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Boykott gegen Boykott

Ein Buch über die BDS-Kampagne meidet klare Aussagen über die Zukunft des palästinensisch-israelischen Verhältnisses

Von Sabine Kebir

Die seit 2005 bestehende internationale BDS-Kampagne steht für "Boycott, Divestment, Sanctions" und soll die Regierungspolitik Israels gegenüber den Palästinensern ächten. Dabei beschränken sich Aktionen und Aufrufe nicht nur auf materiellen Boykott, sondern gelten auch kulturellen und akademischen Aktivitäten. Die vor allem sind das Thema des Buches Legitimer Protest, geschrieben vom israelischen Filmemacher Eyal Sivan und von der französischen Dokumentarfilmproduzentin Armelle Laborie. Die Autoren belegen ausführlich, welche enormen finanziellen Mittel Israel in den vergangenen Jahrzehnten aufgebracht hat, um sich im Ausland als kulturell moderner und wissenschaftlich wie politisch progressiver Staat darzustellen. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, als Teil der westlichen demokratischen Welt wahrgenommen zu werden. Und das, obwohl nicht einmal die Mehrzahl der jüdischen Bewohner Israels aus Ländern mit westlich-demokratischen Traditionen stammt. So kommen weder arabische noch äthiopische Juden noch israelische Palästinenser, geschweige denn Palästinenser in den besetzten Gebieten in dieser Außendarstellung in angemessener Weise vor. Dies gilt ebenso hinsichtlich der Budgets für Kultur, Bildung und Wissenschaft des Staates, die unproportional den Metropolen, besonders Tel Aviv, zugutekommen.

Öffentlich delegitimiert

Das Mitte Juli von der Knesset verabschiedete Nationalstaatsgesetz, das den exklusiv jüdischen Charakter Israels festschreibt, besiegelt inzwischen die bereits vorhandenen und künftigen Diskriminierungen wie die Abschaffung des Arabischen als zweiter Amtssprache. Das Gesetz wirkt wie aus der Zeit gefallen: Diskriminierungsfreie Multikulturalität gilt allgemein als anzustrebendes gesellschaftliches Ziel der Demokratie. Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim schrieb im Wochenblatt Die Zeit, dass er sich jetzt schäme, Israeli zu sein.

Wegen der schon lange realen und nun nochmals gesetzlich verfestigten Diskriminierung nicht-jüdischer Bürger ist eine Legitimität des gewaltfreien kulturellen und akademischen Boykotts von Veranstaltungen und Institutionen des israelischen Staates im In- und Ausland ableitbar, so die BDS-Kampagne. In der Tat haben sich wissenschaftliche Einrichtungen beispielsweise in den USA und Großbritannien daran beteiligt, dazu bedeutende Künstler und Intellektuelle wie Ken Loach, Alice Walker, Toni Morrison, Sinéad O’Connor, Roger Waters und Annie Lennox.

Das vorliegende Buch liefert keine tiefere Analyse, ob der Boykott wirklich erfolgreich war oder nicht eher kontraproduktiv wirkt, weil er Israel zu Anstrengungen anspornt, Boykotte und Kampagnen nicht nur gegen BDS-Aktivisten, sondern quasi gegen alle durchzusetzen, die kulturell, intellektuell und akademisch die Rechte der Palästinenser einklagen. Sie werden kurzerhand zu Antisemiten erklärt und öffentlich delegitimiert. In deutschen Großstädten wird mittlerweile jüdisch-israelischen Kritikern der Besatzungspolitik wie Moshe Zuckermann, Abi Melzer und Jeff Halper die Genehmigung für Vorträge in Schulen und anderen öffentlichen Räumen verweigert. Da der gegenseitige Boykott von sehr ungleichen Seiten praktiziert wird, kommt es letztlich dazu, dass der palästinensischen Sache jegliche Bühne in der internationalen Öffentlichkeit fehlt.

Problematisch ist sicher die von der BDS-Bewegung vertretene Auffassung, dass auch israelische Wissenschaftler und Künstler, die sich gegen Diskriminierungen und für ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Juden und Palästinensern einsetzen, boykottiert werden müssen - und zwar nicht nur, weil ein Teil von ihnen beim harten militärischen Eingreifen im Gazastreifen dann doch nicht die Stimme erhebt, sondern auch, weil ihnen bei der Kulturoffensive der Regierung Netanjahu eine Alibifunktion zukommt. Gewiss werden Autoren wie Amoz Oz, Sami Michael und andere Intellektuelle in diesem Sinn instrumentalisiert. Ist es trotzdem richtig, mit ihnen nicht mehr zu diskutieren und sie in ihrer Haltung nicht zu bestärken? Moshe Zuckermann sagt dazu, dass tatsächlich besatzungskritische Intellektuelle aus dem Ausland Einladungen israelischer Universitäten nicht angenommen hätten. Dies führe zu dem Effekt, dass die Auftritte rechter Intellektueller aus dem Ausland in Israel umso mehr Gewicht hatten.

Auf Dialog setzen

Irritierend ist auch, dass BDS als ein dezentrales Netz von Initiativen keine klaren politischen Vorschläge zur Lösung des Konflikts unterbreitet. An einer Stelle des Buchs von Sivan und Laborie wird die Zweistaatenlösung mit der Begründung abgelehnt, die Linkszionisten hätten damit den exklusiv jüdischen Staat im Blick. Das mag sein, doch wäre die Zweistaatenlösung derzeit immer noch am ehesten geeignet, die Gewalt einzudämmen und den Palästinensern eine Chance zu bieten, eigene Wirtschaftsdynamik zu entfalten. Präzisiert wird die von BDS favorisierte Einstaatenlösung nicht. Nur erscheint gerade das unverzichtbar. Sie kann schließlich bedeuten: "Alle Juden ins Meer" - oder gleichberechtigtes Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem gemeinsamen, wirklich demokratischen Staatswesen. Das Offenhalten von Bedeutungen macht BDS angreifbar, gerade durch die finanziell bestens ausgestattete Kulturoffensive Israels, der es damit leicht gemacht wird, BDS für "antisemitisch" zu erklären.

Ein Fazit wäre, BDS nur nach reichlicher Abwägung zu praktizieren, wenn es um Kooperation mit wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen geht, die an einer militärischen oder ideologischen Vertiefung des Konflikts beteiligt sind. Den Dialog mit Israelis abzubrechen, die Diskriminierung und Besatzung kritisieren oder wenigstens anzweifeln, wäre kontraproduktiv - gerade angesichts des wachsenden Widerstands gegen Netanjahus Nationalstaatsgesetz.

Legitimer Protest. Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels. Eyal Sivan/Armelle Laborie, Promedia Verlag Wien 2018, 184 Seiten, 17,90 €.

Quelle: der FREITAG vom 27.08.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

28. August 2018

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