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Bruno Kern: Das Märchen vom grünen Wachstum

Von Michael Schmid - Rezension

Kaum war Ursula von der Leyen im Dezember vergangenen Jahres in ihrem neuen Amt als EU-Kommissionspräsidentin, verkündete sie ihren Klimaplan "Green Deal". Laut von der Leyen soll der "Green Deal" das Klima schonen und zugleich Wachstumsmotor für die Union werden. Er sei vergleichbar mit der Vision der Mondlandung in den 1960er-Jahren, schwärmte sie bei der Vorstellung euphorisch. Demnach sollen zusätzliche jährliche milliardenschwere Investitionen dazu führen, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird - zugleich soll sie weltweiter Spitzenreiter bei grüner Technologie und Industrie werden.

Neben der Senkung der Treibhausgase gehe es gleichermaßen darum, neue Jobs zu schaffen, so die EU-Kommissionschefin. Sie fügte hinzu, das alte Wachstumsmodell, das auf fossilen Energien und Verschmutzung gründe, habe sich überlebt. Gefragt sei nun eine Strategie "für ein Wachstum, das mehr zurückgibt als es wegnimmt." Entscheidend sei, dass beim Wandel niemand im Stich und niemand im Unklaren gelassen werde.

Kann dieses gigantische Projekt "Green Deal", in das bis 2030 eine Billion Euro investiert werden soll, wirklich halten, was von der Leyen damit verspricht, nämlich "unsere Wirtschaft mit unserem Planeten zu versöhnen"?

Kapitalismus steht vor unüberwindlicher Schranke

Eine deutliche Antwort liefert Bruno Kern mit seinem Buch "Das Märchen vom grünen Wachstum". Da es bereits ein paar Monate vor von der Leyens Brüsseler Rede erschienen ist, konnte der Autor natürlich nicht direkt darauf eingehen. Aber er setzt sich gründlich mit solchen Positionen, vergleichbar jener der EU-Kommissionspräsidentin, auseinander. Und erteilt ihnen, wie bereits dem Buchtitel zu entnehmen ist, eine klare Absage.

Bruno Kern geht davon aus, dass sich die ökologische Krise qualitativ von allen bisherigen Krisensituationen der Weltgeschichte unterscheidet. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sei es wahrscheinlich geworden, dass sich die Gattung Mensch innerhalb weniger Dekaden selbst auslösche. Diese Bedrohung werde zum negativen Vorzeichen aller Politik- und Lebensbereiche. Es schmälere den Spielraum der Gestaltung der Gesellschaft insgesamt und werde deshalb zur Hauptursache vielfältiger anderer Krisen und innergesellschaftlicher Gewalt.

Kern ist überzeugt, dass das sich weltweit durchsetzende kapitalistische und großindustrialistische Wirtschafts- und Lebensmodell, die "imperiale Lebensweise" (Ulrich Brand), einen doppelten Zerstörungsprozess beschleunigt hat: den Prozess der Vernichtung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und gleichzeitig den Prozess des Ausschlusses immer größerer Teile der Menschheit von den ökonomischen und sozialen Lebensvoraussetzungen. Beide Prozesse würden sich gegenseitig verstärken. Die Hauptursache der Naturzerstörung einerseits und der weltweiten Prozesse der Verelendung beziehungsweise des ökonomisch-sozialen Ausschlusses andererseits, sei also dieselbe: das dem Zwang zum Wachstum unterliegende kapitalistische Wirtschaftssystem, zurzeit noch dazu in der Zuspitzung des neoliberalen Paradigmas.

Der Kapitalismus steht nun laut Kern weltweit zum ersten Mal vor einer unüberwindlichen Schranke, die ihm "von außen" gesetzt, geologisch-physikalischer Natur und deshalb endgültig sei: vor den Grenzen des Wachstums durch Erschöpfung der nicht erneuerbaren Ressourcen und durch die Erschöpfung der ökologischen Tragfähigkeit der Erde. Aus dieser "Zangengriffkrise" könne er nicht entrinnen.

Kein "Weiter so" in grün

Weil mit der unmittelbaren Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit schlicht alles auf dem Spiel stehe, sieht Bruno Kern die dringlichste soziale Frage weltweit eben in der ökologischen Frage. Deshalb fordert er pointiert und mit der notwendigen Dringlichkeit nichts weniger als einen grundlegenden Systemwechsel, weil ansonsten unsere Überlebenschancen aufs Spiel gesetzt würden. Bei seinen Darstellungen geht er dabei von jener Auffassung von "Ökosozialismus" aus, wie sie die im Jahr 2004 von ihm mitgegründete Initiative Ökosozialismus vertritt. In 14 Thesen stellt er zur Orientierung für die Leser*innen zunächst die grundlegenden Annahmen dieses Ökosozialismus voran und begründet diese anschließend detailliert.

Kritisch setzt sich Bruno Kern damit auseinander, dass nicht nur die etablierte Politik, sondern auch ein Großteil der Ökoszene auf ein routiniertes "Weiter so" setzen. Mithilfe erneuerbarer Energien und stetiger Innovation solle unsere Wirtschaft immer weiter wachsen - ökologisch nachhaltig natürlich. Der Autor legt sachkundig dar, warum dies eine Illusion sei. Auch das Potenzial erneuerbarer Energien stehe schließlich nicht unerschöpflich zur Verfügung, sondern sei grundsätzlich beschränkt. Denn für die Umwandlung von Sonnen-, Wind- oder Biomassenenergie sei eine industrielle Ausrüstung erforderlich, die in Herstellung und Gebrauch nicht erneuerbare Ressourcen verbrauche. So hätten wir es neben der knapper werdenden Energie aus fossilen Quellen auch mit einer Verknappung von Rohstoffen zu tun, die dem Ausbau der technischen Voraussetzungen und der nötigen Infrastruktur für erneuerbare Energien zusätzliche Schranken setze.

"Grünes Wachstum", das uns einreden wolle, es gäbe eine "Entkoppelung" von Wirtschaftswachstum und Ressourcen- bzw. Energieverbrauch, bezeichnet Kern als Märchen, dem er entschieden entgegentritt. Seiner Meinung nach ist die industrielle Abrüstung dringend geboten, um den Ressourcenverbrauch zu verringern. Weniger Verbrauch statt Profit um jeden Preis für Wenige. Deshalb stellt er nicht nur den Kapitalismus mit seinem eingeschriebenen Wachstumszwang infrage, sondern die Industriegesellschaft selbst! Schließlich stünden angesichts von immer knapper werdenden Ressourcen und der umfassenden Krise, in der das Klima und die gesamte Biosphäre aus dem Gleichgewicht gerate, die Industrieländer vor der Herausforderung, "ihren Verbrauch an fossilen Energien und nicht erneuerbarer Ressourcen in möglichst kurzer Zeit drastisch (das heißt um mindestens 90 Prozent) zu reduzieren."

Die Erzählung eines "grünen" Wachstums hält Bruno Kern im Übrigen deshalb für so gefährlich, weil sie daran hindere, "die eigentliche politische Frage überhaupt erst zu stellen, nämlich die, wie wir auf einer wesentlich schmaleren materiellen Basis eine solidarische Gesellschaft aufbauen können."

Im Abschlusskapitel seines Buches schlägt der Autor als politische Ausstiegsstrategie aus dem existierenden System eine inhaltlich konsequente und langfristig angelegte Konsumverweigerung vor. Er will dies nicht in erster Linie als Aufforderung an Einzelne verstanden wissen, sondern als "Ermutigung, Solidarstrukturen und Räume zu schaffen", in denen gemeinsam eine Lebensqualität jenseits des Konsumierens materieller Güter entdeckt werden kann.

Wichtige Antworten auf existentielle Herausforderungen

Im Deutschlandfunk hat Caspar Dohmen das Buch "Das Märchen vom grünen Wachstum" lobend besprochen und die Auseinandersetzung damit als lohnend angesehen. Kritisch merkt er aber angesichts Kerns konsequentem Vertreten seiner ökosozialistischen Sichtweise und seiner Abgrenzung von allen gängigen Reformströmungen an: "Anschlussfähigkeit gehört nicht zu seinen Stärken."

Mir scheint, dass es in diesem Zusammenhang weniger um die Frage von persönlicher Stärke bzw. Schwäche von Bruno Kern geht. Vielmehr ist es naheliegend, dass die von ihm aufgezeigte notwendige Radikalität nicht gerade geeignet ist, große Begeisterung hervorzurufen. Denn das, was er vermittelt, ist ja gerade die Notwendigkeit tiefgreifender Veränderungen, die für die gesamte Menschheit, besonders aber auch für uns als Bewohner*innen einer reichen Industriegesellschaft bevorstehen. Und wer verzichtet freiwillig schon gerne auf eigene Bequemlichkeiten?

Gerade aber, weil es sich bei dem Buch "Das Märchen vom Grünen Wachstum" des Ökosozialisten Bruno Kern um ein grundlegendes Werk handelt, das wichtige Antworten auf existentielle Herausforderungen der globalen Gesellschaft anstößt, ist ihm eine weite Verbreitung zu wünschen. Ich persönlich habe es jedenfalls mit großem Gewinn gelesen. Dadurch fühle ich mich motiviert, mich erneut mit verschiedenen Fragestellungen vertiefend zu befassen. Und dann geht es selbstverständlich auch ums Handeln. Nachhaltiges Handeln für sich alleine, vor allem aber gemeinsam mit anderen Menschen, indem wir uns in Gruppen zusammentun, uns Organisationen und Bündnissen anschließen oder solche ins Leben rufen.

Bruno Kern: Das Märchen vom Grünen Wachstum. Plädoyer für eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft. Rotpunktverlag Zürich 2019. 240 Seiten. ISBN 978-3-85869-847-6 (auch als E-Book erhältlich), 15 €

Bruno Kern, geboren 1958 in Wien, studierte Theologie und Philosophie in Wien, Fribourg, München und Bonn. Er promovierte mit einer Studie über die Marxismusrezeption in der Theologie der Befreiung. Zurzeit arbeitet er als selbstständiger Lektor, Übersetzer und Autor in Mainz. Darüber hinaus ist er Gründungsmitglied der Initiative Ökosozialismus (2004) und des Netzwerks Ökosozialismus (2018) ( https://oekosozialisten.4lima.de/ ).

Webslinks:

 

Veröffentlicht am

01. Juli 2020

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