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USA: Fremdschämen für Obama

Der Präsident hat sich auf dem G8-Gipfel und beim Berlin-Besuch als politischer Manager präsentiert, dessen Geheimdienste alle und jeden bespitzeln dürfen

Von Konrad Ege

Das war der "gute Obama", der im Vorfeld des G8-Gipfels in Nordirland jungen Menschen versicherte, die USA würden ihnen auf dem Weg zum gelebten Frieden zur Seite stehen. Der Präsident ist schließlich Friedensnobelpreisträger. Doch dann - im idyllischen und vom gemeinen Volk abgeriegelten Enniskillen - sahen Gesprächspartner, Medien und Kritiker den anderen Obama: den Manager der mächtigsten Nation der Welt, deren Geheimdienste alle und jeden bespitzeln. Deren militärische Führung die Welt als potenzielles Schlachtfeld sieht und deren Juristen es für rechtmäßig halten, Verdächtigte bei angeblich besonders schweren Terrorismusfällen ohne Gerichtsverfahren wegzusperren. Das ist der Obama, der das progressive Amerika vor die Frage stellt: Was können wir überhaupt noch politisch tun angesichts der Tatsache, dass ein Hoffnungsträger oder zumindest das "kleinere Übel" so oft zur "dark side" überwechselt?

Kopf schütteln und sagen, man habe es immer gewusst, dass der moderne und coole Präsident doch nur ein Mann der Eliten sei? Oder resigniert zugeben, man verstehe die USA nicht mehr? Oder schmollen, weil man sich persönlich enttäuscht fühlt? Die Was-tun-Frage ähnelt dem deutschen Lamentieren nach Pferdefleischskandalen oder nach dem Ansehen von Fernsehfilmen über Tierquälerei in industriellen Schlachthöfen. "Was können wir überhaupt noch guten Gewissens essen?", wird dann gerne gestöhnt.

Auch im Juni vor 50 Jahren haben die Sicherheitskräfte in Westberlin die Gullydeckel zugeschweißt für einen Hoffnungsträger aus den USA. Gerade einmal 18 Jahre nach Kriegsende waren die Deutschen im Westen heilfroh, von John F. Kennedy wegen ihres Freiheitsbekenntnisses gelobt zu werden. Man machte sich lustig über den Osten, der ein paar Tage nach der Visite den viel weniger jugendlichen Nikita Chruschtschow von Zehntausenden Winkenden bejubeln ließ. Doch schon fünf Jahre danach hätte sich auch in Westberlin wegen des Vietnamkriegs und der Brutalität, mit der die USA gegen die Bürgerrechtsbewegung vorging, die Begeisterung über den Besuch eines amerikanischen Präsidenten in engen Grenzen gehalten.

Rücksicht auf Deutschland?

Er sei "ein stolzer Bürger der Vereinigten Staaten und ein Mitbürger der Welt", sagte 2008 der Noch-nicht-Präsident Obama in Berlin. Und jetzt lässt der Weltbürger seine Mitbürger bespitzeln. Die vermeintliche Ahnungslosigkeit europäischer Politiker, die argumentieren, das geheimdienstliche Informationsauge im Cyberspace sei nicht weiter bekannt gewesen, ist schwer zu glauben. Europa lässt den Großen Bruder oft machen, was er will - auch bei höchst fragwürdigen Unternehmungen. Man muss sich selber die Hände nicht so schmutzig machen. Der Bundesnachrichtendienst und die Bundesregierung haben wohl nicht allen Ernstes angenommen, die National Security Agency (NSA) nähme beim Datensammeln Rücksicht auf die Befindlichkeiten deutscher Datenschützer.

Zeitung müsste man lesen. Schon 2002 arbeitete - wie US-Medien damals berichteten - das US-Verteidigungsministerium an einem Total-Information-Awareness-Programm (TIA), das Geheimdiensten einen "Sofortzugang zu Informationen aus dem Mail- und Telefonverkehr, bei Kreditkarten-, Bank- und Reisedaten geben würde, ohne Durchsuchungsbefehl". 2006 trat der Techniker Mark Klein an die Öffentlichkeit. Sein Arbeitgeber - der Kommunikationsriese ATT - habe es der NSA erlaubt, in ATT-Zentren Geheimanlagen einzurichten, die es der Behörde ermöglichten, "alle Daten unterwegs im Internet" zu überwachen. Im Vorjahr berichtete der Journalist und Geheimdienstexperte James Bamford im Tech-Magazin Wired, die eigentlich fürs Ausland zuständige NSA habe ihren "Überwachungsapparat" gegen die US-Bürger gerichtet und baue in Utah das weltgrößte Datenzentrum. Spionagedienste arbeiten auch gegeneinander. Dafür werden sie bezahlt. Zum Beispiel haben die britischen Dienste MI6 und GCHQ - wie der britische Guardian zum G8-Auftakt in Enniskillen schrieb - 2009 beim G20-Gipfel in London die Computer teilnehmender Regierungschefs überwacht und Telefonanrufe von Delegationsmitgliedern abgehört.

Keine Wanzen mehr

Technische Fortschritte erlauben immer mehr und immer umfassendere Überwachungsmethoden. CIA- und KGB-Beamte müssen nicht länger irgendwo einbrechen, um Wanzen in der Schreibtischschublade zu platzieren. In den sozialen Medien freut man sich über die Mobilität im Internet. Mehr noch freuen sich wohl die Sicherheitsdienste und das Militär. Und natürlich die Internetgiganten wie Google, Microsoft, Facebook oder Yahoo. Sie alle wollen Informationen über die User, wie die Enthüllungen von Ed Snowden zeigen. Der US-amerikanische Kommunikationswissenschaftler Robert McChesney kommentierte, es sei das "schlimmstmögliche Szenario" für eine freie Gesellschaft, wenn riesige Internetkonzerne vollkommen im Geheimen "Hand in Hand arbeiten mit dem nationalen Sicherheitsstaat". Diese Art der gesellschaftlichen Überwachung hat es noch nie gegeben. Die meisten Politiker haben den Versuch längst aufgegeben, den Überblick zu bewahren.

Barack Obama hat die globale Überwachung freilich nicht erfunden. Er ist gegenwärtig nur ihr Rechtfertiger-in-Chief. Obamas Interview im US-Fernsehsender PBS am 17. Juni war fast ein Grund zum Fremdschämen, als der Präsident erklärte, die NSA-Überwachung sei "transparent", gäbe es doch ein besonderes Gericht, das die NSA-Aktionen genehmige. Dabei tagt dieses Gericht im Geheimen. Es soll mehr als 99 Prozent der Lauschanträge bewilligt haben. Obama räumte ein, die Regierung müsse Wege finden, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass "ihre Telefongespräche nicht abgehört" und ihre "E-Mails nicht von einem Großen Bruder gelesen werden. Da fragt sich der normale Bürger, ob der Präsident ihn womöglich für blöd hält.

Occupy hat vor zwei Jahren den politischen Diskurs in den USA verändert. Vielleicht ändern die Überwachungsenthüllungen den Diskurs über Privatsphäre. Dazu brauchte es allerdings eine organisierte Opposition.

Quelle: der FREITAG vom 21.06.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

21. Juni 2013

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