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Innensicht: Schöne Reden, schnöde Realität

Amerikas erster afroamerikanischer Präsident wollte das Land moderat verändern - und hat es polarisiert

Von Konrad Ege

Barack Obama hat in mehr als sieben Jahren im Weißen Haus einige Reformen durchgesetzt - und dennoch viele seiner Wähler frustriert. Ohne den ersten afroamerikanischen Präsidenten gäbe es heute keinen Bernie Sanders. Und wohl auch keinen Donald Trump.

Rückblick: Im Juli 2008 reiste Präsidentschaftsanwärter Obama nach Berlin, um sein außenpolitisches Profil zu schärfen. Gut 200.000 Berliner wollten den Hoffnungsträger sehen. Obama sprach an der Siegessäule von partnerschaftlichem Handeln, von einer Welt ohne Atomwaffen, der Notwendigkeit vom Zusammenkommen, um "den Planeten zu retten", von "gleichmäßigerem Verteilen" des Wohlstandes. Das klang vielversprechend - und bestärkte ein von Hoffnung getragenes Missverständnis. Denn Obama ging es nie um grundlegenden Wandel. In der Außenpolitik waren ihm Vernunft und Realismus wichtig, im Innern eine Art soziale Marktwirtschaft innerhalb des Systems.

Rassistische Untertöne

Bernie Sanders wirft Hillary Clinton heute Nähe zur Wall Street vor. Der Vorwurf hätte 2008 auch auf Obama gepasst. Er stellte neue Rekorde beim Fundraising auf, auch dank großzügiger Spenden aus der Finanzindustrie. Und man ahnte, dass die Optik aufgebessert werden musste, um das von Finanzkrisen gebeutelte kapitalistische Projekt nicht noch mehr in Verruf zu bringen. Doch bereits beim Geld zeigte sich ein mehrschichtiger Obama. Bekannt wurde er als Meister der Kleinspenden: Rund drei Millionen Amerikaner haben ihm 2008 laut ABC News Geld geschickt, 2012 waren es noch mehr. Viele in kleinen Beträgen, wie sie jetzt auf Sanders’ Konto eintreffen. Sanders vermeldete Mitte März auf Twitter, er habe fast zwei Millionen Geber, die insgesamt 5,7 Millionen Spenden von im Schnitt 27 US-Dollar überwiesen hätten. Da wollte Hillary Clinton nicht hintanstehen: Auch sie habe eine Million Spender, teilte sie mit.

Bei Obamas Amtsantritt im Januar 2009 sah es düster aus im Land: Finanzkrise, Bankenrettung, Millionen Jobs weg, die Autoindustrie kurz vor dem Kollaps. Krisen öffneten auch Tore zu wirklichem Wandel, wie bei Franklin Roosevelts New Deal in den 30er Jahren, erinnerte der Wirtschaftsforscher Dean Baker vom gewerkschaftsnahen Economic Policy Institute damals. Obama suchte nach dem Weg der Mitte. Bankenregulierung, aber nicht zu viel - und keine Strafen für die Raffgierigen. Die Wirtschaft mit gezielten Subventionen ankurbeln, aber nicht mit großen Infrastrukturprojekten.

Schlimmstes wurde vermieden, doch die Arbeiterschicht und die Unterbeschäftigten merken bis heute nicht allzu viel vom Aufschwung. Klassisches Beispiel für Obamas Vorgehen war die Gesundheitsreform. 50 Millionen Amerikaner hatten 2009 keinen Versicherungsschutz. Bei zähen Verhandlungen mit der Gesundheitsindustrie setzte Obama eine Reform durch, bei der die Regierung "Versicherungsbörsen" einrichtet, an denen Bürger kommerzielle Policen kaufen. Geringverdiener werden unterstützt. Unnötig kompliziert und übertrieben wirtschaftsfreundlich, sagten Kritiker von links. Warum nicht einfach eine staatliche Versicherung einrichten, wie das Sanders immer wieder fordert? Was im Nachbarland Kanada gehe, müsse doch ebenso in den USA möglich sein. Das ärgert Hillary Clinton, die vermeintliche Obama-Erbin: Derartiges sei nicht durchsetzbar in der realen Welt. Jedenfalls haben beinahe 20 Millionen Amerikaner mit "Obamacare" einen Versicherungsschutz gewonnen.

In einem Punkt hat sich Obama verschätzt, wenn er in seinen Reden suggerierte, die USA seien wirklich die Vereinigten Staaten von Amerika. Er handelte, als könne er auch konservative Gegenspieler an Bord holen. Doch hat kein republikanischer Abgeordneter für die Gesundheitsreform gestimmt. Auch befürwortet kaum ein Republikaner Obamas Bemühen um eine Einwanderungsreform, die vielen der elf Millionen Migranten ohne Papiere eine Zukunft ermöglicht hätte. Und kaum einer unterstützt ihn beim Klimaschutz.

Viele Republikaner haben sich nie mit dem afroamerikanischen Präsidenten abgefunden. "Big Government", das übermächtige Washington, sei schlimm genug, doch habe es einen schwarzen Politiker an der Spitze, einen Fremden, sei es noch schlimmer. Der Boden war fruchtbar für einen Donald Trump. Rassistische Untertöne sind nicht zu überhören beim Aufschrei der rechtspopulistischen Gruppen im Umfeld der Tea Party. Das Establishment der republikanischen Partei glaubte, es könne die rechten Schocktruppen nutzen und kontrollieren. Eine Fehleinschätzung historischen Ausmaßes.

An der Wall Street zeichnete sich in Obamas ersten vier Jahren Wandel ab. So berichtete das Wirtschaftsmagazin Forbes: Bei der Präsidentenwahl 2012 habe die "Wall Street ganz groß auf den republikanischen Bewerber Mitt Romney gesetzt", nicht auf Obama, dem man offenkundig nicht mehr traute. Mitarbeiter des Finanzhauses Goldman Sachs, das Sanders gern erwähnt, weil es Hillary Clinton gut bezahlt habe für zwei Reden, hätten Romney 900.000 US-Dollar gespendet, Obama 136.000. Bernie Sanders erklärte freilich bereits 2011, es wäre gut, kandidierte ein anderer Demokrat gegen Obama, um die Debatte mehr nach links zu verlagern.

Nie ein Pazifist

Das Nobelkomitee im norwegischen Oslo wollte wohl sehen, was es sehen wollte, als es Obama 2009 den Friedensnobelpreis verlieh für "außergewöhnliche Bemühungen für die Zusammenarbeit zwischen den Völkern". Die Hoffnung auf eine Welt ohne Atomwaffen mag bleiben, doch derzeit modernisieren die USA ihr gesamtes Inventar. Russland und China täten das ja auch, so die Begründung. Pazifist war Obama nie. Er will einen klügeren Einsatz der Streitkräfte. Das bedeutet auch Drohnenkrieg. Clinton würde diesen Kurs weiterführen. Sanders unterstreicht gern, er habe einst gegen George W. Bushs Irakkrieg gestimmt, aber gegen den Terrorismus werde er auch kämpfen lassen.

Für Sanders’ Anhänger stellt sich über den Wahlkampf hinaus die Frage, ob aus einer Wahlkampagne eine progressive Bewegung oder gar Partei werden kann. Die Erfahrungen sind aber eher schlecht. Nach Jesse Jacksons progressiven Anläufen aufs Weiße Haus 1984 (er erhielt 18 Prozent bei den demokratischen Vorwahlen) und 1988 (er gewann Vorwahlen in elf Staaten) machte sich Hoffnung breit auf eine linke Bewegung. Es wurde nichts. Jackson machte keinen Platz für eine Bewegung von unten. Sanders war Jackson-Fan: Dessen Kandidatur habe eine "historische Koalition" aus Arbeitern, Einkommensschwachen und Minderheiten gegen die Macht der Banken versammelt, denn zehn Prozent der Bevölkerung kontrollierten 83 Prozent des Wohlstandes.

Obama hatte nach dem Wahlsieg 2008 E-Mail-Kontakte von 13 Millionen Wählern, eine kostbare politische Schatztruhe. Die Begeisterung für Wandel war da, doch Obama und sein höchst effektiver Mann fürs Online-Campaigning, David Plouffe, hatten keine Absichten, diese Wähler für eine progressive Strömung zu mobilisieren. Plouffe arbeitet inzwischen für den Fahrdienstanbieter Uber. Und Obama wollte regieren.

In Hannover würden der amerikanische Präsident und die deutsche Kanzlerin "ein Momentum schaffen für den Abschluss des TTIP-Abkommens", hieß es in Washington. Angela Merkel wird gerade mit Lob überhäuft. Sie habe "enormen Mut" gezeigt bei der Flüchtlingskrise, sagte Ben Rhodes, stellvertretender Sicherheitsberater. Obama werde in Hannover betonen, dass "Inklusivität ein wichtiger Wert ist für die USA und Europa". Die USA selbst haben aber erst 3.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Auch da wird sichtbar, was viele Progressive nervt: der Graben zwischen schönen Reden und der Wirklichkeit. Der Realpolitiker Obama hat bei aller wohlklingenden Rhetorik stets auf Auseinandersetzungen verzichtet, die er nicht gewinnen konnte.

Quelle: der FREITAG vom 04.05.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

04. Mai 2016

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