Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Erich Mühsam über die Revolution

Ein Ergänzungsband der Schalom-Bibliothek dokumentiert jetzt auch die "Kampftexte" des anarchistischen Dichters – mit einer kritischen Einleitung

Schalom-Bibliothek – Kooperationspartner: Lebenshaus Schwäbische Alb

Erich Mühsam: Jedoch der Mut ist mein Genosse. Texte über Kampf und Revolution.
Zusammengestellt von Peter Bürger. Herausgegeben in Kooperation mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb. (= edition pace ǀ Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 10). Hamburg: BoD 2025. (ISBN: 978-3-8192-4868-9; Paperback, 312 Seiten; 13,99 €).

https://buchshop.bod.de/jedoch-der-mut-ist-mein-genosse-erich-muehsam-9783819248689

Umschlagmotiv (Künstler): Lacuna ǀ streetart Berlin

In dem von der Schalom-Bibliothek in Kooperation mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb edierten "Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien" liegt bereits seit Mai ein Band "Das Große Morden" vor – mit kraftvollen Voten gegen Militarismus und Krieg aus der Feder von Erich Mühsam (1878-1934, ermordet im KZ): "Die Bekämpfung des Staates in seinen wesentlichen Erscheinungsformen, Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Klassenherrschaft, Zweckjustiz und Unterdrückung in jeder Gestalt, war und ist der Impuls meines öffentlichen Wirkens" (Selbstzeugnis 1919).

Die anfängliche Nähe des anarchistischen Schriftstellers zu Tolstois Haltung in der "Gewaltfrage" wandelte sich im Zuge von Weltkriegsverlauf, Münchener Revolution und Tuchfühlung mit dem "Spartakusprogramm". Schließlich wünschte Mühsam, dass die Beherrschten ihre Waffen gegen jene richten, die ihnen das Kriegshandwerk aufgedrungen haben. Neue Lieder für den bewaffneten Widerstand entstanden: "Ein jedes Kampf System ist gut, / das nicht versagt vor den Gewehren!"

Damit ein vollständigeres Bild vermittelt werden kann, erschließt die zweite Mühsam-Sammlung ergänzend zur oben genannten Sammlung vor allem auch solche Texte über Kampf und Revolution, in denen sich die Entfernung vom Pazifismus niedergeschlagen hat: Politische Lyrik (Auswahl 1904-1928); Kampf-, Marsch- und Spottlieder (Druck 1925); "Von Eisner bis Leviné" (Rechenschaftsbericht über die Revolutionsereignisse in München, verfasst 1920); "Mein Gegner Kurt Eisner" (1929); "Lügen um Landauer" (1929).

Die kritische Einleitung des Herausgebers trägt die Überschrift: „Antimilitarismus und revolutionärer Militarismus?“ Hinzutritt eine Textdokumentation mit Beiträgen über Erich Mühsam und die Revolutionszeit 1918/19 (aus der Zeitschrift "Graswurzelrevolution" und weiteren Quellen). Hier werden auch Lebensabschnitte und Wirkungsfelder Mühsams beleuchtet, die nicht Gegenstand seiner im neuen Band dargebotenen Texte sind.

Die Redaktion der Schalom-Bibliothek ist keine ‚neutrale‘ bzw. ‚wertfreie Instanz‘. Sie votiert vielmehr streitbar für Ungehorsam gegenüber der Kriegsreligion und gewaltfreien Widerstand – für jenen Weg also, auf dem die Liebhaberinnen des Lebens kein Menschenblut vergießen. Doch kontroverse Positionen, die den jeweiligen Herausgebern nicht liegen, dürfen in Quelleneditionen nicht unter den Tisch fallen. Der Widerspruch begünstigt ja Diskurse auf hohem Niveau, die uns weiterführen.

Natürlich stehen auch historische Fragen an. Sie betreffen etwa Mühsams Beurteilung des ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (1867-1919), den er "Mein Gegner" nennt, oder seine Mitteilungen zur revolutionären Haltung des ermordeten Freundes Gustav Landauer (1870-1919), die im Buch nachzulesen sind. Doch der Gewaltdiskurs ist in erster Linie keine geschichtswissenschaftliche Herausforderung, sondern eine Gegenwartsfrage.

Die rebellische Jugend in der Zeit vor den ‚neoliberalen Jahrzehnten‘ rief aus: "Besetzt leerstehende Häuser, nicht andere Länder!" – und schritt im Zuge der Selbsthilfe auch zur Tat. Es folgte eine weithin fügsame Generation, die sich im Dienste der Geldvermehrungsmaschine selbst ‚optimierte‘. Die flankierenden Freiheitsparolen – und die zum Teil absurden ‚Freiheitsspielwiesen‘ – leisten aber nicht mehr lange ihre Dienste. Ein Umbau der ‚liberalen Demokratie‘ zum autoritären Kapitalismus ist längst im Schwange. Die Militarisierung des öffentlichen Lebens beschleunigt sich Tag für Tag (aber anders als noch im 19. Jahrhundert haben selbst ‚linksliberale Lager‘ kein Bewusstsein mehr davon, welche Attacken auf freiheitliche Ideale und Errungenschaften daraus zwangsläufig folgen). Ziviler Ungehorsam – ehedem als Lackmustest von Demokratie gewürdigt – wird in einem Ausmaß kriminalisiert, wie wir es ab den Zeiten eines Willy Brandt nicht erlebt haben. Ein Teil der staatlichen Ordnungskräfte übt sich gegenüber den Citoyens in unverschämten Tonarten, die von Analphabetismus in Sachen ‚Bürgerrechte‘ zeugen. Die z.T. äußerst brutalen Repressionen bei öffentlichen Protesten für Ökologie oder Menschenrechte lassen sich nicht mehr leugnen. Eine unmoralische ‚Staatsraison‘ wird gegen Ankläger des militärischen Massenmordens in Gaza geltend gemacht.

In welche Richtung wird sich nun eine politisierte Jugend bewegen, wenn ihre Ohnmachtserfahrungen auf Heilsversprechen einer Gegengewalt-Religion stoßen? Der Gewaltglaube verheißt dem Widerstand – wie schon immer in der Geschichte – ‚Auswege‘, obwohl er im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung das ultimative Instrument der Konterrevolution wider eine breite Revolte für das Leben bedeutet. Die Herrschenden – ausgestattet mit immer totalitärer ausgerichteten Kontroll- und Waffentechnologien – haben heute weniger denn je Angst vor einer zu tötender Gewalt bereiten Opposition. ‚Lasst es knallen!‘ Umso schneller kann der Umbau zum Polizeistaat vollzogen werden, da doch die Beherrschten das gewünschte Propagandamaterial selbst liefern. Umso wirkungsvoller auch lassen sich die nonkonformen Szenen ablenken von der Suche nach widerständigen Handlungsmöglichkeiten, die nicht auf irrationalen Konzepten beruhen, und nach Tröstungen, die wirklich stärken.

Angst haben die Sachwalter der Macht einzig und allein vor dem Weg einer aktiven – intelligenten – Gewaltfreiheit, welcher aus gutem Grund überall in Massenkultur oder öffentlichen Diskursen ausgeblendet bleibt (oder – wenn Totschweigen nicht mehr geht – in konzertierten Kampagnen diffamiert wird).

Bibliotheksportal ǀ Alle Publikationen des Regals "Pazifisten und Antimilitaristinnen aus jüdischen Familien" erscheinen zunächst als Digitale Erstausgaben und sind frei abrufbar auf dem Projektportal www.schalom-bibliothek.org – dort auch alle Informationen zu den bisherigen Buchangeboten.

Über den Schriftsteller ǀ Erich Kurt Mühsam (geboren am 6. April 1878 in Berlin; ermordet am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg): Anarchist, Dichter, Publizist und Antimilitarist. "Als Sohn eines jüdischen Apothekerehepaars in Berlin geboren, betätigte sich Erich Mühsam ab 1901 als freier Schriftsteller und Literat" (anarchismus.at). "Als politischer Aktivist war er 1919 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aus der er nach 5 Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam. In der Weimarer Republik setzte er sich vorübergehend in der Roten Hilfe für die Freilassung politischer Gefangener ein. Seine politische Heimat fand er seit Mitte der 1920er Jahre in der ‚Anarchistischen Vereinigung‘. - In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von Nationalsozialisten verhaftet, und am 10. Juli 1934 wurde er von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet" (wikipedia.org; 15.05.2025). Mühsam war befreundet u.a. mit Gustav Landauer (ermordet 1919), Heinrich Mann, Frank Wedekind und Lion Feuchtwanger. Er gab die Zeitschriften "Kain" (1911-1914, 1918/19) und "Fanal" (1926-1931) heraus. Seine streitbaren Texte wider Militarismus und Krieg finden sich in Lyrik-Bänden, den politischen Essays, Tagebuchaufzeichnungen, der Schrift "Abrechnung" (1916/17) und dem unvollendeten Roman "Ein Mann des Volkes" (1921-1923).

Veröffentlicht am

26. Juni 2025

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