andern Wesen wiedertöne; und je edler, je höher hinauf zum Menschen, um so zarter besaitet sind die Wesen für diese Leidensechos, die wie eine Stimme vom Himmel die Wesen durchdringt und ihnen Bürgschaft ist für ihre Allverwandtschaft in dem All-Einen. Bis endlich im Menschen dessen Beruf Achtung und Liebe ist gegen das All der Gotteswelt, sein Herz so weich geschaffen ist, daß es mit der ganzen organischen Welt mitfühlet, selbst empfindungslosen Wesen Schmerzgefühl leihend, auch mit welkender Blume trauert – und ihn so, wenn Anderes nicht, schon seines Herzens Einrichtung lehren müßte, daß er vor allem berufen sei, sich Bruder aller Wesen zu fühlen, und alle Wesen Anspruch an seine Liebe, an seine Tat haben." – Samson Raphael Hirsch: Choreb c. 17 § 125. "Was die anderen Völker betrifft," dies sind die eigenen Worte des R[abbi]. Moses aus Ägypten [Maimonides] im zehnten Kapitel seines Jad hachsaka [Mischne Thora], "so ist von unsern Vorfahren befohlen, ihre Kranken zu besuchen, ihre Toten wie die unsrigen zu begraben, ihren Notleidenden beizustehen und sie zu unterhalten so wie die Armen aus Israel; denn Gott ist, wie es in dem Psalm 145,9 heißt, allen gut, und seine Barmherzigkeit erstreckt sich über alle seine Werke." – R. Manasse b. Israel: "Rettung der Juden", übersetzt von Marcus Herz in Mendelssohns Gesammelten Schriften III, S. 208. "Wenn dein Feind hungert, gib ihm Brot zu essen, und wenn ihn dürstet, reiche ihm Wasser zu trinken. Denn feurige Kohlen sammelst du auf sein Haupt, und der Ewige wird es dir vergelten." – Sprüche 25,21–22. "Habe ich mich je gefreut über das Unheil meines Feindes, und war ich darüber freudig erregt, daß ihn Unglück getroffen hat? Ich habe ja vielmehr meinen Mund von der Sünde zurückgehalten, sein Leben zu verwünschen." – Hiob 31,29–30. "Hillel lehrte: Sei von den Schülern Aarons – liebe den Frieden und jage dem Frieden nach." – Sprüche der Väter I, 12. "Es sprach der Heilige, gelobt sei er: die ganze Thora lehrt Frieden und wem übergebe ich sie? dem Volke, das den Frieden liebt." – Pesikta de Rab Kahana c. 12 (105 b). "Der Friede ist ein hohes Gut, und alle Gebete schließen mit der Bitte um Frieden, und auch der Priestersegen [4. B. Mos. 6,26] schließt mit der Verheißung des Friedens." – Sifre zu 4. B. Mos. 6, 26. "Ihr sollt es [das Land] verteilen zum Erbe für euch und für die Fremdlinge [Gerim], die unter euch weilen, die Kinder gezeugt unter euch, und sie seien bei euch wie die Eingeborenen der Kinder Israel; mit euch sollen sie das Erbe teilen unter den Stämmen Israels." – Ezechiel 47,22. "Die Fremden werden von Gott geliebt, und überall hat sie die Thora Israel gleichgestellt." – Mechilta zu 2. B. Mos. 21,8. "Rabbi Simon ben Lakisch lehrt: Wer das Recht des Fremden leugnet, hat gleichsam das Recht Gottes geleugnet." – Chagiga 5 a. "Siehe den Fremdling! Vertrauensvoll tritt er ein in dein Land, in deine Stadt, in deinen Kreis, vertrauensvoll, Menschen zu finden, die in ihm, dem Fremdling, den Menschen achten werden und ihm gönnen werden einen Fleck unter sich, wo er leben könne, und menschlich leben; hat keinen anderen Empfehlungsbrief als sein Menschenantlitz, keinen anderen, der ihn einführt bei dir, als Gott, der in ihm sein Kind dir zuführt und spricht: er ist dir gleich, möge er Gleiches leisten, gönne ihm gleiches Recht – er ist mein Kind, meine Erde seine Heimat, wie dich rief ich ihn zur heiteren Lösung seiner Menschenaufgabe, – verkümmere ihm nicht dieses Recht, störe ihm nicht seine Lebensfreude, mißbrauche seine Hilflosigkeit nicht; zeige, daß du in deinem Boden Gottes Erde fühlst, und in dem Menschen Gottes Kind. – Mög’ man in dir, dem Fremden, den Menschen verkennen; Jißroel! du sollst ihn in keinem Fremdling verkennen; du hast es in Mizrajim erfahren, daß Gott den Fremdling schützt." – Samson Raphael Hirsch: Choreb c. 51 § 379. "Warum schuf Gott nur einen Menschen? Damit sich niemand auf seine Abstammung berufe und zu seinen Mitmenschen spreche: Ich bin etwas Besseres als der andere." (Mischna Sanhedrin IV, 5) "Wenn man eine Stadt belagert, darf man sie nicht von allen vier Seiten umgeben, sondern eine Seite muß frei bleiben, damit alle, die sich retten wollen, dies tun können." (Maimonides: Mischne thora hilchot Melachim VI, 7) "Alle Gewalt ist dazu da, um früher oder später zusammenzubrechen. … Der Glaube an sie ist der Glaube an das Nichtige und ist so Götzendienst." (Rabbiner Leo Baeck) "Es wird niemals über den Verderben kommen, der Frieden stiftet zwischen Menschen … zwischen einer Stadt und der anderen, zwischen einem Volke und dem anderen." (Mechilta zu 2. Mose 20,22) "Die Priester der anderen Völker pflegen nur für ihre Angehörigen, Freunde und Mitbürger die Gebete und Opfer zu verrichten, der jüdische Hohepriester dagegen spricht seine Bitt- und Dankgebete […] für das ganze Menschengeschlecht" (Philo: De specialibus legibus I). "Der Ewige, der geistige, einzige Gott, ist nach der Lehre des Judentums der Schöpfer des Himmels und der Erde, der Herr der Natur und der Vater aller Menschen. Wer immer ein Menschenantlitz trägt, welches Stammes, welches Volkes, welches Standes er auch sein mag, ist in Gottes Ebenbild geschaffen, ist göttlichen Geistes teilhaftig und kann und soll in Gottes Wegen wandeln, den Wegen der Gerechtigkeit und Güte. Der Ewige ist also nicht, wie oft gesagt wird, ein Nationalgott, sondern der Vater der ganzen Menschheit." – Michael Holzman "Die Lehre von dem einen Gott, dem die ganze Welt eignet, schließt eine Verengung grundsätzlich aus, und die Pharisäer haben keineswegs den Schöpfer des Himmels und der Erde zum Nationalgott herabgesetzt. Sie haben konsequenter Weise gelehrt, daß alle Völker Gott angehören, überall wo es nur die Fußspuren von Menschen gibt, da ist auch Gott. Seine Hand ist hilfreich ausgestreckt für alle Menschen, er erhört das Hilfeflehen aller Weltbewohner." – Ismar Elbogen: Die Religionsanschauungen d. Pharisäer, S. 55/56. "Es sind die aus Ägypten Befreiten, die der Menschheit das verlorene Bewußtsein von dem einen Vater aller Menschen, und dem gleichen Rechte und der gleichen Ebenbildlichkeit und Gotteskindschaft aller Menschen wieder gebracht. Es sind die aus Ägypten Befreiten, aus deren Händen sie das Buch hingenommen, das das Recht und die Freiheit und die göttliche Würde jeder Menschenseele verbrieft und versiegelt." – Samson Raphael Hirsch: Gesammelte Schriften, Bd. IV, 95. "… Diese Erwählung hat dem jüdischen Volk nur Pflichten auferlegt, aber ihm keine bevorzugte Stellung gewährt" (Rabbiner Simon Bernfeld). * * * * * Bibliotheksportal ǀ Alle Publikationen des Regals "Pazifisten und Antimilitaristinnen aus jüdischen Familien" erscheinen zunächst als Digitale Erstausgaben und sind frei abrufbar auf dem Projektportal www.schalom-bibliothek.org – dort auch alle Informationen zu den bisherigen Buchangeboten. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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