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Die Weiße Rose. Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden.

Von Michael Schmid - Buchrezension

Die "Weiße Rose" ist eine der bekanntesten Widerstandsgruppen in der deutschen Geschichte. Vor allem Sophie Scholl und Hans Scholl werden immer wieder als leuchtende Vorbilder genannt. Doch warum hatten gerade diese Geschwister und ihre Mitstreiter den Mut, sich gegen das nationalsozialistische Unrechtssystem aufzulehnen?

Die Historikerin und Autorin Miriam Gebhardt sucht in den Biografien der Aktivisten die individuellen Voraussetzungen des Widerstands und fragt, welche Ressourcen aus Kindheit, Familie, Umfeld und Erfahrung sie gegen den übermächtigen Gruppendruck der "Volksgemeinschaft" immunisiert hatten.

Im ersten Teil ihres Buches "Die Weiße Rose" werden die Biographien jener sechs Menschen nachgezeichnet, die zum inneren Zirkel der "Weißen Rose" gerechnet werden müssen. So entstehen lebendige Bilder von Sophie und Hans Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf sowie Prof. Dr. Kurt Huber. Dabei stellt die Autorin einige Übereinstimmungen fest: "Alle sechs Protagonisten teilten vielfältige musische und intellektuelle Ressourcen dank ihrer bürgerlichen oder sozial aufstrebenden Familien" und alle "hatten in der Kindheit mit einschneidenden Verlusten und gesellschaftlichen Makeln zu kämpfen". Gebhardt arbeitet heraus, dass dadurch Persönlichkeitsentwicklungen hin zu innerer Autonomie stattgefunden hätten, die es ermöglichten, sich ein Stück weit vom allgemeinen Gruppendruck zu distanzieren und sich zu fragen, was der eigene moralische Kompass sei. Für die Entscheidung zum Handeln sei dann das Gefühl ganz wichtig gewesen, dass sie ständig in der eigenen Lebensplanung aufgehalten worden seien oder eine solche verhindert worden sei. Nach der Schule habe der Staat zum Kriegshilfsdienst oder zum Reichsarbeitsdienst oder an die Front gerufen. Die Frustration, nie mit einem eigenen, selbst bestimmten Leben beginnen zu können, habe sich immer weiter aufgebaut.

Das Erleben einer allgemeinen Entrechtung und Freiheitsberaubung im Führerstaat, das Wissen um die Ermordung von Juden, der Krieg und andere nationalsozialistische Verbrechen - dazu wollte der Freundeskreis nicht mehr schweigen und prangerte dies in seinen insgesamt sechs Flugblättern an. Er rief damit zum Widerstand gegen die Diktatur des Nationalsozialismus auf.

Nach dem biographischen Aufriss folgt im zweiten Teil des Buches eine spannende Darstellung der Ereignisse rund um die "Weiße Rose" und deren Aktionen, die schließlich mit der Festnahme der beiden Scholl-Geschwister am 18. Februar 1943 beim Flugblattverteilen in der Ludwig-Maximilians-Universität einen abrupten Einschnitt erfuhren.

Der dritte Teil des Buches handelt von der Verfolgung und Verhaftung weiterer Menschen aus der "Weißen Rose", den Verhören und Prozessen, Hinrichtungen und davon, wie es nach ihrem grausamen Ende weiterging.

Alle sechs Personen, die dem inneren Kreis der "Weißen Rose" angehört hatten, wurden in zwei Prozessen im Februar und April 1943 zum Tode verurteilt und unmittelbar nach dem Prozess oder im weiteren Verlauf des Jahres 1943 mit dem Fallbeil hingerichtet. Dazu kamen die Verhaftungen zahlreicher weiterer Menschen, die logistisch an den Flugblattaktionen beteiligt gewesen waren. Rund 60 Mitstreiterinnen und Mitstreiter wurden in mehreren Prozessen angeklagt und zum Teil zu langen Haftstrafen verurteilt. Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn, die das sechste Flugblatt abgetippt und darübergeschrieben: "Und ihr Geist lebt trotzdem weiter!" und dieses in Umlauf gebracht hatten, wurden im Oktober 1943 festgenommen. Leipelt wurde ebenfalls zum Tode verurteilt und starb im Januar 1945 unter dem Fallbeil.

Mit dem Nachzeichnen der eindrucksvollen Biographien aller sechs zum inneren Zirkel der "Weißen Rose" zählenden Menschen gelingt es der Autorin, die im Gedenken fragwürdige Ungleichbehandlung der Aktivisten aufzubrechen. Sie vertritt die m.E. zutreffende Meinung, dass oftmals nur die Geschwister Scholl mit der "Weißen Rose" gleichgesetzt werden. Die Erinnerung an den Freundeskreis sei heute von den Namen Hans und Sophie Scholl derart beherrscht, "dass die anderen Protagonisten im kollektiven Vergessen unterzugehen drohen." Insbesondere Sophie Scholl sei erst nachträglich zur Ikone des Münchner Studentenwiderstands gemacht worden, "aber für die Aktionen der Widerstandsgruppe waren andere Mitstreiter genauso wichtig oder sogar wichtiger, als sie." Wobei die Autorin bei aller Relativierung der besonders herausragenden Rolle von Sophie Scholl keinen Zweifel daran lässt, dass sie in ihr eine beeindruckende junge und mutige Frau sieht, die "emanzipiert, klug, sensibel, eigenständig" gewesen sei.

Bewusst wurde mir beim Lesen des Buches von Miriam Gebhardt, dass die Botschaft der "Weißen Rose" über 75 Jahre nach ihren Aktionen immer noch wichtig ist. Es braucht auch heute Menschen, "die sich trauen, widerständig zu denken und zu handeln", wo immer auch Unrecht geschieht und Demokratie gefährdet wird. Menschen, "die autonom bleiben, das heißt ihre innere Distanz und ihren moralischen Kompass auch unter großem sozialen Druck nicht verlieren."

Beim Lesen habe ich Miriam Gebhardts Buch als spannend und gewinnbringend empfunden und kann es nur weiterempfehlen!

Miriam Gebhardt: Die Weiße Rose. Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden. Pantheon Verlag 2018. 368 Seiten. 13,00 €. ISBN 978-3-570-55369-5.

Veröffentlicht am

18. September 2018

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