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Brief von Botschafterin Dr. Daibes an die Fraktionsvorsitzenden wegen Antisemitismus-Antrag

Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNE wollen diesen Freitag (17.05.2019) im Bundestag einen gemeinsam eingebrachten Anti-BDS-Antrag beschließen. Nachfolgend veröffentlichen wir den Brief von Botschafterin Dr. Khouloud Daibes an die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, Bündnis90/Die Grünen, SPD und FDP anlässlich des fraktionsübergreifenden Antrages "Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten - Antisemitismus bekämpfen":

Sehr geehrter Herr Brinkhaus, sehr geehrter Herr Dobrindt, 
Sehr geehrte Frau Nahles,
sehr geehrte Frau Göring-Eckardt, sehr geehrter Herr Dr. Hofreiter,
sehr geehrter Herr Lindner, 

der fraktionsübergreifende Antrag zur Bekämpfung des Antisemitismus gibt mir Anlass, Ihnen zu schreiben.  

Wir teilen mit Deutschland die Auffassung, dass jeder Form von Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus entschieden entgegenzutreten ist und eine rechtliche Verfolgung nach sich zu ziehen hat. In besonderem Maße schätzen wir, dass Deutschland ein offenes, tolerantes und multikulturelles Land ist, indem grundlegende Menschenrechte, wie die Rede- und Meinungsfreiheit, geschützt und gepflegt werden. Die Intention dieses Antrages, die wichtige und notwendige Bekämpfung des Antisemitismus, ist ohne Zweifel berechtigt. Jedoch lässt der Antrag eine Trennung zwischen Kritik an der israelischen Regierung und Antisemitismus vermissen, völkerrechtliche Standards werden ausgeblendet - mit verheerenden Folgen für alle Beteiligten.

Es ist für mich immer wieder alarmierend zu erfahren, wie Antisemitismus instrumentalisiert wird, um kritische Stimmen der israelischen Besatzungspolitik zu isolieren und mundtot zu machen. Diffamierungskampagnen gegen palästinensische und jüdische Solidaritätsgruppen, zuletzt bei der Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" sind inzwischen im gesamten Bundesgebiet wahrnehmbar. Selbst an Universitäten, Stätten geistiger Auseinandersetzung, können israelkritische Veranstaltungen nicht mehr stattfinden. Öffentliche Räumlichkeiten werden entzogen, DozentInnen, wie in Hildesheim und Berlin geschehen, einfach entlassen. Es ist zutiefst besorgniserregend, dass diese Ereignisse in einem freiheitlichen, demokratischen Staat geschehen, der sich für Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker international stark macht. Völlig zurecht erleben wir inzwischen einen regen Protest vieler Palästinenser, Juden und Deutscher gleichermaßen. 

Ich muss auch leider feststellen, dass in Deutschland inzwischen Unterstützer der Menschenrechte für Palästinenser als Antisemiten pauschal abgestempelt werden. Es ist völlig inakzeptabel, dass Palästinenser, Israelis und Deutsche der gewaltfreien BDS-Kampagne, die eine Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Völkerrecht anstrebt, nun auf politischer Ebene als antisemitisch diffamiert werden. BDS beinhaltet einen gewaltfreien Widerstand gegen die israelische Besatzungs- und Besiedlungspolitik, ist temporär angelegt und bis zu dem Zeitpunkt aktiv, indem der Staat Israel völkerrechtlichen Verpflichtungen entspricht. Es geht um die Beurteilung der israelischen Politik am Maßstab des internationalen Rechts. Unabhängig davon, ob Sie oder ich BDS unterstützen bzw. ablehnen, bleibt es die freie Entscheidung eines jeden Einzelnen.  

Ich befürchte, dass mit Ihrem Antrag BDS kriminalisiert wird. Im Antrag selbst wird nicht zwischen Israel und völkerrechtlich besetztem Gebiet unterschieden - ein Widerspruch zu geltendem Völkerrecht. Ein Diskurs über Menschenrechte, die universelle Rechte sind, allen Menschen, auch Palästinensern zustehen, darf nicht im Keim erstickt werden. Denn wir benötigen gerade in Zeiten wie diesen ein Klima des Vertrauens und des Gesprächs.  

Die Delegitimierung von BDS und der damit verbundenen offenen Diskussion ist ein schwerer und gefährlicher Eingriff in die demokratischen Grundrechte einer freien und engagierten Zivilgesellschaft. Deutsche, palästinensische und israelische Akteure, die sich dem Frieden verpflichtet fühlen, werden zunehmend in Unsicherheit und Angst versetzt. Ihrer wichtigen Arbeit werden Schranken auferlegt. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dringend einen Diskurs führen sollten, um Unwahrheiten, Unwissenheit und Vorurteile abzubauen. 

Ich vertraue darauf, dass Sie einen offenen Diskurs im Bundestag zulassen und die Zeit dafür verwenden, mit den Akteuren ins Gespräch zu kommen. In Anbetracht der zutiefst besorgniserregenden Folgen dieses Antrages möchte ich mich mit Ihnen und den Fraktionsmitgliedern austauschen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Khouloud Daibes, Botschafterin 


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Veröffentlicht am

17. Mai 2019

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