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Statt irrsinniger Aufrüstung zivile Konzepte als Alternativen zum Militär weiterentwickeln

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 107, Dezember 2020 Der gesamte Rundbrief Nr. 107 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 575 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren )

Liebe Freundinnen und Freunde,

kaum stand der Wahlsieg von Joe Biden fest, schon bot Kanzlerin Angela Merkel den USA ein stärkeres deutsches Engagement in Sicherheitsfragen an. Wir Deutschen und wir Europäer müssten mehr Verantwortung übernehmen, auch in Afrika und Osteuropa. Denn die "USA erwarten - zu Recht - mehr Anstrengungen von Deutschland", so die Kanzlerin. Gemeint sind in erster Linie mehr Ausgaben fürs Militär und noch mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Allerdings hängt die beabsichtigte weitere Aufrüstung nicht unmittelbar mit der US-Wahl zusammen. Bereits zuvor hat die fürs Militär zuständige Ministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) der Nato und den USA versprochen, dass die deutschen Verteidigungsausgaben steigen werden. Bundeskanzlerin Merkel hat diese Zusage bekräftigt. Im Hintergrund steht das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für militärische Zwecke auszugeben. "Die Zwei-Prozent-Zahl ist ziemlich irrational", urteilt Heribert Prantl, "rational ist aber die Rechnung, die sich dem anschließt: Deutschland müsste 70 bis 80 Milliarden Euro für Aufrüstung ausgeben, horrend mehr als die aktuellen 50 Milliarden."

Dabei ist es absurd, wenn immer wieder der Anschein erweckt wird, als sei die Bundeswehr in den letzten zwanzig Jahren regelrecht kaputtgespart worden. Das Gegenteil ist richtig. So betrug der Militärhaushalt im Jahr 2000 noch 24,3 Mrd. Euro, wurde dann auf 43,2 Mrd. Euro im Jahr 2019 gesteigert. Für 2020 waren bereits 45,1 Mrd. Euro im Haushalt eingestellt. Weitere Militärausgaben sind in anderen Haushaltstiteln untergebracht.

Irrsinnige weltweite Militärausgaben

Die weltweiten Militärausgaben beliefen sich 2019 auf den Rekordwert von unfassbaren 1.917 Mrd. US-Dollar. Und wie eine Spirale ohne Ende wird dieser verbrecherische Rüstungswettlauf nach oben gedreht. Als ob die Menschheit keine anderen Probleme hätte, als Geld mit Ausgaben fürs Militär und in Kriegen zu verpulvern! Von diesen Militärausgaben entfielen mehr als die Hälfte, nämlich 1.040 Mrd. Dollar auf die NATO-Staaten. Und weil eine angebliche aggressive russische Bedrohung zur Rechtfertigung der eigenen Rüstungsoffensive dient: Alleine Deutschland hatte mit über 50 Mrd. Dollar nicht so sehr viel weniger Militärausgaben wie Russland mit rund 65 Mrd. Dollar. Welch ein Missverhältnis: NATO = 1.040 Mrd. Dollar, Russland = 65 Mrd. Dollar für Militärausgaben!

Allein schon aufgrund dieses krassen Unterschiedes ist die Grundannahme, die all diesem Säbelrasseln zugrunde liegt, Russland sei nicht nur fähig, sondern auch willens, in ein NATO-Land einzumarschieren, völlig absurd. Und trotzdem planen Deutschland und andere NATO-Staaten weitere Steigerungen für das Militär. Dieses Aufrüstungsdogma trägt zu verschärften Konflikten mit den als Rivalen gebrandmarkten Staaten wie Russland und China bei. "Nur wenige Menschen scheinen zu begreifen, welche fundamentale und gefährliche Veränderung der Politik hier betrieben wird", urteilt Albrecht Müller, früherer Planungschef im Bundeskanzleramt unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Geld fürs Militär wird allerdings auch für Auslandseinsätze benötigt, denn die NATO wurde nach Ende des Kalten Krieges weg von der formalen Bündnisverteidigung zu einem globalen Kriegsführungsbündnis umgebaut. Seither beteiligt sich Deutschland weltweit an Militäreinsätzen, die oft verharmlosend als "Friedensmissionen" ausgegeben werden. Tatsächlich geht es in diesen weltweiten Kriegen vorrangig um Rohstoffe, Marktzugänge und geopolitischen Einfluss.

Ideologische Scheuklappen?

"Legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab und versuchen Sie, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie wirklich ist! Dazu hätten Sie in den letzten 27 Jahren wirklich genug Gelegenheit gehabt. Pazifismus ist eine edle Gesinnung, aber ignoriert den zwiespältigen Charakter des Menschen, verknüpft mit Interessen, welche verfolgt werden."

Diese geharnischte Kritik wurde uns kürzlich in einer Mail um die Ohren geschlagen. Anlass dafür war, dass wir als Vertreter*in des Lebenshauses geschrieben hatten: "Seit 2001 ist Deutschland am Krieg in Afghanistan beteiligt. Und es hat sich bewahrheitet: Wer Krieg führt und Waffen liefert, wird Flüchtlinge ernten!" Daraufhin wurde uns in der Mail vorgeworfen, wir würden zu Unrecht den Eindruck erwecken, "dass Deutschland ‚Krieg führt’ und dass es deshalb, weil Deutschland ‚Krieg führt und Waffen liefert’, zu Flüchtlingsströmen kommt."

Tatsache ist aber, dass der 2001 begonnene Interventionskrieg der USA und der NATO in Afghanistan seit 19 Jahren bis heute andauert. Tatsache ist ebenfalls, dass Deutschland Teil dieser kriegführenden Interventionsmacht ist, unabhängig davon, welche konkreten Aufgaben die Bundeswehr dabei in unterschiedlichen Phasen jeweils wahrnimmt. Und es gehört ebenfalls zu den traurigen Fakten, dass infolge des Interventionskrieges seit 9/11 durch die USA und NATO vor über 19 Jahren mindestens 5,3 Millionen Afghaninnen und Afghanen geflohen sind, davon 2,7 Millionen ins Ausland. Die Zahl ziviler Opfer wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt. Und die Gegner der afghanischen Regierung und der NATO, die Taliban, sind nicht schwächer, sondern stärker geworden. Die Regierung in Kabul hat heute nur noch 35 Prozent des Landes unter ihrer Kontrolle. Wahrlich ein Desaster.

Diese Intervention in Afghanistan und weitere Erfahrungen der letzten Jahrzehnte mit militärischen Einmischungen in anderen Ländern liefern allen Grund, Interventionen mit größten Zweifeln zu betrachten. "Vom Experiment Kosovo, wo 60.000 Nato-Soldaten in einem Gebiet von der halben Größe Schleswig-Holsteins eingesetzt wurden, über die Kriege in Irak und Libyen bis zum Desaster in Afghanistan. Keine Entsendung, ob mit oder ohne deutsche Beteiligung, hat auch nur im Entferntesten jene Ziele erreicht, die zu Beginn versprochen wurden", so die Journalistin Charlotte Wiedemann. Daraus schließt sie folgerichtig: "Wer heutzutage nach Argumenten gegen eine militärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder sucht, muss sich nicht mehr auf Pazifismus berufen." (taz, 28.10.20)

Also müsste eine ganz rationale Bilanz der militärischen Interventionen die Bereitschaft zum Denken in Alternativen nachdrücklich fördern. Zudem legen aber auch Pazifisten seit Jahrzehnten gewaltfreie Konzepte als Alternativen zum Militär vor.

Pazifistische Alternativen

So hat z.B. Theodor Ebert, über Jahrzehnte eine "Institution in der gewaltfreien Szene und im Diskurs der Gewaltfreiheit und Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland" (Torsten Schramm), sich u.a. von Mohandas K. Gandhi und Martin Luther King zu gewaltfreien, direkten Aktionen und zu Entwürfen gewaltfreier Politik anregen lassen. Er hat sich für die Entwicklung von Konzepten wie der Sozialen Verteidigung und des Zivilen Friedensdienstes eingesetzt. Damit wollte er die Notwendigkeit und Rechtfertigung der Bundeswehr langfristig in Frage stellen. Sein Ziel war und ist, Menschen für eine bewusst eingesetzte gewaltfreie Verteidigung als eine Errungenschaft unserer Gesellschaft auszubilden. Es lohnt sich, sich mit seinen Gedanken und Modellen auseinanderzusetzen. (Siehe u.a. auf der Lebenshaus-Website, wo sich mehrere Dutzend seiner Artikel finden: Artikel Theodor Ebert ).

Als ebenfalls herausragender Pazifist, der sich um zivile Alternativen zum Militär verdient gemacht hat, ist Andreas Buro zu nennen. Er war einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Friedensbewegung, der wie kaum jemand anderes über fast 60 Jahre hinweg außerparlamentarische Politik in der Bundesrepublik mitgeprägt hat. Programmatisch der Titel seiner 2012 erschienenen Biografie: "Gewaltlos gegen Krieg. Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten". Andreas Buro hat bis zu seinem letzten Atemzug die Hoffnung verkörpert, dass es gelingen kann, den militärischen Konfliktaustrag zurückzudrängen, damit wir einer Welt ohne Krieg näherkommen. Durch sein Engagement hat sich das Bemühen hindurch gezogen, zivile, friedliche Streitbeilegungen zu entwickeln und vorzuschlagen. 2005 hat die "Kooperation für den Frieden", Dachorganisation von etwa fünfzig Friedensorganisationen, darunter auch Lebenshaus Schwäbische Alb e.V., auf den Vorschlag von Andreas Buro hin ein "Monitoring-Projekt: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention" beschlossen. Es soll der Öffentlichkeit die Möglichkeiten eines zivilen Umgangs mit Konflikten nahebringen. In diesem Rahmen hat Andreas Buro alleine oder gemeinsam mit anderen Menschen wie etwa Clemens Ronnefeldt Dossiers u.a. zum Iran, dem türkisch-kurdischen Konflikt, zu Israel-Palästina, Syrien und zum Konflikt in Afghanistan verfasst. In letztem hat Andreas Buro ein Umstiegsszenario für Deutschland vom militärischen Konfliktaustrag zu einem friedenspolitischen Engagement entwickelt. Diese Dossiers sind eine Fundgrube für Alternativen zur angeblich alternativlosen Aufrüstungs- und Interventionspolitik. (Die Dossiers können als PDF-Dateien aus dem Internet hier heruntergeladen werden: Dossiers Zivile Konfliktbearbeitung ; nahezu 100 Artikel von Andreas Buro befinden sich auch auf der Lebenshaus-Website: Artikel Andreas Buro ).

"Sicherheit neu denken"

Dass bereits bestehende zivile Alternativen zur Aufrüstungs- und Interventionspolitik nachhaltig und dauerhaft in ihrer Wirkung sind, zeigt z.B. ebenfalls das Szenario der Evangelischen Landeskirche in Baden "Sicherheit neu denken - von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik". Dieses Szenario "lädt dazu ein, eine Zukunft zu denken, in der wir pro Jahr 80 Mrd. Euro in die zivile Krisenprävention und in die Vereinten Nationen anstatt in die Bundeswehr investieren", schreibt Ralf Becker, Koordinator der Initiative. "Grundlage sind bereits erprobte und realisierte Instrumente ziviler Prävention, gerechtes Wirtschaften, die Förderung nachhaltiger Entwicklung im Nahen Osten und Afrika sowie eine Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft mit Russland bzw. der Eurasischen Wirtschaftsunion."

Es wird vorgeschlagen, z.B. die OSZE zur polizeilichen Sicherheitsorganisation für Europa auszubauen und die Bundeswehr komplett zum Technischen Hilfswerk zu transformieren. "Dank jährlicher Investitionen in Höhe von 33 Mrd. Euro könnten wir die Vereinten Nationen und die OSZE zu starken und wirksamen Institutionen ausbauen. Dann könnten die Vereinten Nationen ihre Aufgaben in der weltweiten Friedenssicherung wirksam wahrnehmen. Und die Ernährungs-, Klima- und Flüchtlingshilfefonds der UNO wären endlich mit genügend Geld ausgestattet." (Mehr: https://www.sicherheitneudenken.de/)

"Großartig dabei zu sein!" (Andreas Buro)

Wenige Wochen vor seinem Tod im Januar 2016 schrieb Andreas Buro seinen letzten Artikel mit dem Titel "Friedenslogik, die die Kriegslogik infrage stellt". Die beiden letzten Absätze daraus möchte ich hier zitieren.

"Mir fällt der Vers aus Brechts ‚Lied von der Moldau’ ein: ‚Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine …’ Vielleicht sind wir in einer solchen Situation. In vielen Teilen der Welt bilden sich Widerstandsgruppen gegen Krieg und Gewalt, Ausbildungsstätten für Zivile Konfliktbearbeitung entstehen und Ausgebildete werden bereits in Konflikten erfolgreich eingesetzt. Das Bemühen ist oft schwierig - Brechts Wort! Manche Kontrahenten, die nicht mehr siegen können, lassen sich auf Verhandlungen ein und lernen, wie erfolgreich Zivile Konfliktbearbeitung sein kann. Soziale Bewegungen auf anderen Arbeitsfeldern lernen von einander, dass zivile Konfliktbearbeitung auch für sie hilfreich ist. Erstaunlicherweise schleichen sich auch nicht selten bei Militärs Zweifel ein, ob ihr Tun noch sinnvoll sei. Viele sprechen von Friedenslogik, die die Kriegslogik infrage stellt.
Ein großer Prozess des Umdenkens und der Umorientierung ist im Gange, vielfältig, spannend, Mut fordernd und Ausdauer. Toll! ‚Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.’ Hier findet Sinnsuche ihre Aufgaben. Großartig dabei zu sein!"

In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass wir dabei sind, wenn es weiter darum geht, sich für eine solche Abkehr von Krieg und Gewalt, für zivile, gewaltfreie Konfliktbearbeitung zu engagieren. Der 2014 verstorbene Ulli Thiel, Aktiver der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Mitglied des Lebenshauses, hat die Zielvorgabe für das 3. Jahrtausend treffend in vier Worte gefasst: "Frieden schaffen ohne Waffen!" Das ist die zentrale Überlebensbotschaft für die Menschheit.

Trotz den Herausforderungen durch die Corona-Krise wünsche ich Ihnen und Euch eine friedvolle Weihnachtszeit, ein gesundes neues Jahr 2021 und guten Lebensmut!

Euer / Ihr 
Michael Schmid

Lebenshaus Schwäbische Alb bittet um Spende zum Jahresende

Wir möchten unsere Arbeit 2021 so engagiert wie bisher fortsetzen können, auch wenn wir durch die Corona-Krise zusätzlich vor neue Herausforderungen gestellt sind. Trotzdem blicken wir mit Zuversicht in ein aktives neues Jahr.

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Fußnoten

Veröffentlicht am

18. Dezember 2020

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