Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Nicht mit der Welt der “Realisten” abfinden

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 117, Juni 2023 Der gesamte Rundbrief Nr. 117 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 669 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Liebe Freundinnen und Freunde,

angesichts des Kriegs in der Ukraine und weiteren Kriegen, vielfacher Gewalt in den unterschiedlichsten Bereichen und einem Krieg gegen den Planeten, ist es nicht leicht, am Traum festzuhalten, dass eine andere Welt möglich ist. "Das ist doch nur ein schöner Traum!" Wer hätte einen ähnlichen Ausspruch in solchen und anderen Zusammenhängen nicht schon gehört. Er wird von Menschen verwendet, die für sich in Anspruch nehmen, Realisten zu sein. Und die ziemlich genau wissen, was geht und was nicht, was richtig, was falsch ist.

Solche Realisten wissen zum Beispiel sehr genau, dass ohne Atomstrom die Lichter ausgehen werden. So stimmten viele dem damaligen baden-württembergische Ministerpräsidenten Hans Filbinger zu, als dieser 1975 beschwor: "Ohne das Kernkraftwerk Wyhl werden zum Ende des Jahrzehnts in Baden-Württemberg die ersten Lichter ausgehen." In den Jahren zuvor hatten die Proteste von Atomkraftgegnern am Oberrhein gegen die geplanten Atomkraftwerke in Fessenheim, Breisach und Wyhl begonnen. Der grenzüberschreitende Widerstand gegen das geplante AKW in Breisach war erfolgreich. Daraufhin wurde der Wyhler Wald als neuer Standort des AKW ausgesucht. Als dort am 18. Februar 1975 Baubeginn war, stellten sich Männer und Frauen mit ihren Kindern vor die Baumaschinen und brachten diese zum Stillstand. Nach einer ersten Räumung des Platzes besetzte die Bevölkerung mit ihren Bürgerinitiativen einige Tage später nach einer Großkundgebung das Gelände erneut. Nun wagte es die Landesregierung nicht mehr, den Platz erneut räumen zu lassen. Sie befürchtete einen regelrechten Volksaufstand. Die Besetzung wurde Monate lang aufrechterhalten. Unter anderem entstand auf dem Gelände die "Volkshochschule Wyhler Wald". Ebenfalls entstand aus der Bewegung gegen das AKW mit den Sasbacher Sonnentagen eine Ausstellung zu zukunftsfähigen Energien, die diesen damals verlachten, heute noch bekämpften erneuerbaren Energieträgern einen Aufschwung gaben. Schließlich scheiterten die Pläne, ein AKW Wyhl zu bauen, am massiven Widerstand der örtlichen Bevölkerung.

50 Jahre Engagement bis zum Atomausstieg

Vom Widerstand in Wyhl ging ein wichtiger Impuls aus, denn durch ihn war die Anti-AKW-Bewegung geboren. Diese wurde zu einer der erfolgreichsten sozialen Bewegungen in der jüngeren Geschichte Deutschlands. Nach einem fünf Jahrzehnte währenden Kampf hat sie nun ihr wichtigstes Ziel erreicht: Am 15. April wurden die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland stillgelegt.

Auf dem Weg für diesen Atomausstieg Deutschlands haben zwar auch die Atomunfälle von Harrisburg (1979), Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) eine Rolle gespielt. Doch maßgeblicher war das hartnäckige Engagement von Hunderttausenden in den vergangenen Jahrzehnten, die ihren großen oder kleinen Beitrag geleistet haben. Mit immer neuen Demonstrationen, Protestaktionen, Diskussionen und mit unvorstellbar langem Atem haben sie den guten Argumenten gegen Atomkraft Geltung verschafft. Ohne dieses Engagement hätte es nie einen politischen Beschluss zum Atomausstieg gegeben - und erst recht wäre dieser nicht umgesetzt worden.

Angesichts dieses einzigartigen historischen Erfolgs schweifen meine Gedanken zurück: Zum ersten Mal nahm ich vor über viereinhalb Jahrzehnten an Aktionen der Anti-AKW-Bewegung teil. Es kommen mir Erinnerungen an erste Demonstrationen in Stuttgart und Bonn in den 70er-Jahren in den Sinn und natürlich ebenfalls an zahlreiche spätere, sowie an meine erste Aktion des zivilen Ungehorsams, die Beteiligung an einem Stromzahlungsboykott (Strobo). Zudem habe ich zahlreiche inhaltliche Veranstaltungen zum Atomkraftthema organisiert, dazu Mahnwachen und anderes mehr. Nun ist der Traum von der Abschaltung aller Atomkraftwerke in Deutschland in Erfüllung gegangen, weil viele an ihm festhielten und sich für ihn engagiert haben. Trotz all der Drohungen der atomar-fossilen Seilschaften mit ihren perfekt organisierten und immer wirksamen Angstkampagnen. Nach 50 Jahren Auseinandersetzung haben wir gemeinsam gegen einst übermächtige Gegner gewonnen!

Das Aus für die letzten drei Reaktoren ist ein großer Schritt nach vorne, weil dadurch das Atom-Risiko drastisch reduziert und die Atommüllproduktion gestoppt wurde. Zudem ist das Abschalten der AKW ein wichtiger und unverzichtbarer Schritt beim Umbau der Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien. Schließlich zeigt das Abschalten der AKW ebenfalls, dass große Veränderungen bewirkt und selbst gegen sehr mächtige Interessen durchgesetzt werden können, wenn sich viele Menschen gemeinsam engagieren.

Allerdings bleiben beim Atom-Thema noch zahlreiche Probleme. Bisher ist noch kein Gramm Atommüll sicher entsorgt. Es müssen aber Berge von strahlendem Müll, von dem zahlreiche Gefahren für Mensch und Umwelt ausgehen, für unvorstellbar lange Zeit möglichst sicher gelagert werden. Zwei Generationen haben von der Stromversorgung profitiert, mindestens 40.000 Generationen werden mit dem Müll leben müssen! Zahlreiche Firmen der Atomindustrie in Deutschland machen weiter Atomgeschäfte und selbst eine Forschung für neue Reaktoren findet in Deutschland noch statt. Auf der EU-Ebene versucht die Atomlobby auf unterschiedliche Weise, Atomkraft grünzuwaschen und günstige Bedingungen für Atomkraft zu schaffen. Und dann sind in verschiedenen Nachbarländern Deutschlands noch Atomkraftwerke in Betrieb, viele mit gravierenden Sicherheitsmängeln. Teilweise ist sogar der Bau neuer Atomkraftwerke geplant. Es gibt also weiterhin noch viel zu tun.

"Krieg gegen den Planeten"

Noch weitaus größere Herausforderungen als der Kampf gegen die Atomkraft bestehen in der Überwindung von Aufrüstung und realen heißen Kriegen sowie dem Krieg gegen den Planeten, der in seine letzte Runde geht. Wenn ich der Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf folge, dann befinden wir uns gegenwärtig auf einem Pfad, bei dem die Menschen, die vor ein paar Jahren geboren sind, am Ende des Jahrhunderts, sollten sie dann noch leben, eine Situation vorfinden werden, in welcher der Planet so heiß sein wird, wie zuletzt vor 50 Millionen Jahren. Ein äußerst gefährlicher Pfad, eine ökologische, lebensvernichtende Katastrophe! Leider spricht nichts dafür, dass hierzulande eine Politik betrieben würde, die in naher Zukunft diesen fatalen Trend in eine lebensvernichtende Heißzeit stoppen würde.

Hauptursache ist das kapitalistische System mit seinem Zwang zum Wachstum. Seine ungeheuren Wachstumsprozesse haben einen doppelten Zerstörungsprozess hervorgerufen und beschleunigt: die Vernichtung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und gleichzeitig den Ausschluss immer größerer Teile der Menschheit von den ökonomischen und sozialen Lebensvoraussetzungen. Dies fordert weit mehr Menschenleben, als eine Pandemie wie Covid-19. Deshalb besteht die Herausforderung in der Mammutaufgabe, dieses kapitalistische Weltsystem zu überwinden. Dabei wird sich allerdings die Hoffnung auf einen "grünen Kapitalismus", also ein "Weiter so in grün", als große Illusion erweisen und keine Entschärfung der Krisen bewirken, weil er ja eng mit dem modernen Industriekapitalismus verbunden bleibt.

Letztlich sind "Eingriffe in die Eigentumsordnung unvermeidlich - sowie harte Konflikte mit den Profiteuren eines Systems, das keine Zukunft hat", stellt Birgit Mahnkopf fest. "Wenn die Klimakatastrophe noch abgewendet werden kann, dann wohl nur, wenn achtzig Prozent der fossilen Energie tatsächlich im Boden gelassen werden, wenn schädliche und auch viele unnütze Industriezweige radikal geschrumpft werden - und wenn die Finanzwirtschaft in ihre der Realwirtschaft dienende Funktion zurückgezwungen wird."

Von einem grundlegenden Wandel, von der Überwindung des kapitalistischen Systems werden in erster Linie die Bewohnerinnen und Bewohner reicher Industriegesellschaften betroffen sein. Es wird z.B. Auswirkungen auf unsere Mobilität haben müssen. Und wenn soziale Ungleichheit durch Umverteilung verringert werden soll, dann wird dies zwar die Superreichen treffen, aber ebenfalls die globalen Mittelschichten, also uns. Eine riesengroße Aufgabe. Doch wenn wir Teil der Lösung sein wollen, dann erfordert eine angemessene Bearbeitung der ökologischen Krise von sozialen Bewegungen und politischen Parteien, dass sie das "Unmögliche" versuchen, sagt Birgit Mahnkopf, "schlichtweg deswegen, weil das ‚Mögliche’ in die ökologische Katastrophe, in tödliche Konflikte und in ein Chaos führt. Daran gemessen dürfte uns die gegenwärtige Lage rückblickend geradezu wie ein Paradies auf Erden erscheinen." Und der Kapitalismus wird höchstwahrscheinlich nicht von alleine kollabieren, sondern nur dann, wenn eine große Zahl von Menschen sich eine andere Zukunft vorstellen kann, die nicht die Verlängerung der Gegenwart ist.

Bruno Kern schlägt in seinem Buch "Das Märchen vom grünen Wachstum" als politische Ausstiegsstrategie aus dem existierenden System eine inhaltlich konsequente und langfristig angelegte Konsumverweigerung vor. Er will dies nicht in erster Linie als Aufforderung an Einzelne verstanden wissen, sondern als "Ermutigung, Solidarstrukturen und Räume zu schaffen", in denen gemeinsam eine Lebensqualität jenseits des Konsumierens materieller Güter entdeckt werden kann.

Mit Lebenshaus dem Traum näher kommen

Es war der Traum, dass eine andere Welt möglich ist und durch gemeinsames Handeln im Kleinen etwas dazu beigetragen werden kann, der uns vor 30 Jahren den Verein "Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V." gründen ließ. Wir wollten uns nicht mit der Welt der "Realisten" abfinden, uns nicht mit dem begnügen, was ist, nur pragmatisch sein, uns auf das rational Machbare beschränken, auf das, was sich rechnet. Wir wollten uns leiten und ermutigen lassen durch eine Vision von einer Welt, in der wir tatsächlich Gerechtigkeit lernen können, in der wir tatsächlich Frieden schaffen können. Also Frieden, der nicht auf mehr Waffen beruht, sondern den anderen Frieden, der darauf beruht, dass wir mehr Gerechtigkeit aufbauen und deshalb Krieg nicht mehr brauchen. Und indem wir auch endlich den Krieg gegen den Planeten beenden und Frieden finden mit unserer Erde.

Natürlich sind Träume und Visionen nicht dazu da, um sich aus der Realität zu flüchten. Im Gegenteil. Und so haben wir uns vor 30 Jahren mit unserem Verein auf den Weg gemacht, um uns für die Verwirklichung unserer Träume zu engagieren. Es war für uns von Anfang an klar, dass wir z.B. gründlich rechnen mussten und bis heute müssen, um ein Gebäude zu kaufen, zu unterhalten und unsere vielfältigen Aktivitäten durchzuführen. Es war für uns selbstverständlich, dass wir mit unserem Friedensengagement, zumal in einer eher konservativ geprägten und damals hochmilitarisierten Region, auf große Widerstände stoßen würden. Uns war ebenfalls bewusst, dass das Zusammenleben mit fremden Menschen, die unsere Solidarität und Unterstützung benötigen, nicht immer einfach ist. Es gab Enttäuschungen, natürlich! Zum Beispiel, als sich bald nach der Vereinsgründung herausstellte, es würden doch verschiedene Menschen diesen Weg nicht mitgehen, die dies vorher in Aussicht gestellt hatten. Dass es interne Konflikte geben wird, das gehört selbstverständlich dazu. Dass dann ein paar Wenige jahrelang und mit großer Vehemenz einen Kampf führten, der auf das Ende des Vereins zielte, war eine ziemlich harte Erfahrung. Aber aus diesem Kampf sind wir letztlich gestärkt herausgekommen, auch durch die große Solidarität, die uns entgegengebracht wurde.

Letzten Endes konnten wir aber in den 30 Jahren bei unterschiedlichsten Gelegenheiten unglaublich viele tolle Menschen kennenlernen - aus unserem eigenen Land, aber ebenso aus vielen Ländern dieser Welt. Eine große Bereicherung! Wir durften und dürfen erleben, dass es eine große finanzielle Unterstützung unseres Engagements durch viele Menschen gibt - manchmal mutet das wie ein Wunder an. Menschen machen klar, dass sie Vermögen haben so verstehen möchten, damit etwas zu ermöglichen. Herzlichen Dank!

"Wenn einer alleine träumt, bleibt es ein Traum. Träumen wir aber alle gemeinsam, wird es Wirklichkeit", sagte einst der frühere Erzbischof von Olinda und Recife, Dom Helder Camara. In diesem Sinne: Lasst uns gemeinsam träumen!

Euer / Ihr

Michael Schmid

Lebenshaus Schwäbische Alb: Bitte um Unterstützung

Für unser von Politik, Parteien und Wirtschaft unabhängiges Engagement sind wir auf Ihre und Eure Unterstützung und Solidarität angewiesen. Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und Veranstaltungen wie z.B. unsere jährlichen Tagungen im Herbst, die Unterstützung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die Personalkosten für eine 30-Prozent-Teilzeitstelle und zwei Minijobs sowie möglichst Abbau von Verbindlichkeiten für das Gebäude erfordern erhebliche Finanzmittel.

Wir möchten auch nach 30 Jahren unsere Arbeit für Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie so engagiert wie bisher fortsetzen können bzw. weiter ausbauen. Damit uns das gelingt, bitten wir um Unterstützung unseres Engagements - gerne mit einer Einzelspende oder gar einer regelmäßigen Spende oder einer Fördermitgliedschaft.

Herzlich bedanken wollen wir uns bei allen, die unsere Arbeit unterstützen!

Mehr zu unseren Aktivitäten findet sich z.B.hier:

"Über uns"

Über uns: Lebenshaus Schwäbische Alb

Bei “Transparenz TV” aus Berlin: Das Lebenshaus Schwäbische Alb - Video aus der Sendereihe "Friedensfragen mit Clemens Ronnefeldt"

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Möglichkeiten der Unterstützung .

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Der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V. ist durch das Finanzamt Sigmaringen als gemeinnützig und mildtätig anerkannt (aktueller Bescheid vom 22.07.2021). Spenden und Mitgliedsbeiträge sind daher steuerabzugsfähig. Ab 25 € werden automatisch Spendenbescheinigungen zugestellt, für niedrigere Beträge auf Anforderung (bitte bei Erstspenden Anschrift wegen Spendenbescheinigung angeben).

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Wer Kontakt mit uns aufnehmen möchte, kann dies tun über Telefon (07574-2862), Fax (07574-91110), Brief (Bubenhofenstr. 3, 72501 Gammertingen) oder E-Mail (info@lebenshaus-alb.de).

Um Info-Materialien anzufordern bzw. für den Antrag auf Fördermitgliedschaft, für die Ausstellung einer Einzugsermächtigung und Weiteres kann die PDF-Datei Rückantwort-Formular ausgedruckt und ausgefüllt an uns zurückgesandt werden. Wer speziell den Solidarfonds "Grundeinkommen Friedensarbeit" fördern möchte, kann dieses Formular verwenden Antwortformular Solidarfonds (PDF-Datei)

Fußnoten

Veröffentlicht am

18. Juni 2023

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