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Überlebenswichtig!

Von Michael Schmid

"Überlebenswichtig. Warum wir einen Kurswechsel zu echter Nachhaltigkeit brauchen" lautet der Titel des jüngsten Buches des brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff. Tatsächlich verspricht dieser Titel nicht zu viel. Boff zeigt eindrücklich auf: "Die gegenwärtige Situation ist in sozialer wie in ökologischer Hinsicht so schlimm, dass uns ein Weitermachen wie bisher - in der Art und Weise, die Erde zu bewohnen, zu produzieren, die Güter zu verteilen und zu konsumieren, wie sie sich in den letzten Jahrhunderten entwickelt hat - nicht die Bedingungen garantiert, um unsere Zivilisation, ja vielleicht nicht einmal die Spezies Mensch insgesamt, zu retten."

Es kann ihm kaum widersprochen werden, wenn er in einer Bestandsaufnahme zum Ergebnis kommt, dass sich die meisten für das Leben entscheidenden Faktoren - Wasser, Luft, Boden, Artenvielfalt, Wälder, Energie usw. - in einem beschleunigten Prozess des Niedergangs befänden. Wirtschaft, Politik, Kultur, Umweltmanagement und die Globalisierung allgemein verfolgten einen Kurs, der angesichts der Dimension der Plünderung von Ressourcen sowie der Schaffung von Ungleichgewicht und Konflikten zwischen den Völkern und anderer sozialer Verwerfungen nicht als nachhaltig bezeichnet werden könne. Nachdrücklich warnt er: "Wir müssen uns ändern. Andernfalls könnten wir bald äußerst dramatischen Situationen ausgeliefert sein, ja es könnte sogar die Zukunft der Gattung Mensch gefährdet sein bzw. das Gleichgewicht der Erde schwer beeinträchtigt werden."

Boff betont, das Schlimmste, was wir tun könnten, sei, nichts zu tun und zuzuschauen, dass die Dinge weiter ihren gefährlichen Gang gingen. Die notwendigen Veränderungen müssten auf ein neues Paradigma hinsichtlich unseres Verhältnisses zu Erde und Natur sowie unserer Art, zu produzieren und zu konsumieren, abzielen. "Dies bedeutet eine neue Etappe der Zivilisation, die stärker von der Liebe zum Leben, von einem guten Verhältnis zur Ökologie, vom Respekt gegenüber den Rhythmen, Fähigkeiten und Grenzen der Natur geprägt ist." Eindringlich mahnt er: "Uns bleibt nicht mehr viel Zeit zum Handeln. Und wir verfügen auch nicht über viel Weisheit und Willen zum Zusammenschluss, um die gemeinsame Gefahr zu bestehen. Mehr als jemals zuvor wäre hier das Wort Revolution im eigentlichen Sinne des Wortes am Platz." Dabei meint er Revolution "nicht im Sinne von bewaffneter Gewalt, sondern im analytischen Sinne von radikaler Richtungsänderung des Laufs der Geschichte, um das Überleben der Spezies Mensch und anderer Lebewesen zu gewährleisten und den Planeten Erde zu erhalten."

Im Zusammenhang mit dem von ihm diagnostizierten Alarmzustand stellt Leonardo Boff seine Überlegungen zur Nachhaltigkeit an. Und zwar zu einer Nachhaltigkeit, die etwas völlig anderes ist, als das vielfach gebrauchte Wort "Nachhaltigkeit" im Sinne einer Scheinökologie, das dazu dient, Probleme zu verschleiern, "die aus der Aggression gegenüber der Natur, der chemischen Kontaminierung der Nahrungsmittel und eines Marketings entstehen, das nur auf Verkauf und Profit aus ist." Dass wir unterscheiden lernen, was Nachhaltigkeit ist und was nicht, ist deshalb ein wichtiges Ziel von Boffs Buch.

Was er unter echter Nachhaltigkeit versteht und wie ein völlig neues zivilisatorisches Modell aussehen könnte, das entwickelt Boff mit großem Sachverstand und mit einer gehörigen Portion Begeisterung. Als eine wichtige Quelle der Inspiration sieht der ehemalige Franziskaner Leonardo Boff übrigens die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus, auf die er immer wieder Bezug nimmt und daraus zitiert.

Auch wenn Boff einen desaströsen Zustand der Erde aufzeigt, so ist er doch voller Hoffnung, dass es gelingen wird, einen "Bruch mit dem derzeitigen Paradigma der Herrschaft und der Eroberung herbei(zu)führen und es durch das Paradigma der Achtsamkeit und der gemeinsamen Verantwortung (zu) ersetzen."

Inhaltlich ein insgesamt höchst interessantes Buch, das gleichzeitig gut verständlich geschrieben ist. Es lenkt den Blick auf eine große Weite und Komplexität der Zusammenhänge des Lebens. Für mich enthält es zahlreiche Herausforderungen, nicht zuletzt an meinen eigenen Lebensstil. Und nachdem ich es durchgearbeitet habe, kann ich feststellen, dass meine Markierungen für wichtige Stellen fast den gesamten Text umfassen. Es gibt also kaum einen Satz, den ich nicht bemerkenswert und wichtig fände. Deshalb kann ich es nachdrücklich zur Lektüre empfehlen.

Autoren-Porträt von Leonardo Boff

Leonardo Boff, geb. 1938 in Brasilien, Professor für Theologie, Ethik und Spiritualität, zahlreiche Gastprofessuren in USA und Europa. Er zählt zu den renommiertesten Befreiungstheologen. Nach langjährigen Auseinandersetzungen mit der Kirchenleitung wurde ihm das Priesteramt entzogen. Nach Konflikten innerhalb seiner franziskanischen Ordensgemeinschaft verließ er 1992 den Orden. In seinen mehr als 60 Büchern behandelt er neben theologischen Fragen vor allem Probleme der Armutsbekämpfung, der Menschenrechte und der Ökologie. 2001 wurde er mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet und 2016 wurde ihm die Weizsäcker-Medaille von der Carl-Friedrich-von Weizsäcker-Gesellschaft verliehen.

Leonardo Boff: Überlebenswichtig. Warum wir einen Kurswechsel zu echter Nachhaltigkeit brauchen. Matthias Grünewald Verlag 2016. ISBN: 978-3-7867-3065-1. 168 Seiten. € 17,99.

Seit vielen Jahren veröffentlichen wir die regelmäßigen Kolumnen von Leonardo Boff in der Lebenshaus-Website, um die Texte einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dank Bettina Gold-Hartnack können diese Texte in deutscher Übersetzung zur Verfügung gestellt werden:  https://www.lebenshaus-alb.de/cgi-bin/cms/mt-view.cgi/1/category/343/

Erstveröffentlichung dieses Artikels in: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 95, Dezember 2017. Der gesamte Rundbrief Nr. 95 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 482 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren .

Veröffentlicht am

18. Dezember 2017

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