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USA: Wut schockiert eine erschöpfte Gesellschaft

Die massiven Unruhen erfassen das Land in einer Phase, in denen die Coronakrise die Menschen bereits stark ausgelaugt hat

Von Konrad Ege

Es sind die massivsten Ausschreitungen in den USA seit dem Mord an Bürgerrechtsführer Martin Luther King im April 1968. Seinerzeit explodierten Dutzende von Städten. Mehr als 40 Menschen kamen um, Tausende Nationalgardisten marschierten auf. Damals wie heute zeigen die TV-Kameras gern Bilder von brennenden Geschäften und plündernden jungen Männern, wenn möglich schwarz. Damit lässt sich schnell eine Debatte anstoßen über unberechtigte Mittel des Aufruhrs, und Donald Trump kann seine Gewaltfantasien loswerden.

Entschieden wichtiger als die Exzesse sind aber die Beweggründe der Protestierenden. Die Menschen sind empört darüber, dass es normal ist für die USA, in den Händen der Polizei zu sterben, besonders wenn die Betroffenen eine schwarze Hautfarbe haben. Das Projekt mappingpoliceviolence.org hat allein im Vorjahr 1.099 Todesopfer der Polizei gezählt. 24 Prozent davon Afroamerikaner, die 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die US-Gesellschaft gibt der Polizei mehr Handlungsfreiheit als in Europa vorstellbar. Das Aufbegehren gegen damit verbundene Willkür erfasst derzeit vorwiegend Städte, die von demokratischen Politikern regiert werden. Minneapolis in Minnesota ist das Paradebeispiel. Die Stadt hat einen progressiven Bürgermeister, und der Justizminister des Staates heißt Keith Ellison und ist ein linker Muslim. Doch haben diese Politiker auf die Polizei nur begrenzten Einfluss, sodass die Aufschreie der Empörung immer wieder verhallen.

Es gab landesweit Proteste, als ein "Nachbarschaftswachmann" in Florida 2012 den afroamerikanischen Teenager Trayvon Martin erschoss. Der zwölfjährige Tamir Rice starb 2014 in Cleveland, Michael Brown im gleichen Jahr in Ferguson. Freddie Gray aus Baltimore kam 2015 in einem Polizeiwagen ums Leben. Und so weiter. Die Unruhen eskalieren in einer Zeit, da viele in den USA erschöpft sind. Das Coronavirus hat mehr als 100.000 Menschen getötet, überproportional Schwarze und Latinos, die arm sind und Jobs haben, die sie zu vielen Kontakten zwingen. COVID-19 wird zur Krankheit der Unterschicht. In Minnesota liegt der Bevölkerungsanteil der Schwarzen bei 6,6 Prozent, doch gibt es unter ihnen 22 Prozent der Corona-Infektionen.

Und Präsident Trump? Er musste sich den Lärm der Kundgebungen ein paar hundert Meter vor dem Weißen Haus anhören. Seine Forderung nach Härte erinnert an Richard Nixon 1968. Der republikanische Präsidentenbewerber machte nach dem Mord an Martin Luther King Stimmung mit dem Versprechen von "Law and Order". Nixon gewann die Wahl aus der Opposition heraus, gegen eine demokratische Regierung. Trump ist Amtsinhaber. Man erinnert sich an seine "America First"-Rede bei der Amtseinführung, das "Blutbad" werde aufhören, so einer seiner bizarren Sätze.

Jetzt haben die USA eine Pandemie, mehr als 40 Millionen Arbeitslose, lange Schlangen bei der Ausgabe kostenloser Lebensmittel. Und Aufstände. Martin Luther King sprach kurz vor seinem Tod über die damaligen "urban riots": Man könne sie missbilligen, meinte er. Die schwarzen Teilnehmer wollten "hauptsächlich die weiße Bevölkerung schockieren". Wer randaliere, der wisse, "dass die Gesellschaft Privatbesitz mehr wertschätzt als Menschen". Die Gesellschaft solle geschockt werden, wenn jemand den Privatbesitz missachte. Bei vielen aus der älteren Generation wird auch deshalb die liberale Gesinnung leiden, wenn sie brennende Geschäfte sehen.

Quelle: der FREITAG vom 04.06.2020. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

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Veröffentlicht am

04. Juni 2020

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