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Wir bomben nicht für jeden

Libyen: Marschall Haftar könnte das Land stabilisieren. Im Westen hat er trotzdem viele Gegner

Von Sabine Kebir

Die von Chalifa Haftar geführte Libysche Nationalarmee (LNA) wollte einen Schritt nach dem anderen wagen. Erst hat sie die Cyrenaika im Osten des Landes stabilisiert, dann Anfang des Jahres islamistische Verbände aus den südlichen Regionen vertrieben, schließlich am 4. April eine Offensive gegen die Tripolitanien im Westen beherrschenden Milizen eröffnet. Letzteres ist insofern ein Affront gegen die internationale Gemeinschaft, weil diese Einheiten nominell der von den Vereinten Nationen eingesetzten "Einheitsregierung" unter Premier Fayiz as-Sarradsch unterstehen, der sie aber mitnichten unter seiner Kontrolle hat. Wie zu erwarten, haben die bislang untereinander konkurrierenden Milizen seit Haftars Armee energisch vorrückt zum engeren Bündnis gefunden, weshalb noch nicht absehbar ist, wie die Schlacht um Tripolis ausgeht.

Erstaunlich ist nicht nur, dass sich die UNO dazu hergibt, die Farce einer kraftlosen Einheitsregierung zu unterstützen. Frappierend ist ebenso, dass ausgerechnet jene Staaten, die Libyen im Frühjahr 2011 mit einem massiven Militäreinsatz zerschlagen haben, jetzt verkünden, es könne für dieses Land keinesfalls eine militärische Lösung geben. Als vor acht Jahren die Afrikanische Union (AU) im Namen von 55 Mitgliedstaaten diese Position vertrat und der ehemalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki sich anbot, im Konflikt zwischen Muammar al-Gaddafi und den Rebellen aus der Region Bengasi zu vermitteln, war jede politische Lösung obsolet. Die NATO wollte von Anfang an Gaddafi stürzen. Dafür waren ihr viele Mittel recht, besonders die militärischen. Wer heute in der Person Haftars den rücksichtslosen Kriegstreiber schmäht, sollte sich etwas mehr Gedächtnis leisten.

Da es im Augenblick an Lippenbekenntnissen zu baldigen Wahlen weder bei as-Sarradsch noch bei Haftar fehlt, gilt es den Interessensgegensätzen innerhalb und außerhalb Libyens Beachtung zu schenken, die einem Urnengang im Wege stehen. Im Land selbst geht es derzeit besonders um den Zugriff auf die Erdölreserven und den Erhalt von Kriegsbeute, die sich so gut wie jeder Clanchef unter den Nagel reißen konnte. In dieser Hinsicht herrscht im tripolitanischen Teil ein nicht ausbalanciertes Chaos, das den jeweils Stärkeren begünstigt. In Haftars Osten hingegen wurde eine vom provisorischen Parlament in Tobruk ausgehende zentralisierte staatliche Struktur errichtet. Der haben sich im Januar und Februar die von Haftars Armee sofort mit Hilfsgütern ausgestatteten Bürger des befreiten Südens angeschlossen. As-Sarradsch hatte ihnen bis dahin nie etwas zukommen lassen.

Wenn die Medien in Deutschland ständig betonen, dass die Regierung in Tripolis "international anerkannt" sei, verschweigen sie zugleich, dass diese fragile Administration keine Legitimität im Lande selbst besitzt. Auch wird nie davon gesprochen, dass die internationale Anerkennung keineswegs einmütig ist, noch nicht einmal innerhalb der Europäischen Union. Ausgerechnet Frankreich, mit dem die deutsche Regierung eine enge Waffenbrüderschaft anstrebt, leistet Haftar schon lange militärischen Beistand. Da spielt es auch keine Rolle mehr, dass sich der spätere Präsident Nicolas Sarkozy 2007 von Libyens Staatsschef al-Gaddafi Gelder für seinen Wahlkampf "geliehen" hatte, dann aber zu denen zählte, die am entschlossensten zu seinem Sturz beitrugen.

Schon Sarkozys Nachfolger François Hollande hatte - gewiss mit Blick auf den Zugang zu libyschen Ölreserven - Haftars Ziel, im Krisenland wieder eine funktionierende Staatlichkeit herzustellen, ausdrücklich gutgeheißen und unterstützt. So wurde im Juni 2016 bekannt, dass drei französische Soldaten mit ihrem Helikopter bei einer Aufklärungsmission für die LNA ums Leben kamen. Diese Form des Supports setzte Emmanuel Macron nach seinem Amtsantritt 2017 fort. So bombardierten erst jüngst französische Militärjets fliehende Islamisten, die von der LNA in den Tschad zurückgedrängt wurden.

Empfang im Élysée

Chalifa Haftar, der gern den Staatsmann herauskehrt, wurde bereits zweimal von Macron im Élysée empfangen und besuchte weitere verbündete Länder, darunter Ägypten und Russland. Dass die Führung in Kairo an der Stabilisierung und an einem anti-islamistischen Kurs des großen Nachbarlandes lebhaftes Interesse hat, verwundert nicht, wohl aber, dass auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien für Marschall Haftar Partei ergreifen. Eine Folge der Frontstellung, die sich auf der Arabischen Halbinsel gegenüber Katar herausgebildet hat. Das Emirat hatte sich 2011 sehr aktiv in die Libyen-Krise eingemischt und von Bengasi aus wesentlich zum Gaddafi-Sturz beigetragen. Dabei wurde ein starker islamistischer Einfluss ausgeübt, der sich nicht wesentlich von der Ideologie beispielsweise der ägyptischen Muslimbrüder unterschied. Wie sich bei Ägypten zeigt, kann ein Land mit einer stark autoritären Regierungskultur durchaus die Hilfe Saudi-Arabiens annehmen, ohne in nennenswertem Ausmaß salafistisch zu werden. Die traditionell einem toleranten Sufi-Islam zuneigende Mehrheit der Libyer wiederum will sich weder mit der Ideologie der Muslimbrüder noch mit dem Salafismus anfreunden. Ohnehin muss Chalifa Haftar in Glaubensfragen keinerlei Konzessionen etwa gegenüber Riad machen. Dank der Rückkehr zu einer systematischen Erdölförderung ist er im Unterschied zu Ägypten auf dauerhafte finanzielle Hilfe nicht angewiesen.

Doch zurück zur EU, im Unterschied zu Frankreich drängen Italien - als ehemalige Kolonialmacht Libyens - wie die Türkei, Katar und Deutschland auf ein definitiv verbindliches Mandat für einen Premier as-Sarradsch in Tripolis. Die Regierung in Rom hat sich nur höchst widerwillig zum Kontakt mit Haftar entschlossen und polemisiert heftig gegen das Engagement Frankreichs, das - wie sich Innenminister Matteo Salvini empörte - "kein Interesse an der Stabiliserung Libyens" habe. Was darauf zurückzuführen sei, dass "Frankreichs Interessen in Libyen denen Italiens klar zuwiderlaufen".

Telefonat mit Trump

Immerhin hat sich Paris einer am 11. April von Federica Mogherini, der EU-Außenbeauftragten, verfassten Erklärung angeschlossen, die darauf verweist, dass der "militärische Angriff der LNA auf Tripolis und die darauffolgende Eskalation Zivilisten in Gefahr bringt, einschließlich Migranten und Flüchtlingen". Dadurch werde der "von den Vereinten Nationen geführte politische Prozess behindert". Doch hat es die Pariser Diplomatie vermieden, die Schuld an der jetzt entstandenen Situation allein Marschall Haftar zuzuschreiben. Eine diesen einseitig verurteilende, am 18. April von Großbritannien in den UN-Sicherheitsrat eingebrachte Resolution scheiterte bemerkenswerterweise am Veto Russlands - und der USA. In einem anschließenden Telefongespräch mit Haftar lobte Donald Trump dessen "Kampf gegen den Terrorismus". Allerdings haben die Vereinigten Staaten damit nur scheinbar die Seiten gewechselt. Da Haftar über viele Jahre im Dienst des CIA stand und womöglich noch steht, dürften die US-Interessen in Libyen ohnehin gesichert sein.

Ungeachtet dessen sollten an einer politischen und militärischen Stabilisierung des Krisenbogens in Nordafrika außer den Libyern selbst die Europäer besonders interessiert sein. Haftar war immerhin in der Lage, die Südgrenzen des Landes zu sichern. Eher als die größtenteils selbst in den Menschenhandel verwickelten Milizen Tripolitaniens könnte er zum Ansprechpartner werden, um das Schicksals der gut 750.000 Flüchtlinge zu regeln, die unter menschenunwürdigen Bedingen in Libyen feststecken. Die Europäer müssen partikulare Interessen zügeln und sich ernsthaft fragen, ob sie weiter einem "failed state "den Vorzug geben, wie er sich rings um Tripolis herausgebildet hat, oder die Kräfte unterstützen, denen es gelingen kann, eine erneuerte Staatlichkeit auf den Weg zu bringen. Noch wird orakelt, dass Haftar ein "neuer Gaddafi" sei, der die "Ideale der Revolution von 2011" verraten habe. In den Ohren der Bürger Libyens kann das nur zynisch klingen. Für sie wurde bisher nichts aus diesen Idealen, weshalb sie sich nach einem endlich wieder gesicherten Alltagsleben sehnen. Den Kampf um Demokratie müssen sie selber führen.

Quelle: der FREITAG vom 28.04.2019. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

29. April 2019

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