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Die Geografie der Flüchtlingsabwehr

Mit neuen Lagern ("Bearbeitungszentren") entlang der Fluchtrouten in Südosteuropa will die EU die Registrierung und gegebenenfalls Abschiebung von Flüchtlingen beschleunigen. Auf die Einrichtung der sogenannten Bearbeitungszentren haben sich die EU-Innenminister am Montag Abend geeinigt. In ihnen sollen diejenigen Flüchtlinge den üblichen Prüf-, Verwaltungs- und Asylverfahren unterzogen werden, die es geschafft haben, in die EU einzureisen. Parallel treiben Berlin und Brüssel den Aufbau von Lagern ("Hotspots") voran, die unmittelbar an den EU-Außengrenzen in Italien und Griechenland Flüchtlinge aus Nordafrika und der Türkei aufnehmen sollen, um sie an der Weiterreise in Richtung Deutschland zu hindern. Ergänzend zu den Lagerplänen planen mehrere EU-Staaten, darunter Slowenien, Pläne zum Bau von Stacheldrahtsperren entlang ihrer Grenzen. Katastrophenszenarien machen die Runde; deutsche Sicherheitsbehörden halten ein "Stürmen der Grenzen" für nicht ausgeschlossen, in Slowenien ist für den Fall einer deutschen Grenzschließung von einem "Kampf zur Rettung der EU" die Rede. Die Bundesregierung hat für Kriegsflüchtlinge aus Syrien die "Dublin III"-Regelung wieder in Kraft gesetzt; demnach können praktisch alle Flüchtlinge, die nach Deutschland gelangt sind, jederzeit in denjenigen EU-Staat abgeschoben werden, in dem sie zuerst EU-Gebiet betreten haben.

"Hotspots" an den EU-Außengrenzen

Die Übereinkunft zum Umgang mit Flüchtlingen, auf die sich die Innenminister der 28 EU-Mitgliedstaaten am Montag Abend geeinigt haben, lässt die abgestufte Geografie der im Aufbau befindlichen EU-Flüchtlingsabwehr deutlich erkennen. Wie es in der Abschlusserklärung der Innenminister heißt, sollen die Registrierungszentren an den EU-Außengrenzen ("Hotspots") spätestens bis Monatsende in Betrieb genommen werden. In ihnen müssen die Flüchtlinge sich registrieren lassen; anschließend werden diejenigen, die keine Aussicht auf Asyl haben, direkt abgeschoben, während die übrigen zur Bearbeitung ihrer Asylanträge in andere EU-Staaten umverteilt werden. Ein "Hotspot" auf der italienischen Insel Lampedusa ist inzwischen in Betrieb; vier weitere sind auf Sizilien geplant. Sie sind für Flüchtlinge vorgesehen, die aus Nordafrika kommen und die Schiffskontrollen vor der Küste Libyens überwunden haben, die die EU im Rahmen ihrer Militäroperationen im Mittelmeer plant.S. dazu Krieg gegen Flüchtlinge und Krieg gegen Flüchtlinge (III) . Fünf weitere "Hotspots" entstehen auf griechischen Inseln vor der türkischen Küste, um die aus der Türkei einreisenden Flüchtlinge abzufangen. Ein elfter "Hotspot" ist in Apulien geplant. Er gilt denjenigen, die die erste Abwehrbarriere auf den griechischen Inseln überwunden haben, anschließend nach Albanien reisen und von dort nach Italien übersetzen. Der "Hotspot" auf der griechischen Insel Lesbos ist - nach demjenigen auf Lampedusa - inzwischen am weitesten entwickelt; er soll in der kommenden Woche in den Regelbetrieb übergehen.

"Bearbeitungszentren" auf der Balkanroute

Weitere Vorkehrungen werden jetzt auch für die sogenannte Balkanroute getroffen. Sie zielen auf diejenigen Flüchtlinge, die es aus der Türkei nach Griechenland geschafft haben, sich nicht dort aufhalten lassen und über die Länder Südosteuropas nach Österreich, Deutschland und teilweise Skandinavien weiterreisen. Seit Ungarn seine Grenzen mit Stacheldraht verriegelt hat, wird meist die Strecke über Serbien, Kroatien und Slowenien genutzt. Schon Ende Oktober ist auf einem EU-Gipfel vereinbart worden, rund 50.000 Plätze in Unterkünften entlang dieser Route bereitzustellen, um eine humanitäre Katastrophe im bevorstehenden Winter zu verhindern. Am Montag Abend haben sich die EU-Innenminister nun geeinigt, entlang der Balkanroute "Bearbeitungszentren" aufzubauen.Darum will die EU Flüchtlingszentren auf dem Balkan. www.sueddeutsche.de 10.11.2015. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, die - ganz ähnlich den "Hotspots" - die Flüchtlingsregistrierung übernehmen sollen; Flüchtlinge ohne Aussicht auf Asyl könnten dann gleichfalls direkt von dort abschoben werden. Die Flüchtlinge sollen zur Registrierung gezwungen werden können: Wer zum Beispiel die Abnahme seiner Fingerabdrücke verweigert, kann laut der Übereinkunft der EU-Innenminister vom Montag inhaftiert werden.Council Conclusions on Measures to handle the refugee and migration crisis. www.consilium.europa.eu 09.11.2015.

Stacheldraht zwischen den EU-Staaten

Ergänzend dazu werden entlang der Balkanroute Vorkehrungen geplant, um die ungeregelte Einreise über die grüne Grenze zu beenden und Flüchtlingsbewegungen verlässlich kontrollieren sowie bei Bedarf vollständig stoppen zu können. In Österreich soll in Kürze über ein "Schleusensystem" an der Grenze zu Slowenien entschieden werden. Das Innenministerium in Wien macht sich für einen "Grenzzaun" stark, der beiderseits des Grenzübergangs in Spielfeld errichtet werden und eine Länge von insgesamt 25 Kilometern haben soll. Dabei heißt es, man könne sich durchaus auch "andere technische Lösungen" vorstellen, etwa Gitterwände.Asylpolitik: Kehrtwende in Deutschland. diepresse.com 10.11.2015. Slowenien hat seinerseits angekündigt, an der Grenze zu Kroatien "technische Hindernisse" zu errichten. Man habe "zusätzliche Notmaßnahmen vorbereitet", um "den Flüchtlingsandrang bewältigen zu können", lässt die slowenische Regierung verlauten; die Maßnahmen könnten schon "in den kommenden Tagen" in Gang gesetzt werden.Slowenien will Zaun an der Grenze bauen. www.faz.net 10.11.2015. Laut Medienberichten geht es auch um einen Stacheldraht-Grenzzaun. Jenseits der offiziellen Grenzübergänge wäre eine Einreise dann nicht mehr möglich.

Panik und Chaos

Hintergrund der Maßnahmen sind Befürchtungen, Deutschland werde bald keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Dies berichtet - mit Bezug auf Slowenien - die dortige Tageszeitung "Vecer". Sobald die Bundesrepublik dicht mache - und Österreich sich voraussichtlich anschließen werde -, "wird die richtige Krise anfangen und damit auch der Kampf zur Rettung der EU", heißt es in dem Zeitungsbericht.Mehr als 150.000 Flüchtlinge in Slowenien registriert. www.stol.it 06.11.2015. Slowenien hat bislang 150.000 Flüchtlinge registriert; wären sie im Land geblieben, entspräche das - umgerechnet auf die Bevölkerung - annähernd sechs Millionen Flüchtlingen in Deutschland. Eine etwaige deutsche Grenzschließung wird umso mehr gefürchtet, als wegen des nahenden Winters und der völlig unzureichenden Unterbringungsmöglichkeiten bei gleichbleibend hohen Flüchtlingszahlen eine humanitäre Katastrophe gewaltigen Ausmaßes droht. Zum Wochenende ist ein als "vertraulich" eingestuftes Lagebild aus dem "Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration" (Gasim)Im Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (Gasim), das seinen Sitz beim Bundespolizeipräsidium in Potsdam hat, sind die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Zoll-Finanzkontrolle Schwarzarbeit, der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Auswärtige Amt vertreten. in Berlin an die Presse weitergeleitet worden, in dem ebenfalls Katastrophenszenarien diskutiert werden. Demnach wird im Fall von Grenzschließungen nicht nur mit einem "Rückstau" und einer weiteren "Verschlechterung der humanitären Lage" gerechnet. Darüber hinaus heißt es, eine "Sackgasse" in Südosteuropa, die durch etwaige Grenzschließungen entstünde, könne "Panik und Chaos bei Migranten und Behörden auslösen". Selbst ein "Stürmen der Grenzen" sei nicht auszuschließen.Sicherheitsbehörden erörtern Grenzschließungen. www.welt.de 08.11.2015.

Bürokratisch erledigt

Während mit der Hochrüstung der EU-Binnengrenzen, dem Bau von Lagern ("Hotspots", "Bearbeitungszentren") und dem Militäreinsatz im MittelmeerS. dazu Krieg gegen Flüchtlinge (IV) . eine abgestufte Geografie der Flüchtlingsabwehr entsteht, entzieht Berlin einer wachsenden Zahl an Flüchtlingen die Grundlage für dauerhaftes Asyl in der Bundesrepublik. Wie jetzt bekannt wurde, hat das Innenministerium die "Dublin III"-Regelung für Flüchtlinge aus Syrien bereits am 21. Oktober wieder in Kraft gesetzt. Damit können prinzipiell alle, die dem dortigen Bürgerkrieg entkommen sind, in das EU-Land abgeschoben werden, in dem sie zuerst EU-Territorium erreichten. Für alle anderen Flüchtlinge ist "Dublin III" ohnehin nie in Frage gestellt worden. Vergangene Woche hat die Bundesregierung unter anderem beschlossen, die "Schaffung innerstaatlicher Fluchtalternativen" in Afghanistan zu beschleunigen.Sicher oder nicht - Abschiebungen nach Afghanistan. www.dw.de 06.11.2015. Damit soll die Ausweitung der Abschiebungen dorthin, die Berlin wünscht, ermöglicht werden. Mutmaßlich auf bürokratischem Wege erledigt werden kann hingegen das Thema "Familiennachzug", das in den vergangenen Tagen für heftige Diskussionen gesorgt hat. Bundesinnenminister Thomas de Maizière wollte Kriegsflüchtlingen aus Syrien nur noch einen eingeschränkten Schutzstatus zugestehen, der vor allem zur Folge gehabt hätte, dass ein Nachzug von Familienmitgliedern der Betroffenen nicht möglich ist. Der Vorschlag ist vorerst gestoppt worden, wenn auch nicht vom Tisch. Allerdings weist ein Regierungssprecher darauf hin, dass Anträge auf Familiennachzug zur Zeit ohnehin nicht bearbeitet werden, da die Behörden überlastet sind. Wie SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi erklärt, wird die Frage, ob Familiennachzug gewährt wird oder nicht, deshalb in der Praxis erst "in vielen Monaten" aktuell.CDU-Spitze zwingt Merkel zur Kurskorrektur. www.sueddeutsche.de 09.11.2015.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 11.11.2015.

Fußnoten

Veröffentlicht am

11. November 2015

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