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Der Wagemutige

Keith Ellison klagt als US-Generalstaatsanwalt vier Polizisten an, für den Tod George Floyds verantwortlich zu sein

Von Konrad Ege

Keith Ellison, 56, hat einen der explosivsten Jobs in den USA. Der links orientierte Ex-Kongressabgeordnete - bereits 2016 war er Anhänger von Bernie Sanders, als die meisten demokratischen Politiker zu Hillary Clinton hielten - ist Generalstaatsanwalt im Bundesstaat Minnesota. Er leitet die Ermittlungen gegen die vier Polizisten aus Minneapolis, die im Video über den grausamen Tod von George Floyd zu sehen sind. Einer namens Derek Chauvin drückt dem mit Handschellen gefesselten afroamerikanischen Mann das Knie in den Nacken. Umstehende schreien, er solle aufhören.

Ellison wirft Chauvin "Tötung zweiten Grades" vor, was mit 40 Jahren Haft geahndet werden kann. Den drei anderen Polizisten wird Beihilfe zur Last gelegt. Wer die Aufnahme gesehen hat, erwartet einen Schuldspruch. Es sei "sehr schwer, einen Polizisten zur Rechenschaft ziehen", warnt Ellison bei CNN: Das Gesetz autorisiere die Polizei, Gewalt anzuwenden. Geschworene tendierten dazu, bei strittigen Fragen der Polizei zu glauben. Vielerorts habe die Polizei eine "kuschelige Beziehung" zur politischen Macht. Die Verteidigung muss nur bei einem einzigen Geschworenen Zweifel an der Schuld des Angeklagten wecken, und schon ist ihm geholfen.

Laut Medienberichten hatte sich George Floyds Familie bei Minnesotas Gouverneur Tim Walz für Ellison ausgesprochen. Dem örtlichen Staatsanwalt vertraute sie wohl nicht. Ohnehin sind Videos keine Garantie. Man erinnere sich eines anderen gewaltsamen Todes in Polizeihänden: 2014 verhaftete ein weißer Beamter in New York den 43-jährigen Eric Garner wegen einer Lappalie. Es ging um den Verdacht auf illegalen Zigarettenverkauf. Der Polizist nahm Garner in einen Würgegriff. Er könne nicht atmen, flehte der, bis er erstickte. Gegen den Beamten wurde keine Anklage erhoben. Keine ausreichenden Beweise, hieß es.

Keith Ellison hat sich im Hörfunkprogramm Reveal eigener Angst vor der Polizei erinnert. Sein Vater, ein Psychiater, habe ihm eingeschärft, er dürfe Polizisten nicht widersprechen. Bei einem Verkehrsstopp müsse er die Hände sichtbar auf das Steuer legen, denn ein Polizist könne ihn jederzeit töten. Eine besondere Rolle spielen beim Umgang mit Machtmissbrauch die Polizeigewerkschaften, die wegen existierender Tarifverträge starken Einfluss bei Disziplinarverfahren haben. Im Fall einer Anklage können sich die Polizisten auf Rechtshilfe verlassen. Politiker legen sich ungern mit der Gewerkschaft an. Gegen die Polizei zu sein, gilt nirgendwo als gute Wahlstrategie. Der politische Trend in den Gewerkschaften geht nach rechts. Bob Kroll, Präsident der Police Officers Federation of Minneapolis, schrieb nach den Tagen des Aufstands, die auf Floyds Tod folgten, an die Mitglieder, sie hätten sich tapfer geschlagen gegen eine "terroristische Bewegung". Im Oktober 2019 hatte Trump bei einer Wahlveranstaltung Kroll zum Mikro gerufen: Er liebe die Polizei.

Der gelernte Rechtsanwalt Ellison brachte es auf Umwegen zum Generalstaatsanwalt, dem obersten Justizposten von Minnesota. 2006 wurde er in einem urdemokratischen Wahlkreis von Minneapolis gewählt und zum ersten afroamerikanischen US-Kongressabgeordneten aus Minnesota, zum ersten muslimischen überhaupt. Seinen Amtseid schwor er nicht, "wie es sich gehört", auf die Bibel, sondern eine Kopie des Koran. Zuvor hatte er im Parlament Minnesotas gesessen und war Direktor einer Rechtshilfeorganisation.

Zum Karriereknick kam es 2017 inmitten der Flügelkämpfe bei den Demokraten. Die Partei sollte einen neuen Vorsitzenden wählen. Ellison kandidierte im Bernie-Flügel. Es gab eine streckenweise unschöne Auseinandersetzung auch um Ellisons Glauben. 1998 habe dieser den Namen Keith Ellison-Muhammad benutzt, warnte der Sender Fox News. Außerdem habe er als Freiwilliger beim Million Man March mitgemacht, der auf den Nation-of-Islam-Anführer Louis Farrakhan zurückging. Ellison hat sich später von der Nation distanziert, weil diese "bigotte und antisemitische Gedanken" vertrete. Nachdem er die Abstimmung über den Parteivorsitz gegen den früheren Arbeitsminister Tom Perez verloren hatte, trat Ellison als Kongressabgeordneter zurück. Dann aber gewann er 2018 in Minnesota die Wahl zum Generalstaatsanwalt. Seine Kandidatur stand zeitweilig infrage nach Missbrauchsanklagen einer früheren Partnerin. Ellison bestritt die Vorwürfe.

Jetzt bereitet er einen Prozess vor, dessen Ausgang die Gesellschaft wohl auf Jahre hinaus prägen wird. Ellison sagte laut Rundfunksender KTOE in Mankato (Minnesota), das Verfahren werde "kein leichtes Ding". Allein bis zum Prozessbeginn würden wohl noch Monate vergehen. Gegenüber dem Magazin The Nation sprach Ellison Ende Mai über Krisen, aus denen heraus es zu Veränderung kommen könne. Doch Veränderung sei "eine organisatorische Herausforderung, und man braucht gute Ideen und anhaltende Energie … Doch es kann geschehen, ich arbeite daran".

Bei den weiter andauernden Kundgebungen geht es um George Floyd und um Grundsätzliches, den Umbau der Polizei. Ellison meint, Geld solle viel mehr in Schulen und Sozialarbeit fließen, in den Wohnungsbau und die Gesundheitsversorgung. Der Stadtrat von Minneapolis hat eine Vorlage bewilligt, die örtliche Polizei schrittweise aufzulösen. Sie sei nicht reformierbar. Die Stadt brauche ein neues Konzept von öffentlicher Sicherheit. Auch Los Angeles und New York City wollen die Ausgaben für die Polizei reduzieren. Das wäre früher einmal ein guter Angriffspunkt gewesen für Donald Trump. Gegenwärtig ist er das nicht mehr.

Quelle: der FREITAG vom 13.06.2020. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

13. Juni 2020

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