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Wankender Riese

Corona: Die Krise überrollt die USA. Millionen verlieren ihre Jobs, Hilfe erreicht vor allem die Bessergestellten

Von Konrad Ege

Vielerorts bemühen sich Amerikaner um Mitmenschlichkeit, noch. Nachbarschaftsgruppen stellen Hilfspakete zusammen für Bedürftige. Man setzt Teddybären an die Fenster. Kinder sollen sich freuen. Sie haben keine Schule, und an die frische Luft darf man, wenn man Abstand hält. Doch es wird eng. Bis zur Corona-Todeszahl von 1.000 dauerte es in den USA einen Monat, bis zum zweiten Tausend Ende März nur zwei oder drei Tage. Leitartikler wundern sich, dass in Deutschland die Todesrate so viel niedriger ist. Nicht alle sind gleich betroffen in den USA. Die einen bestellen ihre Lebensmittel beim Lieferdienst, die anderen verpacken und liefern. Arbeiter des landesweit tätigen Lieferdienstes "Instacart" drohen mit Streik wegen gefährlicher Bedingungen.

Das dicht bevölkerte, international vernetzte New York mit enormer Konzentration von Wohlstand, der von zahllosen Arbeitern und Dienstleistern ermöglicht wird, ist das Epizentrum der Krankheit. In Hospitälern sterben die Menschen allein. Nicht einmal Pastoren dürfen an die Betten. New Yorker mit Geld und Wochenendhaus wird das "social distancing" mit Hilfe der Lieferdienste nicht mehr reichen. Mehrere Bundesstaaten warnen vor Reisenden aus New York. Auf dem Land hat man Angst vor einem Zustrom aus den Metropolen. Teilweise sollen sich aus New York Zugereiste 14 Tage in Quarantäne begeben. In Texas machen Polizisten Stichproben.

Auf der Titanic

Laut Arbeitsministerium haben sich in nur einer Woche Mitte März mehr als drei Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Nicht eingerechnet sind Millionen prekär Beschäftigte, die in guten Zeiten als Selbstständige und Freiberufler von einem Job zum nächsten driften. Und jetzt keine Aufträge mehr bekommen. Die Brookings Institution ermittelte in einer Studie, dass in den USA 44 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter im Niedriglohnbereich (Mittelwert 10,22 Dollar/Stunde) tätig sind. Nach Angaben der Wirtschaftsforscher vom Economic Policy Institute gibt es für mehr als zwei Drittel der Niedriglöhner im Gaststätten- und Hotelgewerbe keine Lohnfortzahlung bei Krankheit. Finanzminister Steven Mnuchin soll bei einer Sitzung mit republikanischen Senatoren gewarnt haben, die Arbeitslosenrate könnte auf 20 Prozent steigen, ein Direktor der US-Notenbank sprach von 30 Prozent. Im Januar lag die Rate noch bei 3,5 Prozent. Während der Großen Depression Anfang der 1930er gab es eine geschätzte Erwerbslosigkeit von 25 Prozent.

Auf dem Passagierschiff Titanic saßen beim Untergang 1912 alle im "gleichen Boot". Hinterher stellte sich heraus, dass in der ersten Klasse 39 Prozent der Passagiere ums Leben kamen, in der dritten drei Viertel. Das im Kongress beschlossene 2,2 Billionen Dollar teure Hilfspaket sorgt sich vorwiegend um die erste Klasse. Ein großer Brocken geht an Unternehmen, selbst an die Reise- und Kreuzfahrtindustrie bei minimaler Aufsicht. Allerdings sind mehr Arbeitslosenhilfe und eine Form von Arbeitslosengeld vorgesehen für Menschen, die (schein)selbstständig tätig sind, wie die Uber-Fahrer. Die letzte große Krise 2008, die mit der Lage jetzt nicht vergleichbar ist, hat die Ungleichheit verschärft.

Den Wahlkampf um die Präsidentschaft scheint das alles nicht so recht zu tangieren. Etwa die Hälfte der Bundesstaaten hat bei den demokratischen Vorwahlen gewählt. Ex-Vizepräsident Joe Biden liegt mit 1.216 Delegierten vorn. Senator Bernie Sanders hat 914. Vielerorts wurden Wahltermine verschoben. Biden hat erkennbar zugelegt, weil er offenbar vielen als zuverlässigerer Politiker erschien, der gegen Trump eher gewinnen kann. Nun profitiert Sanders möglicherweise vom Aufschieben. Vertagt wurden beispielsweise die Vorwahlen in Georgia und Louisiana, womöglich entscheidenden Südstaaten, in denen Biden bestens dastand wegen der großen Zahl afroamerikanischer Vorwähler. Sanders wird wohl weitermachen. Er würde gerne noch mal debattieren, sagt er.

Trump lobt sich selbst

Man wisse nicht, was passieren wird mit dem Virus, erläutert James Zogby von der Pro-Sanders-Kampagne "Our Revolution". Es wäre unverantwortlich, aufzuhören. Biden und Sanders haben Schwierigkeiten, auf sich aufmerksam zu machen. Sanders konnte bei Beratungen im Senat das Wort ergreifen, doch die Sitzungen sind jetzt vorbei. Biden hat keine für die Corona-Katastrophe relevante Stellung in der Politik und geht unter im Medienspektakel. Der demokratische Parteikonvent soll Mitte Juli stattfinden. Die Wahl am 3. November. Ohne viel Fantasie lassen sich Szenarien ausmalen, in denen die Demokratie ins Wanken gerät. Vorbereitet sind die USA noch nicht auf dieses Votum, obwohl es heißt, dass selbst im Bürgerkrieg (1861-1865) gewählt wurde. Notwendig wäre ein Gesetz, das Briefwahlen für alle ermöglicht.

Donald Trump hat die Krise lange geleugnet. Nun macht er Wahlkampf bei täglichen "Pressekonferenzen" zur Krise, hetzt wie immer und lobt sich selbst. Sein Anhang lebt eher nicht in den Metropolen. Man mag sich nicht ausmalen, was dem selbsternannten Kriegspräsidenten einfällt, wenn sich die Katastrophe weiter verschärft, was anzunehmen ist. Bleibt der Kongress arbeitsfähig? Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, sprach bei CNN von zwischen 100.000 und 200.000 möglichen Corona-Toten in den USA.

Quelle: der FREITAG vom 07.04.2020. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

07. April 2020

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