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Krieg gegen Flüchtlinge (II)

Die Regierung Libyens weist die EU-Pläne für einen Militäreinsatz zur Beendigung des Flüchtlingstransits nach Europa entschieden zurück. Man werde keinerlei Vorstöße zulassen, die die Souveränität des Landes in Frage stellten, teilt ein Sprecher der in Tobruk ansässigen international anerkannten libyschen Regierung mit. Die EU hatte am Montagabend einen vierstufigen Militäreinsatz an Libyens Küsten beschlossen, der nach einer Phase der "Aufklärung" zunächst zu regelmäßigen Schiffskontrollen übergehen soll, um schließlich Militäroperationen auf libyschem Territorium in die Wege zu leiten. Die Operationen drohen in bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem libyschen Ableger des "Islamischen Staats" (IS) zu münden, der Berichten zufolge starkes Interesse am Schleppergeschäft hat.

Der IS verdankt seine Existenz im ostlibyschen Darnah dem Westen, der ihm mit dem Sturz des langjährigen Herrschers Muammar al Gaddafi freie Bahn verschafft hat - sehenden Auges, wie Berichte aus dem Frühjahr 2011 zeigen. Die Option, Flüchtlingen die legale Einreise in die EU zu ermöglichen und auf diese Weise das Schleppergeschäft auf einfachste Weise zuverlässig auszuschalten, wird weder in Berlin noch in Brüssel erwogen.

Widerspruch

Die Regierung Libyens verweigert sich dem geplanten EU-Militäreinsatz an den Küsten des Landes, der dem Transit von Flüchtlingen aus Nordafrika nach Europa ein Ende setzen soll. Man werde keinerlei Verstoß gegen die Souveränität Libyens zulassen, wird ein Sprecher der in Tobruk residierenden international anerkannten Regierung zitiert.Libyen erteilt EU-Plänen Abfuhr. www.tagesschau.de 19.05.2015. Diese kann sich zur Zeit nicht gegen eine selbsternannte islamistische Gegenregierung durchsetzen, die Tripolis und Bengasi sowie große Teile des Landes kontrolliert; sie wird allerdings von der UNO als legitime Führung des Landes betrachtet. Die EU hatte am Montagabend einen mehrstufigen Militäreinsatz beschlossen, der nun umgehend gestartet werden soll. Geplant ist, zunächst die libyschen Schlepper auszuspionieren, die Flüchtlinge aus Libyen in Richtung Europa einschiffen. Danach sollen Bootskontrollen eingeführt werden. Anschließend sind militärische Maßnahmen gegen Schlepper vor den libyschen Küsten und auch an Land geplant. Die Vorbereitungen für den Einsatz haben begonnen.

Darnah

Die geplanten Operationen gegen libysche Schlepper drohen nicht nur allgemein in bewaffnete Auseinandersetzungen mit libyschen Milizen zu münden, sondern speziell auch in Kämpfe gegen Truppen des Islamischen Staats (IS). Hintergrund ist, dass der IS sich letztes Jahr in Teilen Libyens festsetzen konnte - dank tatkräftiger Vorarbeit der NATO-Staaten. Dies zeigt exemplarisch die Entwicklung in der ostlibyschen Hafenstadt Darnah. Deren Zustand gab zu Beginn des westlichen Überfalls auf Libyen im März 2011 Anlass für Warnungen vor einem gewaltsamen Sturz von Muammar al Gaddafi.

Al Qaida

Als die NATO damals Libyen zu bombardieren begann, war die stark islamistische Prägung mancher Teile des Landes, vor allem aber der Stadt Darnah allgemein bekannt. In Darnah hatten sich bereits 1970 Islamisten gegen Gaddafi erhoben. Während der Aufstände Mitte der 1990er Jahre galt die Stadt als Zentrum der islamistisch geprägten Opposition. Jihadisten aus Darnah kämpften nicht nur in den 1980er Jahren in Afghanistan, sondern später auch im Irak; laut Dokumenten, die die US-Streitkräfte 2007 entdeckten, unterstützten allein zwischen August 2006 und August 2007 mehr als 50 Jihadisten aus Darnah "Al Qaida im Irak". Aus "Al Qaida im Irak" entstand später der ISS. dazu Vormarsch auf Bagdad und Vom Westen befreit . Warnungen vom März 2011, in Darnah sei Al Qaida aktiv und werde sich, sollte Gaddafi gestürzt werden, völlig ungehemmt entfalten können, waren überaus begründet, wurden in den NATO-Staaten jedoch vom Tisch gewischt. Dabei ließen sogar Berichte westlicher Leitmedien den Einfluss der Jihadisten deutlich erahnen. "Ein Veteran des Afghanistan-Kriegs", der ausdrücklich "gute Aspekte" an Osama bin Ladens Aktivitäten lobe, leite "die Verteidigung von Darnah" gegen die libyschen Streitkräfte, berichtete im März 2011 die New York Times.Anthony Shadid: Diverse Character in City Qaddafi Calls Islamist. www.nytimes.com 07.03.2011.

Islamischer Staat

Tatsächlich etablierte sich in Darnah schon bald nach Gaddafis Sturz zunächst ein Ableger der libyschen Jihadistenmiliz Ansar al Sharia, die sich vor allem mit dem Sturm auf das US-Konsulat in Bengasi sowie dem Mord an Washingtons Botschafter in Libyen und drei weiteren US-Amerikanern am 11. September 2012 einen Namen gemacht hat. Im Herbst 2014 unterstellten die Jihadisten in Darnah sich dann dem vom IS ausgerufenen Kalifat. Berichten zufolge hatten sich dafür vor allem Jihadisten stark gemacht, die zuvor aus Darnah nach Syrien gezogen waren, um sich dort am Krieg gegen Bashar al Assad zu beteiligen; sie waren voller Begeisterung für den IS nach Darnah zurückgekehrt. Inzwischen hat der IS nicht nur seine Herrschaft über Darnah solide verankert, wo er ein extrem rigides Normensystem durchsetzt und Körperstrafen bis hin zu Exekutionen in Fußballstadien exekutiert. Er hat auch begonnen, die mit Gaddafis Sturz gewonnenen Spielräume zu nutzen, um Ableger in weiteren libyschen Ortschaften zu gründen - etwa in der Hafenstadt Sirte.

Finanzbedarf

Dabei macht sich der IS, wie eine aktuelle Analyse der "Global Initiative against Transnational Organized Crime" bestätigt, die Geschäftschancen zunutze, die die Massenflucht aus zahlreichen Ländern Asiens und Afrikas - nicht zuletzt aus Syrien - eröffnet. Nach wie vor fliehen zahllose Menschen vor dem Syrien-Krieg, den die westlichen Staaten politisch sowie mit Hilfslieferungen für die Rebellen befeuert haben.S. dazu Deutsche Kriegsbeihilfe und Syriens westliche Freunde . Viele führt ihre Flucht über Jordanien und Ägypten nach Libyen, von wo sie über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen suchen. Dabei sind sie aufgrund der unerbittlichen Grenzabschottung der EU auf die Dienste von Schleppern angewiesen. Die Abschottungspolitik sei ein "Förderprogramm für Schlepper", kritisierte bereits im vergangenen Jahr die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl".Abschottungspolitik ein "Förderprogramm für Schlepper". www.proasyl.de 02.06.2014. Die Einnahmen, die sich allein in Libyen mit Fluchthilfediensten erzielen ließen, beliefen sich auf einen Schätzwert zwischen 255 und 323 Millionen US-Dollar pro Jahr, heißt es in der Analyse der "Global Initiative against Transnational Organized Crime".Libya: a growing hub for Criminal Economies and Terrorist Financing in the Trans-Sahara. The Global Initiative against Transnational Organized Crime, Policy Brief, 11 May 2015. Auch der IS, der mittlerweile in einigen Küstenstädten fest etabliert sei, erziele Einkünfte aus dem Schleppergeschäft, schreiben die Autoren. Er sei, nachdem seine Gewinne etwa aus dem Erdölverkauf zurückgegangen seien, dringend auf den Schlepperprofit angewiesen, um den Krieg sowie ein gewisses Maß an Sozialleistungen in seinem "Kalifat" bezahlen zu können.Vivienne Walt: ISIS Makes a Fortune From Smuggling Migrants Says Report. time.com 13.05.2015.

Schlepperprofit

Dass der IS nicht nur aus Schlepperdiensten zu Lande entlang der nordafrikanischen Küste bis nach Libyen, sondern auch aus der Verschiffung von Flüchtlingen in Richtung Europa Gewinne zieht, bestätigen inzwischen auch weitere Berichte. So wird ein Regierungsberater aus Libyen mit der Aussage zitiert, der IS erhebe für jedes Flüchtlingsboot, auf das er Zugriff habe, Abgaben in Höhe von 50 Prozent der Schleppereinnahmen.Islamic State militants "smuggled to Europe". www.bbc.com 17.05.2015. Dies beliefe sich auf einen Betrag von 750 bis 950 US-Dollar pro Flüchtling, geht man von den aktuellen Durchschnittspreisen für eine Überfahrt aus.

Eskalation

Der bevorstehende Militäreinsatz vor der libyschen Küste, der die unerwünschte Einreise von Flüchtlingen über das Mittelmeer nach Europa nun endgültig stoppen soll, aus PR-Gründen aber als Kampf gegen die Schlepper etikettiert wird, droht damit in direkte Auseinandersetzungen mit dem libyschen Ableger des IS zu münden - eine weitere Eskalation des Krieges in der arabischen Welt.

Mehr zum Thema:

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 20.05.2015.

Fußnoten

Veröffentlicht am

26. Mai 2015

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