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Betr.: Aufstand der Anständigen: 2.000 Unterschriften gegen Anti-BDS-Beschluss

Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE wollen am 17.05.2019 im Bundestag einen gemeinsam eingebrachten Anti-BDS-Antrag beschließen. Als die Pläne der FDP-Fraktion zu einem Anti-BDS-Beschluss vor drei Wochen öffentlich bekannt wurden, wurde die Petition "Wir sagen der FDP: Einsatz für Menschenrechte ist nicht antisemitisch" gegen dieses Vorhaben initiiert. Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner sind 16 jüdische Menschen. Für diesen Initiativkreis hat nun Rolf Verleger an die Bundestagsfraktionen geschrieben. Nachfolgend dokumentieren wir als Beispiel den Text seines Schreibens an die CDU-Fraktion.

Die Petition kann übrigens noch weiter unterzeichnet werden:

Betr.: Aufstand der Anständigen: 2.000 Unterschriften gegen Anti-BDS-Beschluss

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Brinkhaus,

als die Pläne der FDP-Fraktion zu einem Anti-BDS-Beschluss vor drei Wochen öffentlich bekannt wurden, haben wir eine Unterschriftenliste gegen dieses Vorhaben initiiert. Erstunterzeichner sind 16 jüdische Menschen, darunter auch Prof. Dr. Heinz Hurwitz, der 1936 als Dreijähriger mit seinen Eltern aus Berlin nach Belgien floh, dort nach der deutschen Besatzung den Judenstern tragen musste und dann versteckt als Schein-Christ in einem Internat die deutsche Besatzung überlebte. Sein Vater wurde nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Diese Unterschriftenliste ist zu einem Aufstand der Anständigen geworden. Unterschrieben haben sie nun Dutzende jüdischer Menschen in Deutschland, natürlich auch Menschen palästinensischer Herkunft, und eben insgesamt 2.000 Menschen, darunter z.B. Prof. Horst Teltschik und Prof. Friedhelm Hengsbach SJ. An den Kommentaren können Sie sehen, worum es den Menschen geht. Sie können das einsehen auf: https://www.openpetition.de/verwaltung/unterzeichner/wir-sagen-der-fdp-einsatz-fuer-menschenrechte-ist-nicht-antisemitisch

Wir ersuchen Sie dringend, von Ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. Dieser "Anti-BDS"-Beschluss ist anti-menschenrechtlich, anti-liberal, anti-Meinungsfreiheit. Und selbstverständlich ist dieses Vorhaben antisemitisch. Denn es ist primär gegen uns jüdische Menschen gerichtet, denen die Menschenrechte am Herzen liegen: Wir sollen in Deutschland nicht mehr in öffentlichen Gebäuden reden dürfen. Das ist bereits jetzt mancherorts Praxis, und Sie zementieren diese Praxis mit Ihrem Antrag.

Dass Sie mit Ihrem Antrag Antisemitismus bekämpfen wollen, ist Orwell’sche Neusprech. Hier geht es um Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, elementare Bestandteile des Grundgesetzes. Wollen Sie lieber das Grundgesetz an Ihre Israelpolitik anpassen als die Israelpolitik an das Grundgesetz? Wollen Sie nicht eindeutig Partei für die Menschenrechte ergreifen? Die vielbeschworene "deutsche Verantwortung" kann in nichts anderem bestehen. Das Allermindeste wäre, dass Sie zu diesem Thema vor einem solch weitreichenden Beschluss Anhörungen organisieren.

Gerne bin ich bereit, Ihnen die Unterschriftenlisten persönlich zu überreichen und bitte Sie herzlich um einen Terminvorschlag.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Rolf Verleger
www.rolf-verleger.de
www.bib-jetzt.de

Anhang 1: Text der unterzeichneten Petition

Anhang 2: Ergänzende Begründung

Anhang 1: Text der unterzeichneten Petition

Trump, Bolsonaro, Orban, Kaczynski, Wilders, Strache, Le Pen, von Storch: Radikalnationalisten auf der ganzen Welt bewundern den Staat Israel für seine nationalistische Ideologie, für seine Ausgrenzung ungewollter Einwanderer und vor allem für seine Kompromisslosigkeit gegen die vertriebenen und enteigneten Palästinenser.

Viele Menschen lehnen diese Ideologie und Politik der israelischen Regierung ab.

Nun möchte die FDP-Fraktion im Bundestag solche Ablehnung von Israels Politik für "antisemitisch" erklären - und alle anderen Fraktionen nicken eifrig mit den Köpfen. Siehe Bericht hier: www.sueddeutsche.de/politik/bds-kampagne-fdp-israel-1.4410663

Wir fordern die FDP-Fraktion auf:

  • Nehmen Sie diesen Antrag zurück
  • Unterstützen Sie das Recht der Palästinenser auf ein Leben in Würde und Freiheit in gleicher Weise wie das Recht der jüdischen Bevölkerung Israels
  • Kämpfen Sie gegen Antisemitismus im Rahmen des Kampfs gegen jede Diskriminierung und jeden Rassismus anstatt sich unter dem Deckmantel des Kampfs gegen Antisemitismus zum Büttel der israelischen radikalen Regierungspolitik zu machen

Begründung

Dieser Antrag der FDP-Fraktion ist ein Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit. Er schafft ein totalitäres Klima, er unterdrückt die freie Diskussion. Er ist antiliberal, antimenschenrechtlich, antifriedenspolitisch.

Begründet wird dies mit dem Kampf gegen Antisemitismus. Diese Begründung ist zynisch. Nachdem Deutschland und Europa seine jüdische Minderheit großenteils umgebracht und den Rest aus Europa nach Palästina vertrieben hat, wird nun die Opposition der Palästinenser gegen ihre Vertreibung und Unterdrückung durch die eingewanderten Juden als "antisemitisch" deklariert.

Der Buhmann in der Beschlussvorlage der FDP-Fraktion heißt "BDS". (BDS - "Boykott, Desinvestition, Sanktionen"- ist eine gewaltfreie Basisbewegung der palästinensischen Zivilgesellschaft, die mit diesen Mitteln gleiche Rechte für Palästinenser verlangt.) Aber zahlreiche Ereignisse aus den letzten Jahren zeigen: Getroffen wird damit jeder Widerstand gegen die israelische Regierungspolitik. So bezeichneten zum Beispiel Göttinger FDP- und SPD-Politiker die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. ( www.juedische-stimme.de ), die im März 2019 den Göttinger Friedenspreis erhielt, als "antisemitisch".

Jüdische Erstunterzeichner:

Prof. Dr. Rolf Verleger, Psychologe, Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland 2005-2009 / Sidney Corbett, Professor für Komposition, Musikhochschule Mannheim / Elias Davidsson, Komponist, Autor / Sylvia Finzi, Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. (JS) / Ruth Fruchtman, Schriftstellerin, Publizistin / Iris Hefets, JS, Psychoanalytikerin / Prof. em. Dr. Heinz Hurwitz, Freie Universität Brüssel (U.L.B.), Verwaltungsratsmitglied des Institut Martin Buber (Etudes du Judaïsme) / Michal Kaiser-Livne, Psychotherapeutin, JS / Ruth Luschnat, Heilpraktikerin, JS / Ruth Moshkovitz, JS / Prof. em. Dr. Fanny-Michaela Reisin, ehem. Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte e.V. / Ilona Schewtschuk, Psychologiestudentin, JS / Lili Sommerfeld, Musikerin und Aktivistin / Nirit Sommerfeld, deutsch-israelische Künstlerin / Tanya Ury, Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V., Künstlerin, Schriftstellerin / Prof. em. Dr. Moshe Zuckermann, Soziologe, ehem. Universität Tel-Aviv

Anhang 2: Ergänzende Begründung

Ich möchte Sie herzlich bitten, diesem Antrag Ihre Stimme zu verweigern. Denn:

1) BDS ist keineswegs antisemitisch. Alle gegenteiligen Behauptungen sind gezielte Ideologieproduktion der rechtsnationalistischen israelischen Regierung.

2) Den Sack schlägt man, den Esel meint man: Die Verteufelung von BDS dient dazu, jede Opposition gegen Israels ungerechte Behandlung der Palästinenser klein zu bekommen, und zwar auch und gerade die jüdische Opposition, sowohl in Israel (z. B. Combatants for Peace, Breaking the Silence, Zochrot) als auch in Deutschland (z.B. Jüdische Stimme für gerechten Frieden). Daher: Der Anti-BDS-Antrag bekämpft nicht Antisemitismus, sondern er ist antisemitisch, indem er menschenrechtsorientierten Juden in Deutschland die Rede- und Versammlungsfreiheit nimmt.

3) Generell ist die in diesem Antrag ausgedrückte Verteufelung einer politischen Meinung ein schwerwiegender Eingriff in die Rede- und Versammlungsfreiheit im Interesse einer ausländischen Regierung. Das kann nicht Ihr Ziel gewesen sein, als Sie sich entschlossen, in die Politik zu gehen.

Begründung:

zu 1) Israel lebt auf geraubtem Land. Das Eigentum der zur Staatsgründung 1948 vertriebenen und geflohenen Palästinenser wurde 1950 auf Beschluss des israelischen Parlaments verstaatlicht und den Bewohnern die Rückkehr verweigert - entgegen allen UN-Resolutionen. Auf geraubtem Land kann man nicht in Frieden leben. Daher müsste sich Israel um einen gerechten Ausgleich bemühen. Stattdessen setzt es auf eine Politik der gnadenlosen Stärke, hat den Gaza-Streifen in einen Käfig verwandelt und bemüht sich, die Palästinenser im Jordan-Westuferland und Jerusalem zu verdrängen und zu enteignen.

BDS - "Boykott, Desinvestition, Sanktionen"- ist eine Basisbewegung der palästinensischen Zivilgesellschaft, die mit gewaltfreien Mitteln gleiche Rechte für Palästinenser verlangt. Wer BDS verurteilt, möge den Palästinensern mitteilen, welche Mittel sie zur Verfolgung ihrer Anliegen denn benutzen dürfen. Sollen es wieder Flugzeugentführungen sein wie in den 1970er-Jahren? Kollektiver Aufstand mit Steinewerfen wie in der Ersten Intifada? Bombenattacken gegen israelische Zivilbevölkerung wie vor 15 Jahren zur Zweiten Intifada?

Um diese neue Form des zivilen Widerstands klein zu bekommen, startete Israel eine ideologische Offensive, nimmt BDS aufs Korn und behauptet, dies sei antisemitisch. Das ist völliger Blödsinn. Das Erschütternde ist, wie leicht die deutsche Politik bei dieser Ideologieproduktion mitspielt. Zum Beispiel lobt der Anti-BDS-Antrag Ihrer Fraktion (II. 2) den interfraktionellen Anti-BDS-Antrag des Landtags Nordrhein-Westfalen. Dieser NRW-Antrag behauptet im ersten Absatz www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-3577.pdf .: "In Berlin haben BDS-Anhänger ein Podiumsgespräch mit einer Holocaust-Überlebenden gestürmt und diese niedergebrüllt." Dies sei "eine Schande" und "klar antisemitisch". Die Wahrheit ist: Es handelte sich bei diesem nebensächlichen Ereignis vor zwei Jahren um zwei, höchstens drei Dissidenten in einem halbleeren Seminarraum; das "Stürmen und Niederbrüllen" war ein energisches, monologisierendes Dazwischenreden aus der fünften Reihe, ohne diesen Platz zu verlassen; dies endete nach kurzer Zeit durch das Eingreifen zweier breitschultriger Ordner twitter.com/AbbsWinston/status/877889630577860608?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E877889630577860608&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.bz-berlin.de%2Fberlin%2Fmitte%2Fholocaust-ueberlebende-an-humboldt-uni-niedergebruellt .; niemals wurde ein Podium "gestürmt" - es gab gar kein "Podium" in diesem kleinen Seminarraum. Und die Pointe: Nach Aussage von Frau Weinstein, der "Holocaustüberlebenden", waren die Zwischenrufer in der Tat BDS-Anhänger, aber es seien weder blutrünstige Dschihadisten noch judenhassbesessene Germanen gewesen, sondern jüdische Israelis. www.tagesspiegel.de/berlin/vorfall-an-berliner-humboldt-uni-holocaust-ueberlebende-war-geschockt-von-stoerern/19988488.html. Hier wird also politischer Dissens jüdischer Israelis mit Tatsachenverdrehungen als "antiisraelisch" und "antisemitisch" bezeichnet - man kann wohl mit Fug und Recht sagen: verleumdet. Das ist nichts anderes als Propaganda. Es ist eine Schande, dass sich deutsche Parlamentarier dazu hergeben.

2) Aufgrund der im Antrag von CDU/CSU-SPD gelobten Anti-BDS-Initiative einzelner Städte wurden Veranstaltungen unter anderem mit dem jüdischen Deutsch-Israelis Prof. Moshe Zuckermann, Judith Bernstein, Abraham Melzer untersagt, wurde der Organisation Jüdische Stimme für gerechten Frieden (mehr als 40 jüdische Mitglieder, zum großen Teil Israelis) öffentlicher Raum für eine Preisverleihung verweigert. Gegen diese Drangsalierung menschenrechtsbetonender jüdischer Menschen erhoben viele Jüdinnen und Juden im In- und Ausland ihre Stimme, u. a. Noam Chomsky, Judith Butler, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland Shimon Stein, Prof. Rolf Verleger (Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland 2005-2009), Prof. Micha Brumlik. Ebenso protestierten gegen die Repressalien der Stadt Göttingen gegen die Preisverleihung an die Jüdische Stimme mehrere Professoren der Göttinger Universität, u. a. der Völkerrechtler Prof. Kai Ambos, die Orientalistin Prof. Irene Schneider, der Physiker Prof. Christian Jooss, sowie mehrere frühere Träger des Göttinger Friedenspreises, u. a. Konstantin Wecker und Prof. Wilhelm Heitmeyer. All diesen Menschen ist deutlich, gegen wen sich diese sogenannten "Anti-BDS"-Maßnahmen auch und überwiegend richten: Juden, die sich gegen Netanjahus radikalnationalistischen Kurs wenden.

3) Trump, Bolsonaro, Orban, Kaczynski, Wilders, Strache, Le Pen, von Storch: Radikalnationalisten auf der ganzen Welt bewundern den Staat Israel für seine nationalistische Ideologie, für seine Ausgrenzung ungewollter Einwanderer und vor allem für seine Kompromisslosigkeit gegen die vertriebenen und enteigneten Palästinenser. Wollen Sie sich wirklich mit diesen politischen Strömungen gemein machen?

Als zum ersten Mal in der Süddeutschen Zeitung über Ihre neue "Anti-BDS"-Initiative berichtet wurde - federführend von der FDP-Fraktion www.sueddeutsche.de/politik/bds-kampagne-fdp-israel-1.4410663 . -, setzten vierzehn jüdische Erstunterzeichner eine "Petition" an die FDP-Fraktion auf, in der dieser Anbiederungskurs an die AfD abgelehnt wurde und die FDP aufgefordert wird, ihren Anti-BDS-Antrag zurückzuziehen. www.openpetition.de/petition/online/wir-sagen-der-fdp-einsatz-fuer-menschenrechte-ist-nicht-antisemitisch . Einer der Erstunterzeichner war Prof. Henri Hurwitz, der 1936 als Dreijähriger mit seinen Eltern aus Berlin nach Belgien auswanderte, dort nach der deutschen Besatzung den Judenstern tragen musste und dann versteckt als Schein-Christ in einem Internat die deutsche Besatzung überlebte. Sein Vater wurde nach Auschwitz deportiert und ermordet. Wollen Sie im Sinne der "Internationalen Holocaust-Allianz" im Ernst die Frechheit besitzen, Henri Hurwitz "antisemitisch" zu nennen?

Hier geht es um Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, elementare Bestandteile des Grundgesetzes. Wollen Sie lieber das Grundgesetz an Ihre Israelpolitik anpassen als die Israelpolitik an das Grundgesetz? Wollen Sie nicht eindeutig Partei für die Menschenrechte ergreifen? Die vielbeschworene "deutsche Verantwortung" kann in nichts anderem bestehen.


Weblinks:

Fußnoten

Veröffentlicht am

17. Mai 2019

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