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Tobias Pflüger: “Wir müssen uns als Friedensbewegung in den Europawahlkampf einmischen”

Von Tobias Pflüger - Rede beim Ostermarsch in München am 20.4.2019

Liebe Münchnerinnen und Münchner, liebe Ostermarschiererinnen und Ostermarschierer,

gerade eben wurde beschrieben, seit wann die Friedensbewegung auf die Straße geht. Ein ganz wichtiger Punkt, warum wir zum Beispiel in den 80er Jahren auf die Straße gegangen sind: damit es keine Stationierung von Mittelstreckenraketen gibt. Die sind damals stationiert worden, aber im Jahr 1987 gab es dann den sogenannten INF-Vertrag. Der hat geregelt, dass in Mitteleuropa keine atomaren Mittelstreckenraketen stationiert werden. Ronald Reagan und Gorbatschow haben das damals unterschrieben, und wir als Friedensbewegung waren ein wesentlicher Teil dafür, dass es diesen Vertrag gegeben hat. Und jetzt hat der neue US-amerikanische Präsident Donald Trump genau diesen INF-Vertrag gekündigt. Und wir sagen von hier aus klipp und klar: Wir wollen nicht, dass dieser INF-Vertrag endgültig gekündigt wird. Und wir wollen keine neue Stationierung von Mittelstreckenraketen hier in Mitteleuropa.

Die Bundesregierung hat leider eine völlig unzureichende Position dazu eingenommen. Sie hatten nämlich die US-amerikanische Lesart übernommen und gesagt: Ausschließlich Russland habe gegen diesen Vertrag verstoßen. Und ich sage klipp und klar: Was notwendig gewesen wäre, ist, dass die Bundesregierung hier eine Vermittlerrolle einnimmt, und dafür sorgt, dass dieser Vertrag nicht gekündigt wird. Das hat die Bundesregierung nicht getan, und wir fordern sie dazu auf, jetzt in die Verhandlung zu gehen.

Wenn dieser Vertrag gekündigt bleibt, wird das dafür sorgen, dass neue Mittelstreckenraketen und neue Atomwaffen stationiert werden. Und liebe Freundinnen und Freunde, ich will das mal konkret machen: Wir haben derzeit zwanzig Atomwaffen der USA in Büchel stationiert. Wir fordern den Abzug dieser Atomwaffen aus Büchel. Und wenn dieser Vertrag gekündigt bleibt, wird das zu einer neuen Rüstungsspirale führen. Und deshalb sind wir auf der Straße, um gegen dieser Rüstungsspirale zu demonstrieren.

Leider ist es so, dass diese atomaren Waffen nur ein Teil der derzeitigen Rüstungsspirale sind. Wir haben den höchsten Militärhaushalt in der Bundesrepublik, den es je gegeben hat: 43,2 Milliarden Euro. Nach NATO-Kriterien sogar 45,1 Milliarden Euro.

Liebe Freundinnen und Freude, das ist viel zu viel Geld, das für den Militärbereich ausgegeben wird. Wir wissen, wo Gelder wirklich benötigt werden - zum Beispiel im Sozialbereich. Wir wollen nicht, dass diese Aufrüstung mit 45 Milliarden Euro passiert.

Mit diesem neuen Militärhaushalt werden Waffen angeschafft, zum Beispiel. Ich sitze im Verteidigungsausschuss, und ich darf dann dort regelmäßig über sogenannte 25-Mio-Vorlagen abstimmen. Mir ging es auch wie den meisten hier auch, ich habe noch nie über so viele Millionen abgestimmt. Und da gehen in den Sitzungen zum Teil vier oder fünf solche Projekte pro Sitzung über den Tisch. Da gibt es dann einen Militärairbus A400M, und wenn er nicht so richtig tut, kauft man gleich ein Hercules-Transportflugzeug dazu. Das eine kostet 6,4 Milliarden, das andere 2,1 Milliarden. Dann gibt es Fregatten und Korvetten, und dann gibt es neue Panzer.

Liebe Freundinnen und Freunde, Ursula von der Leyen hat jetzt mitgeteilt, dass sie dafür sorgen will, dass es diese ganzen Rüstungsprojekte - wie sie sagt - endlich angeschafft werden. Wir sagen: Nein! Wir wollen keine Anschaffung dieser Rüstungsprojekte. Wir wollen einen Stopp dieser Rüstungsprojekte. Und dann gibt es das Phänomen, dass wenn Rüstungsprojekte angeschafft werden, dann werden sie auch exportiert. In den Unterlagen, die uns im Verteidigungsausschuss vorliegen, heißt es immer: Dieses Projekt hat sehr gute Aussichten auf dem Weltmarkt im Export. Oder dieses Projekt kann noch quasi besser gefördert werden, damit es besser Aussichten hat.

Liebe Freundinnen und Freude, wir müssen uns dessen klar sein, wenn etwas bei der Bundeswehr beschafft wird, geht es nachher auch in den Export. Und ich will klipp und klar sagen: Rüstungsexporte sind für mich eines der schlimmsten Übel dieser Zeit. Und deshalb sagen wir: Wir wollen, dass Rüstungsexporte gestoppt werden!

Und jetzt hat diese Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag gesagt, dass sie nicht an Länder liefert, die im Jemen Krieg führen.

Liebe Freundinnen und Freunde, wir sind hinters Licht geführt worden. Jetzt ist im Bundessicherheitsrat beschlossen worden, dass man weitere Lieferungen über Frankreich mit Endverbleib in Saudi-Arabien macht. Ich kann nur sagen: Wir werden dagegen demonstrieren, so dass es nicht zu diesen Exporten kommt, denn diese Exporte sind Teil von diesem tödlichen Krieg, der dort geführt wird. Keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien!

Ich will auch klipp und klar sagen: Ich bin nicht bereit, mich weiter anlügen zu lassen von dieser Bundesregierung. Das eine in den Koalitionsvertrag schreiben, und das andere tun. Nein! Wir wollen tatsächlich, dass es keine Rüstungsexporte gibt. Und ich will das auch für München sehr konkret machen: München ist einer der Rüstungsstandorte, der besonders wichtigen Rüstungsstandorte der Bundesrepublik. Hier hat zum Beispiel die Firma Krauss-Maffei Wegmann ihren Sitz. Oder auch Firmen wie Diehl sind sehr wichtig. Und diese Rüstung, die findet auch von hier aus statt. Deshalb sagen wir: Was wir brauchen, ist eine Umwandlung dieser Rüstungsindustrie-Betriebe. Wir wollen Konversion. Wir wollen, dass Ziviles hergestellt wird und nicht Waffen für den Krieg und für den Tod. Wir fordern Rüstungskonversion.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben selbst Firmen wie Heckler & Koch Nähmaschinen hergestellt. Und es ist möglich, zum Beispiel im Bereich der Militärelektronik problemlos auf den zivilen Bereich umzuschalten. Und wenn es Schwierigkeiten gibt, bin ich gerne dafür, dass man auch staatliche Hilfen dafür gibt, dass es eine Umwandlung von militärischer in ziviler Produktion gibt. Aber wir wollen, dass endlich aufgehört wird, Waffen zu produzieren.

Jetzt hat die Bundesregierung beschlossen, und wir kriegen das in jeder Rede im deutschen Bundestag von den Regierungsparteien zu hören, dass sie sich an das 2-Prozent-Ziel der NATO halten werden.

Liebe Freundinnen und Freunde, was bedeutet das? Wir haben jetzt einen Militärhaushalt von 43,1 Milliarden. 2 Prozent würden bedeuten 60 bis 70 Milliarden Euro. Je nachdem, wie das Bruttoinlandsprodukt sich entwickelt. Und ich will das mal sehr deutlich machen: Wenn wir aus dem Bereich Arbeit und Soziales die Renten rausrechnen - was genau 100 Milliarden sind, dann ist ab diesem Jahr der Militärhaushalt der größte Haushalt, den dieser Gesamthaushalt hat. Ich kann nur sagen: Genau das wollen wir nicht. Wir wollen, dass endlich die Gelder umgeschichtet werden vom militärischen in den zivilen Bereich.

Jetzt ist es ja so, dass wir gerade eben überall Plakate sehen zur Europawahl. Und ich bin sehr dafür, dass wir uns mal mit dem konkret beschäftigen, was dort eigentlich real zur Wahl steht. Es gibt inzwischen in der Europäischen Union die sogenannte mittelfristige Finanzplanung für die Jahre 2021 bis 2027. Und es gibt einen vorgelegten Haushalt, der vom zukünftigen Europäischen Parlament verabschiedet werden soll. Also von den Abgeordneten, die dann gewählt sind. Und es gibt erstmals zwei neue Haushaltstitel. Der eine heißt "Migration und Grenzschutz", und der andere heißt "Verteidigung". Es sind neu geschaffene Haushaltstitel im Bereich der Europäischen Union. Und der Titel "Migration und Grenzschutz", der soll um 187 Prozent steigen. Damit sollen vor allem solche Einrichtungen wie Frontex finanziert werden. Frontex ist eine Einrichtung, da geht es insbesondere darum, Flüchtlinge zu bekämpfen. Und ich will klipp und klar sagen: Wir sind gegen eine Einrichtung wie Frontex und eine Aufrüstung von Frontex mit Soldaten und Militär. Wir wollen keine militärische Flüchtlingsabwehr. Statt die Menschen zu bekämpfen, wäre sinnvoll, aufzuhören, die Waffen zu liefern.

Der zweite Bereich, der neu geschaffen wird, ist der Bereich "Verteidigung". An diesem Donnerstag in der letzten Sitzung des Europäischen Parlamentes wurde über den sogenannten Europäischen Verteidigungsfonds abgestimmt. Dieser Europäische Verteidigungsfonds wird 13,5 Milliarden beinhalten, und mit dem werden in Zukunft gemeinsame Rüstungsprojekte der Europäischen Union finanziert. Das Ganze wird deklariert als Industrieförderung. Ja! Es wird als Industrieförderung deklariert, damit man den Lissabon-Vertrag, der der gültige EU-Vertrag ist - 41-2 sagt: keine Gelder aus dem EU-Haushalt dürfen für Militärisches benutzt werden - damit man den quasi umgehen kann.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich weiß, diese Informationen sind für die meisten neu. Was wir aber haben, ist, dass tatsächlich der EU-Haushalt für Militärisches genutzt wird, und genau das wollen wir nicht. Wir wollen eine zivile Europäische Union und keine militärische Europäische Union. Und genau diese Projekte sollen auch dann verstärkt nach außen exportiert werden. Jetzt gibt es ja solche Leute wie die Frau Kramp-Karrenbauer, die weitere Rüstungsprojekte vorschlagen, die sehr realistisch sind. Sie will einen deutsch-französischen Flugzeugträger. Ich kann nur klar sagen: Erstens hat die Frau keine Ahnung, von was sie redet. Und zweitens, das wäre die Speerspitze dieser Aufrüstung. Wir wollen weder einen deutsch-französischen Flugzeugträger noch wollen wir ein deutsch-französisches neues Kampfflugzeug. Wir wollen, dass deutsch-französisch abgerüstet und nicht aufgerüstet wird.

Ein ganz wesentliches Projekt der Europäischen Union ist das sogenannte Military Mobility Program. Dieses Military Mobility Program, dafür sollen 6,5 Milliarden Euro ausgegeben werden, und damit wird die gesamte Infrastruktur der Europäischen Union - wie es so schön heißt - panzertauglich gemacht. Ja, es sind Gelder der Europäischen Union, die dafür benutzt werden. Und für was werden die panzertauglich gemacht? Damit der Aufmarsch Richtung Russland, dass der quasi von der Infrastruktur her geht. Ich kann nur klar sagen: Das ist überhaupt keine Aufgabe der Europäischen Union. Und das ist eine Teilnahme der Europäischen Union an der Aufrüstung gegenüber Russland, und die wollen wir nicht. Wir sagen Nein zu diesem Military Mobility Program.

Ja! Die ganzen Zeichen stehen auf Aufrüstung. Die NATO hat neue Kommandos geschaffen. Am Donnerstag habe ich beim ersten Ostermarsch in Ulm gesprochen. In Ulm soll ein neues Kommando der NATO geschaffen werden: das Joint Support and Enabling Command. Damit sollen die Truppen kommandiert werden, die in den Osten gebracht werden. Im Moment sind es 4.000 Soldaten, 4 mal 1.000, 1000 befehligt die Bundesrepublik. Und es gibt Manöver wie Trident Juncture mit bis zu 20.000 Soldaten. Und mit diesem Programm der Europäischen Union wird die Logistik organisiert, und die NATO organisiert die Befehlsgewalt von Ulm aus. Ich sage klipp und klar: Wir wollen nicht, dass gegenüber Russland aufgerüstet wird - weder von der Europäischen Union noch von der NATO. Es braucht keine neuen Kommandos, es braucht Abrüstung!

Dieses Joint Support and Enabling Command in Ulm ist sehr ehrlich. Es wird beschrieben, was der Raum ist, für den es zuständig ist. Der geht von Grönland über gesamt Europa bis Afrika und alle Randmeere. Das ist der Bereich, von dem aus in Zukunft quasi dieses Kommando agieren soll. Ich kann nur klar sagen: Ja, sie werden ehrlicher. Wenn ich zum Beispiel an einem Manöver teilnehme im Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr in Magdeburg, dann wird dort geübt Blau gegen Rot. Blau ist die Bundeswehr. Und Blau nimmt den Ort ein, und wir haben zugeguckt, wie quasi die Bundeswehr einen Ort eingenommen hat. Ja, es eine Angriffsaktion, die die Bundeswehr dort geübt hat. Das ist inzwischen Stand der Dinge bei der Bundeswehr, bei der NATO und bei der Europäischen Union. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir die verschiedenen Punkte kritisieren, wo diese Aufrüstung gerade stattfindet. Ein Teil davon sind die Rüstungsfirmen und die Rüstungsexporte, ein anderer Teil sind die Auslandseinsätze.

Vor kurzem wurde im Bundestag der Auslandseinsatz nach Afghanistan verlängert. Die ablehnenden Voten haben zugenommen, aber gleichzeitig hat diese Regierungskoalition diesen Einsatz nach wie vor weiter beschlossen. Wir sagen: Es darf keine Auslandseinsätze der Bundeswehr geben, und wir fordern zum Beispiel einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Und in dem Kontext eine Geschichte, die mich richtig wütend macht. Nach Afghanistan - ich war zweimal inzwischen dort - nach Afghanistan werden bis heute Menschen abgeschoben mit der Begründung, dieses Land sei sicher. Und man stationiert Truppen mit dem Hinweis: Das Land sei nicht sicher. Ich kann nur klar sagen: Einigt euch! Und es ist nicht sicher, das ist meine Erfahrung, weil wir durften zum Beispiel gar nicht nach Kabul - wie das geplant war - von Mazar-e Sharif aus. Und ich kann nur klar sagen: Wer heutzutage Menschen nach Afghanistan abschiebt, macht unmenschliche Politik und das wollen wir nicht.

Der Seehofer hat ja jetzt ein Gesetz vorgelegt, in dem er denjenigen, die Geflüchteten helfen, androht, quasi sie zu kriminalisieren. Zum Beispiel, wenn man Menschen dabei hilft, dass sie irgendwo unterkommen, oder wenn man Menschen dabei hilft, weiter zu fliehen. Ich kann nur klar sagen: Wenn dieses Gesetz so umgesetzt wird, wie es geschrieben ist, dann ist jetzt wieder die Zeit des zivilen Ungehorsams. Dass wir sagen, selbstverständlich nehmen wir die Menschen auf, und werden gegen dieses Gesetz verstoßen, weil es unmenschlich ist. Und weil es richtig ist, die Menschen aufzunehmen.

Lasst mich zum Ende formulieren: Der Ostermarsch ist ein sehr wichtiges Zeichen dafür, dass wir endlich Abrüstung bekommen und nicht diese Aufrüstung auf allen Ebenen, die ich Euch beschrieben habe. Wir müssen uns unter anderem jetzt als Friedensbewegung in diesem Europawahlkampf einmischen und sagen: Wir wollen Abrüstung auch im Bereich der Europäischen Union und keine Aufrüstung. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir als Friedensbewegung präsent sind. Und dafür ist dieser Münchner Ostermarsch meiner Ansicht nach ein sehr gutes Zeichen gewesen. Ich danke Euch ganz herzlich! Alles Gute!

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Standpunkt 2019/016. Siehe auch: https://www.youtube.com/watch?v=wG7LRe7JPtw .


Bundesweit: Ostermärsche und -aktionen 2019

Auf der Website von Netzwerk Friedenskooperative finden sich:

Auf der Lebenshaus-Website finden sich:

Veröffentlicht am

24. April 2019

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