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Jemen: Sturm der Entschlossenheit

Der Konflikt mit den Huthi-Rebellen wirkt wie ein Vorspiel zum Schlagabtausch zwischen Riad und Teheran

Von Sabine Kebir

Die Genugtuung, mit der die US-Regierung das Atom-Agreement mit dem Iran bedenkt, passt nicht so recht zum militärischen und logistischen Beistand für Saudi-Arabien. Dessen Luftgeschwader haben bis Mitte der Woche Angriff auf Angriff gegen die im Südjemen operierenden nordjemenitischen Huthi-Stämme geflogen. Eine schon lange schwelende Konkurrenz zwischen Riad und Teheran um die Hegemonie im islamischen Raum rückt einer direkten Konfrontation näher, wenn die zunächst auch durch andere ausgetragen wird.

Mit ihren Vorposten kontrollieren die Huthis seit dem 31. März vom Osten her Bab al Mandeb, die Meerenge zwischen Rotem Meer und Indischem Ozean auf dem Weg in den Suezkanal und das Mittelmeer. Würde diese Passage wie bisher allein von US-Basen in Eritrea und Djibouti sowie durch ein den Saudis ergebenes Regime in Sanaa beherrscht, könnten iranische Schiffe, die nach einem Sanktionsstopp wieder Öl nach Europa transportieren, an einer Durchfahrt bei Bab al Mandeb gehindert werden. Die Konsequenz wäre eine Kursänderung, die dazu zwingt, ganz Afrika zu umrunden. Umgekehrt könnten die Huthi-Verbände am Bab al Mandeb Schiffen aus Saudi-Arabien, Ägypten und Ostafrika ein Passieren erschweren. Es wäre sogar denkbar, dass die Huthis die Zufahrt zum Suezkanal versperren.

Aber das sind Hirngespinste. Weder die Huthis noch ihre vermeintliche Schutzmacht Iran haben die Macht und den Willen, Bab al Mandeb - das "Tor der Tränen" - für ein Erpressungsspiel zu nutzen. Käme es doch dazu, würde einmal mehr der Fluch des Jemen bedient, der oft lichterloh brennende Spielball fremder Interessen zu sein. Zudem war eine Eroberung der Küstenregion am Bab al Mandeb nicht der maßgebliche Grund für den militärischen Aufstand der Huthis, die sich wie die Volksgruppen aus anderen Regionen des Jemen niemals als Teil ein und desselben Staates gefühlt haben. Die religiöse Differenz zwischen Schiiten, die ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, und der sunnitischen Mehrheit spielt dabei kaum eine Rolle. Schwerer wiegen die seit Hunderten, zum Teil Tausenden von Jahren gereiften unterschiedlichen Stammeskulturen. Da dem Jemen die eigenen Ressourcen zur Industrialisierung fehlen, haben sich diese Unterschiede bis heute kaum nivelliert und tragen noch immer feudale Züge. Außer der Hauptstadt Sanaa weisen nur die Küstenzonen, die von der Kolonialmacht Großbritannien einst stärker entwickelt wurden als der Rest des Landes, atomisierte moderne Gesellschaftsstrukturen auf. Allerdings sind die von einer Verelendung heimgesucht, wie sie die Stammesgebiete kaum kennen.

Al Qaida ist etabliert

Die Huthis gehören einer im Nordjemen lebenden Untergruppe der Schiiten an. Ihr Siedlungsgebiet erstreckt sich weit nach Saudi-Arabien hinein, wo sie jedoch weder ihren Ritus ausüben noch die beliebte Droge Qat anbauen dürfen. Diese wird ihnen durch die Brüder im Jemen über illegale Kanäle geliefert. Die so zustande kommenden Einnahmen sind ein Grund, weshalb die Huthi-Region innerhalb des Jemen vergleichsweise bessere soziale Standards bietet als landesüblich. Dass jemenitische Huthis die Saudis nicht mögen, weil die ihre Stammesbrüder unterdrücken, ist nachvollziehbar. Gleiches gilt für das Bestreben, den immensen saudischen Einfluss im Jemen einzudämmen. Und dies besonders aus einem Grund: Die in den sozial desintegrierten Küstenregionen und im Osten des Landes eingesickerten Al-Qaida-Aktivisten und Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) werden von den Huthis als Filialen saudischer Geheimdienste gesehen. Die Organisation Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) beherrscht mit dem Hadramaut bereits die größte Provinz, dazu den Flughafen Riyan am Golf von Aden. In der Küstenstadt Mukalla hat AQAP zu einer Allianz mit örtlichen Stammesvertretern gefunden und einen 51-köpfigen Provinzrat eingesetzt, der die Gegend regieren soll. Auch Abed Rabbo Mansur Hadi, den die Huthis am 6. Februar aus dem Präsidentenamt jagten, halten sie für eine Marionette der Mächtigen in Riad und wollen seine Rückkehr verhindern.

Der bewaffnete Kampf der Huthis begann im Übrigen nicht erst vor drei Monaten, wie es allenthalben dargestellt wird, sondern schwelt seit dem Jahr 2004 als permanenter Aufstand. 2009 gingen die Armee des damaligen Staatschefs Ali Abdullah Salih und die Saudis gleichzeitig gegen die Huthi-Region vor. Sie taten es weitgehend koordiniert. Auch die Amerikaner griffen seinerzeit mit Bombardements und Waffenlieferungen zugunsten Salihs ein.

Ein Teil der Staaten, die Riad jetzt in seine "Sturm der Entschlossenheit" genannte Großoffensive gegen die Huthis einbindet, unterhalten im Jemen schon seit 2009 Spezialeinheiten mit Hunderten von Elitesoldaten. Bestätigt ist das für Marokko, Pakistan und nicht zuletzt Jordanien, das ein Kontingent von 2.000 Mann disloziert haben soll. Ägypten, das sich in der Vergangenheit ebenfalls an Kriegshandlungen im Jemen beteiligt hat, verlor dabei fast 10.000 Soldaten, worüber in Kairo nie ein Wort verloren wurde. Da der jetzige Präsident, General Abd al Fattah as-Sisi in vielerlei Hinsicht auf Saudi-Arabien angewiesen ist, muss er sich erneut exponieren - möglicherweise mit Bodentruppen. Inwieweit die freilich eine Macht gegen die Huthis sein können, ist zweifelhaft. Deren Verbände werden längst von ehemals durch die USA gut ausgerüsteten und trainierten Teilen der regulären Armee des Jemen unterstützt. Ebenso fraglich ist es andererseits, ob die Huthis dauerhaft über sunnitische Mehrheiten herrschen können. Soll der Jemen als Staat nicht zerfallen, wäre auf jeden Fall eine starke Dezentralisierung vonnöten.

Dass an der Seite Saudi-Arabiens Armeen aus zehn arabischen Staaten über die aufständische Miliz eines einzigen Landes hergefallen sind, offenbart, welche internationale Dimension dieses Eingreifen hat. Einen Krieg gegen den Iran, der - ohne, dass Beweise vorliegen - beschuldigt wird, die Huthis aufgerüstet zu haben, muss nun nicht mehr Israel führen. Dafür bietet sich Saudi-Arabien im Verbund mit sunnitischen Staaten an. Eine Allianz, die sich eines militärlogistischen Rückhalts durch die USA sicher sein kann.

Wie weit der Jemen-Konflikt darüber hinaus bereits internationalisiert ist, wird daran deutlich, dass Russland gerade seinen Lieferboykott für militärische Güter an die Regierung in Teheran beendet und verkündet hat, Iran mit dem Raketenabwehrsystem S-300 auszustatten. Wladimir Putin erließ dazu ein präsidiales Dekret.

Darunter leiden muss die Zivilbevölkerung des Jemen, der heute als ärmstes arabisches Land gilt, was nicht immer so war. Dank des Weihrauchhandels in der Antike wurde einst von "Arabia felix" gesprochen. Das hieß soviel wie "glückliches Arabien". Der Prophet Mohammed soll im 6. Jahrhundert mit großer Achtung die Hochkultur des Jemen gepriesen haben, die zuvor einen wahrscheinlich jüdischen Monotheismus pflegte. Bald aber traten die Stämme des Jemen freiwillig dem Islam bei. Sie wurden nicht unterworfen, sondern als gleichberechtigte Glaubensbrüder behandelt.

"Arabia felix", das war einmal

Dass den Vereinten Nationen gegenwärtig nichts anderes als ein Waffenembargo gegen die Huthis einfällt, die saudischen Bombardements aber geduldet wurden - das ist ein Armutszeugnis. Man darf es getrost als Zeichen dafür werten, dass die westliche Nahostpolitik mit Realitäten konfrontiert ist, die mit ihren Ansprüchen kollidieren. Nicht Saudi-Arabien unterstützt westliche Zielstellungen, vielmehr ist es umgekehrt: der Westen lässt sich für eine Hegemonie der Saudis in der arabischen wie islamischen Welt instrumentalisieren. Erst recht gilt das für die Arabische Liga, nimmt man nur die Beschlüsse des jüngsten Gipfels im ägyptischen Sharm el-Sheikh.

Dass Saudi-Arabien - anders als Staaten, die sich wenigstens um eine demokratische Fassade bemühen - grundsätzlich jedwede Verlautbarung weder über seine langfristigen noch über seine kurzfristigen Ziele ausschließt - wird in Washington, Berlin oder Paris hingenommen: Feudalsysteme dürfen das offenbar, wenn sie als regionale Ordnungsmacht anerkannt sind. Im Gegenzug bleiben westliche Regierungen jede Auskunft darüber schuldig, welches eigene Interesse besteht, dass ein - elementare Menschenrechte missachtender - Verbündeter in Nahost sämtliche Keimformen des Laizismus vernichtet und stattdessen Gottesstaaten durchsetzen will. Mit dem verkündeten Motiv westlicher Nahostpolitik - der Demokratie und zwischenstaatlichen Koexistenz zum Durchbruch zu verhelfen - kann das niemand mehr in Einklang bringen.

Quelle: der FREITAG   vom 06.05.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

07. Mai 2015

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