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Cato Bontjes van Beek: “Leben will ich, leben, leben”

Die junge Frau, die gegen die Nazis kämpfte und ihr Leben ließ

Von Thomas Krischer - Rezension

Wer war Cato Bontjes van Beek? Sie ist aus derselben Generation wie Sophie Scholl und beide teilten ein ähnliches Schicksal. Cato wuchs in Fischerhude bei Bremen auf, wo sich Ende des 19. Jahrhunderts eine kleine Künstlerkolonie angesiedelt hatte. In der Nähe lag auch das vielleicht bekanntere Örtchen Worpswede. Die Mutter von Cato, Olga Bontjes van Beek, war Ausdruckstänzerin und Malerin und Tochter des bekannten Malers Heinrich Breling, der 1892 sein Atelier nach Fischerhude verlegt hatte.

Catos Vater, Jan Bontjes van Beek, war ein international anerkannter Hochschullehrer und Keramiker. Zusammen mit seiner Schwägerin Amelie Breling hatte er die Fischerhuder Kunstkeramik/FKK gegründet, bevor er sich von seiner Frau Olga trennte und 1933 nach Berlin zog, um dort eine eigene Werkstatt aufzubauen und eine neue Beziehung einzugehen.

Zwischen Cato, ihrer Schwester Mietje und ihrem Bruder Tim gab es eine starke emotionale Verbindung. Aus der neuen Beziehung ihres Vaters kamen weitere Halbgeschwister dazu.

Zur engeren Familie gehörten die Tante Louise Modersohn, genannt Lolo, und deren Sohn Ulrich. Um die Familie herum gab es einen erweiterten Freundeskreis mit bekannten Künstlernamen wie Vogler, Modersohn, Breling und Rilke. Gelegentlich kam auch ein Helmut Schmidt aus Hamburg zu Besuch. Die meisten hatten ein sehr distanziertes Verhältnis zum NS-Staat und seiner Ideologie.

Das beschreibt ein wenig den Kosmos, in dem Cato als junges Mädchen aufwuchs. Die Naturlandschaft von Fischerhude mit den Jahreszeiten war ihre Heimatsphäre, die immer wieder in den Briefen aufscheint. Gleichzeitig wuchs sie sehr weltoffen auf. Sie verbrachte als Jugendliche eine Zeit bei einer Tante in den Niederlanden. Im Alter von 16 Jahren reiste sie 1937 als Au-Pair für 8 Monate nach England. Sie lernte Englisch, verliebte sich und durfte das erste Mal mit einem Flugzeug fliegen. Aus diesem Erlebnis heraus entstand ihr Berufswunsch, Pilotin zu werden.

Nach der Rückkehr aus England im August 1937 entschied sie sich, nach Berlin zu ihrem Vater Jan umzuziehen, um sich dort zur Keramikerin ausbilden zu lassen. Der Aufenthalt in der Hauptstadt ermöglichte ihr zudem, in der Nähe Berlins aktiv das Segelfliegen zu erlernen. Dafür musste sie den Kompromiss eingehen, Mitglied des Nationalsozialistischen Fliegerkorps zu werden.

Nach Kriegsbeginn im Jahr 1939 hatte sie öfter Kontakt mit weiblichen Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa, versuchte mit ihnen zu kommunizieren und ihnen zu helfen. Früh ahnte sie, dass der von Nazideutschland begonnene Krieg noch schlimme Folgen haben könnte. Im Jahr 1941 erfolgte dann der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion. In diesem Jahr lernte Cato Libertas Schulze-Boysen kennen, Ehefrau des Publizisten Harro Schulze-Boysen. Beide waren Mitglieder einer aktiven Widerstandsgruppe gegen das Naziregime, die von der Geheimen Staatspolizei unter dem Fahndungsnamen "Rote Kapelle" verfolgt wurde.

Cato und ihr Freund Heinz Strelow schlossen sich dieser Gruppe an. Für die konspirative Tätigkeit bezog Cato vorübergehend eine eigene kleine Wohnung. Auf ihrer Schreibmaschine entstanden Flugblätter zur Aufklärung der Bevölkerung über die tatsächliche Kriegslage. In der Keramikwerkstatt ihres Vaters erlebte sie währenddessen die immer stärker zunehmenden Luftangriffe der Alliierten auf die deutsche Hauptstadt. Am 27.11.1941, ihrem 21. Geburtstag schrieb sie an ihre Mutter: "Ich höre jetzt so furchtbare Dinge über das, was draußen in der Welt geschieht - nicht nur draußen weit fort, dass die Lust am Weiterleben mir manchmal vergeht. Ich bin dann immer so entsetzt, man kann es kaum glauben, dass solche Sachen einmal als Gedanken in menschlichen Hirnen entstanden und dann sogar in die Tat umgesetzt wurden." (S.100ff)

In der Widerstandsgruppe unter der Führung von Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack gab es durchaus unterschiedliche Meinungen über die richtige Vorgehensweise. Cato und ihr Freund Heinz Strelow hatten sich deswegen von der Gruppe etwas distanziert. Dann wurde die Widerstandsgruppe aber enttarnt, weil im Sommer 1942, gegen die Regeln der Konspiration, in Funksprüchen des sowjetischen Geheimdienstes aus Moskau an die "Rote Kapelle" in Brüssel Klarnamen von Mitgliedern der Berliner Gruppe erschienen.

Es folgte eine Verhaftungswelle der Gestapo. Am 20. September 1942 wurden auch Cato und ihr Vater Jan in der Wohnung verhaftet. Während der Vater nach erkennungsdienstlicher Behandlung in der Gestapozentrale am 22. September wieder freigelassen wurde, blieb Cato im Polizeigefängnis am Alexanderplatz in Haft. Erst sieben Wochen später durfte sie den ersten Brief an ihre Mutter schreiben.

Die brutalen Verhörmethoden der Gestapo ließen immer mehr Mitglieder der Gruppe auffliegen. Bereits am 22. Dezember 1942 wurden die ersten Todesurteile gegen die Köpfe der Gruppe, Harro Schulze-Boysen, Arvid Harnack und weitere Anhänger, durch den Scharfrichter in Berlin Plötzensee vollstreckt.

Am 15. Januar 1943 begann die Gerichtsverhandlung vor dem Reichskriegsgericht gegen Cato, Heinz Strelow und weitere Mitglieder. Diese konnten sich dabei das erste Mal wiedersehen. Ankläger war Oberstkriegsgerichtsrat Manfred Roeder. Heinz Strelow wurde am 18. Januar "wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Kriegsverrat" zum Tode verurteilt. Das Urteil gegen Cato, die gehofft hatte, nur eine mehrjährige Zuchthausstrafe zu bekommen, lautete "Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Feindbegünstigung" und bedeutete ebenfalls die Todesstrafe.

Die Strafe gegen Heinz Strelow wurde am 13. Mai 1943 vollzogen. Cato wurde noch mehrfach in andere Gefängnisse verlegt, in denen sie insgesamt fast 10 Monate verbrachte, bis sie trotz einer großen Anzahl von Gnadengesuchen am 5. August 1943 in Berlin Plötzensee hingerichtet wurde.

Doch noch immer war es der Grausamkeit nicht genug: Obwohl der Anwalt an das Reichskriegsgericht die Bitte gerichtet hatte, im Todesfalle den Leichnam bestatten zu lassen, wurde dem nicht stattgegeben. Der Leichnam von Cato wurde dem Anatomisch-Biologischen Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin zu medizinischen Forschungszwecken übergeben und dort schließlich von Prof. Dr. Hermann Stieve "zu Gewebeschnitten verarbeitet". Nach Ende des zweiten Weltkriegs versuchte Olga Bontjes van Beek, die Mutter Catos, in einem jahrelangen Kampf die Rehabilitierung ihrer Tochter zu erreichen.

In dem von Hermann Vinke herausgegebenen Buch "’Leben will ich, leben, leben’. Die junge Frau, die gegen die Nazis kämpfte und ihr Leben ließ" wird der ganze Werdegang Catos in Originalbriefen nachvollziehbar. Durch die einfühlsame Auswahl der Dokumente lässt der Herausgeber ein lebendiges Bild von Cato entstehen. Er zeigt sie als junge Frau, die leidenschaftliche Fliegerin war, begeistert von anderen Kulturen, Sprachen und Literatur, deren Kommunikationsfreudigkeit von vielen, auch von Mitgefangenen, geschätzt wurde und die vor allem die Menschen und das Leben liebte. All das und vor allem ihr konsequentes Handeln macht sie auch zu einem möglichen Vorbild für junge Menschen in der heutigen Zeit, in der oft Beliebigkeit vor Charakterstärke zu dominieren scheint. Deswegen ist dieses Buch lesenswert und spannend.

Der Herausgeber Hermann Vinke und Motiv des Buches

Das Buch erschien am 14. November 2020, dem 100. Geburtstag von Cato Bontjes van Beek. Es soll deren Schicksal als Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime und ihre Vorbildfunktion für Mut und Entschlossenheit bekannter machen. Frühere Publikationen des Herausgebers waren Sophie Scholl und deren Freund Fritz Hartnagel (1980 und 2005) gewidmet. Auch über Cato Bontjes van Beek hat er bereits zwei Bücher (2003 und 2013) veröffentlicht. Für den nun vorliegenden Band diente ihm als Quelle das Archiv, welches Catos Bruder Tim als Erinnerung an seine Schwester anzulegen begann und das heute von dessen Tochter betreut wird. Daraus stammen viele der beeindruckenden Fotos und der ergänzenden Informationen aus dem Familien- und Freundeskreis.

Das Buch ist im Elisabeth Sandmann Verlag GmbH in München erschienen, gedruckt auf dickem und griffigem Papier. Es besteht überwiegend aus Originaltexten von Cato, darunter Briefe und Kassiber aus ihrem mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt, die im Druck leicht dunkel hinterlegt und so klar erkennbar sind. Hermann Vinke hat sie als Herausgeber sorgfältig editiert und - wenn notwendig - mit Fußnoten versehen, um dem Leser Namen und Sachverhalte kurz und prägnant zu erläutern. Die Briefe sind chronologisch geordnet. Ein Personenregister erleichtert das Lesen.

Eine öffentliche Lesung des Buches von Hermann Vinke konnte wegen der Einschränkungen von Corona nur digital stattfinden. Das Frauenmuseum in Wiesbaden hat die Veranstaltung vom 4. Februar 2021 aufgezeichnet und über YouTube ins Netz gestellt:

Cato Bontjes van Beek, Hermann Vinke (Hg.): "Leben will ich, leben, leben". Die junge Frau, die gegen die Nazis kämpfte und ihr Leben ließ. Elisabeth Sandmann Verlag, München. 240 Seiten. 24,00 €. ISBN: 978-3-945543-80-1.

Veröffentlicht am

09. März 2021

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