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Saudi-Arabien: Ziemlich beste Feinde

Seit der Demission des libanesischen Premiers al-Hariri brodeln erneut die Spannungen mit Iran

Von Sabine Kebir

Ulrich Kienzle, langjähriger Nahost-Korrespondent der ARD, hatte recht, als er kürzlich in einer Talkshow meinte, dass die außenpolitische Bilanz Saudi-Arabiens vorzugsweise Misserfolge aufweise. In Syrien konnte weder das laizistische System Baschar al-Assads beseitigt noch am Golf das Emirat Katar diszipliniert werden. Die seit 2015 mit gnadenlosen Bombardements bekämpfte Gemeinschaft der Huthi im Jemen, einem bettelarmen Land am Golf von Aden, will sich dem saudischen Königreich nicht ergeben, obwohl im Großraum Sanaa seit Monaten die Cholera wütet. Internationale Hilfsorganisationen befürchten zudem Hunderttausende von Toten, sollte die Seeblockade bestehen bleiben, die Saudi-Arabien verhängt hat, nun aber lockern will, wie das der saudische UN-Botschafter Abdullah al-Muallimi zu Wochenbeginn wissen ließ.

Die sich in erbitterter regionaler Rivalität mit Iran wähnenden Saudis konnten bisher keinen der Stellvertreterkonflikte gewinnen, die sie geschürt und zum Teil auch dominiert haben, um sich die Vorherrschaft in der muslimischen Welt zu sichern. Es scheint so, als käme es inzwischen weniger auf die finanzielle und militärische Potenz an - worin das mit dem Westen wie Israel verbündete saudische Königreich Iran weit überlegen ist - als auf kulturell-zivilisatorische Hegemonie. Und bei der ergeben sich klare Vorteile für Iran. Weshalb das so ist, scheint im Westen schwer nachvollziehbar zu sein, weil das politische Fundament des Mullah-Staates ebenso wie der saudischen Monarchie auf archaischen Ideologemen, zum Teil auf der Scharia, ruht. Allerdings wird selten erwähnt, dass sich in Iran - wohl dank seiner alten Hochkulturen und verschiedener Modernisierungsphasen - bereits eine Zivilgesellschaft herausgebildet hat, die das von Ayatollah Khomeini 1979 gegründete fundamentalistische Staatsgebilde zu vielerlei Kompromissen zwingen und erheblich dynamisieren konnte. Zwar ist die religiöse Führung nominell weiterhin die höchste Autorität in Iran, doch muss die sich mit einem durchaus heterogenen und polarisierten System politischer Parteien abstimmen. Außerdem verfügt das Land über ein reges kulturelles Leben, das auch internationale Anerkennung genießt.

Flucht ohne rechten Grund

So erklärt sich, dass die traditionell schiitischen Regionen außerhalb Irans kaum Grund haben, sich auf ein Gesellschaftsmodell einzulassen, das von Riad nicht mehr nur mit Almosen für verarmte Bevölkerungsschichten gefördert und wo die Infiltration terroristischer Gruppen vorangetrieben wird, sondern immer öfter durch militärische Gewalt durchgesetzt werden soll. Man denke an den März 2011, als saudische Truppen im Königreich Bahrain einmarschierten. Sie erstickten dort den Arabischen Frühling, indem ein schiitischer Aufstand blutig niedergeschlagen wurde. Ganz zu schweigen von der grausamen Behandlung, wie sie derzeit dem Jemen widerfährt.


Machtverhältnisse im Nahen Osten

Saudi-Arabien

Interventionsmacht Seit März 2015 führt Riad, unterstützt von den USA, eine Militärintervention gegen den Jemen an. Die dort von den Huthi-Rebellen beherrschten Gebiete werden bombardiert, teilweisee auch von See her blockiert. Für Saudi-Arabien sind die schiitischen Huthi eine Art "Fünfte Kolonne" Irans.

Libanon

Geteilte Macht Der zurückgetretene Premier Saad al-Hariri führte eine Koalitionsregierung, an der die schiitische Hisbollah beteiligt war. Die libanesische Armee kooperiert mit deren Milizen gegen den IS. Riad sieht darin wohl ein Zeichen iranischer Expansion und könnte al-Hariri wegen dessen Kompromisspolitik zur Demission genötigt haben.

Iran

Regionalmacht Die Islamische Republik sieht sich als regionale Führungsmacht, wird aber nicht nur deshalb von den Saudis als Erzfeind betrachtet. Für das sunnitische Königshaus sind die iranischen wie alle anderen Schiiten keine "wahren Muslime". Militärisch exponiert ist Iran im Irak und in Syrien, während der Jemen als weniger wichtig gilt.

Jemen

Gegenmacht Nach dem Sturz des mit Riad verbündeten Präsidenten Hadi sind die Huthi-Rebellen seit 2015 die neuen Machthaber im Jemen. Als Teil der schiitischen Gemeinschaft der Zaiditen reklamieren sie einen bis ins 9. Jahrhundert zurückreichenden Machtanspruch, der sich seit jeher gegen eine Hegemonie Saudi-Arabiens verwahrt.

Die bislang mit westlichen, nicht zuletzt deutschen Waffensystemen forcierte Aufrüstung Saudi-Arabiens lässt fragen, ob sich das Regime auf weitere Interventionen vorbereitet. Dass diese womöglich nicht mehr lange auf sich warten lassen, dafür bürgt der erst 32 Jahre alte Kronprinz Mohammed bin Salman. Seit Juni 2016 ist er offizieller Entscheidungsträger der saudischen Monarchie, obwohl den Auserwählten als Bildungshintergrund lediglich ein Studium islamischen Rechts empfiehlt. Es mangelt ihm offenbar an Wissen über die Geschichte der internationalen Beziehungen, in der auf Phasen der Gewalt immer auch solche des Ausgleichs folgen. Dass der Prinz dieses Prinzip im Blick hat, darf bezweifelt werden.

Das aus Sicht des Thronfolgers gewiss unbefriedigende Ende des Islamischen Staates (IS) im Irak und in Syrien, wodurch sich das Gewicht der Schiiten im nahöstlichen Krisenbogen erhöht, wird mit einer sofortigen Gegenoffensive beantwortet. Zur Begründung heißt es, Iran habe Saudi-Arabien offen den Krieg erklärt. Als Beweis dient eine Rakete, die von den Huthi-Rebellen als Reaktion auf ein Bombardement in der Provinz Saada mit 29 Toten in Richtung Riad abgeschossen wurde. Sie konnte zwar von der saudischen Luftabwehr kurz vor ihrem Aufschlag abgefangen werden, doch landeten die Überreste auf dem internationalen Flughafen der saudischen Kapitale.

Seit afghanische und später auch palästinensische Milizen in der Lage waren, gegen feindliche Truppen und Staaten schwer zu ortende Kleinraketen einzusetzen, ist eigentlich klar, dass es dafür nicht des Beistandes irgendeiner Groß- oder Regionalmacht bedarf. Also muss Riad weitere iranische Sünden geltend machen. Nicht zufällig fällt dabei das Augenmerk auf den Libanon.

Dort kam es zu einer doch einigermaßen überraschenden Flucht des Ministerpräsidenten Saad al-Hariri nach Riad, wo dieser am 4. November erklärte: Weil er sich in Lebensgefahr befunden habe, musste er sich von seinem Regierungsamt entfernen. Ein plausibel wirkender Hintergrund dieser Demission ergibt sich, wenn an Hariris Vater Rafik al-Hariri erinnert wird, der - seinerzeit ebenfalls libanesischer Premierminister - im Februar 2005 bei einem Sprengstoffanschlag in Beirut ermordet wurde. Die von den Vereinten Nationen eingesetzte Untersuchungskommission konnte bis heute nicht klären, ob ein palästinensischer Attentäter dahintersteckte oder eine syrische beziehungsweise iranische Verschwörung. Wie sein Vater ist Saad al-Hariri sowohl libanesischer als auch saudischer Staatsbürger und zugleich Inhaber sowie Vorstand binationaler Großunternehmen und Banken. Als Regierungschef führte er eine Koalition mit der Hisbollah, die hauptsächlich die aus Palästina stammenden Schiiten des Libanon vertritt.

Dass Kampfverbände der Hisbollah im Süden und Westen Syriens die Regierungsarmee gegen den Islamischen Staat und andere Terrorgruppen erfolgreich unterstützt haben, ist nicht nur Saudi-Arabien, sondern auch Israel ein Dorn im Auge. Israelische Medien verbreiten Nachrichten, wonach die Geheimdienste des Landes von akuten terroristischen Bedrohungen sowohl aus dem Gaza-Streifen als auch dem Südlibanon wüssten. Es ist bereits von einem möglichen Militärschlag gegen das Hisbollah-Hauptquartier die Rede.

Schwer vorstellbar ist freilich, dass Premier Netanjahu bei einer solchen Operation ohne Zustimmung aus Washington auskommt. Sollte es dazu kommen, würde das zwar schlecht zur Charme-Offensive passen, die Donald Trump gerade in China und Vietnam hingelegt hat, doch erwies sich dieser Präsident schon des Öfteren als unberechenbar. Dass Frankreichs Staatschef Macron nach der Einweihung des neuen Louvre in Abu Dhabi sofort wieder an den Golf flog und in Riad erst einmal die Feuerwehr spielte, zeigt, dass es die EU bevorzugen würden, wenn der Nahe Osten nicht in die nächste schwere Krise gerät.

Hisbollah-Chef Nasrallah hat von Anfang an jede Vermutung zurückgewiesen, dass ein Attentat auf Premier al-Hariri geplant gewesen sei und für dessen Rückkehr plädiert, sofern ihn Saudi-Arabien nicht aus Propagandagründen zurückhalten sollte, was al-Hariri dementiert hat. Irans Präsident Rohani nannte die von außen ausgelöste Krise im Libanon "einen beispiellosen Vorgang" und fuhr fort, Saudi-Arabien mache einen "strategischen Fehler", wenn es die USA und Israel als Verbündete betrachte. Donald Trumps Regierung sei "sehr geschickt darin, Saudi-Arabien heimlich etwas aus der Tasche zu ziehen. Heute stellt sich die Frage, welche Vorteile Saudi-Arabien die Feindseligkeit gegenüber den Völkern in der Region gebracht hat?" Wenn Iran vorgeworfen werde, sich bei verschiedenen Konfliktherden ungebeten einzumischen, könne er nur entgegnen, "unser Land unterstützt Irak und Syrien auf deren Wunsch hin gegen den Terrorismus. Wir sind stolz darauf, den IS von seinen Zielen abgehalten zu haben".

Irrwitz des Prinzen

Einiges spricht dafür, dass die eigentliche Ursache des erneuten Hariri-Dramas in einer Profilneurose der politisch wie militärisch wenig erfolgreichen Führung Saudi-Arabiens zu suchen ist. Um das im Sinkflug begriffene Ansehen im Westen aufzubessern, wurden den saudischen Frauen für Mitte 2018 der Erwerb von Führerscheinen und das Autofahren gestattet. Auch wirkte der spektakuläre Auftritt des libanesischen Ministerpräsidenten in Riad wie eine Nebelkerze, um von der großräumigen Verhaftungswelle abzulenken, die ebenfalls am 4. November stattfand und mindestens elf Prinzen und Dutzende der höchsten Amtsträger traf. Zur Begründung wurde auf die grassierende Korruption verwiesen, allerdings könnte ebenso eine sich gegen die wahnwitzige Politik des Kronprinzen formierende Opposition ausgeschaltet worden sein.

Quelle: der FREITAG vom 19.11.2017. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

20. November 2017

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