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Tage des Zorns im Sudan

Hintergründe zur aktuellen Verhaftungswelle gegen die protestierende Zivilgesellschaft im Sudan, 4.7.2012

Seit dem 16. Juni 2012 sind ununterbrochen Menschen auf den Straßen Khartoums und anderer sudanesischer Städte, um ihre Stimme u.a. gegen Preiserhöhungen im Transportbereich und bei Alltagsgütern, für Demokratisierung und einen Regimewechsel zu erheben. Der vergangene Freitag markierte einen bisherigen Höhepunkt an Protesten, aber auch an Repression - über Tausend wurden verhaftet.

Der Begriff "Arabischer Frühling" trifft dabei dennoch in zweifacher Hinsicht auf den Sudan nicht zu: Weder ist die Bevölkerung - entgegen der Arabisierungspolitik der Regierung - rein arabisch, noch gibt es im sudanesischen Jahreslauf einen Frühling. Die Sudanesinnen und Sudanesen nennen ihre Proteste lieber "Tag des Zorns", "Sandsturm-Freitag", "Dritte Revolution" (nach den gewaltfreien Revolutionen von 1964 und 1985, lange vor dem "Arabischen Frühling"), oder auch "Freitag des Ellenbogenleckens". Präsidialberater Nafie Ali Nafie hatte einmal flapsig gesagt, ein Regimewechsel im Sudan sei so unmöglich, wie sich selbst den Ellenbogen zu lecken.

Seit dem Putsch von Omar AlBashir vor 23 Jahren schien die sudanesische Gesellschaft von einer Angststarre geprägt. Spitzel in allen Organisationen, neueste Überwachungstechnik und die de facto Abschaffung der freien Gewerkschaften machten eine Selbstorganisation der Zivilgesellschaft extrem schwierig, ganz abgesehen von Armut und Bürgerkriegen in verschiedenen Landesteilen. Die Taktik des "teile und herrsche" ging allzu oft auf - auch heute setzt die Regierung auf Rassismen und Verschwörungstheorien in ihrem Ringen um den Machterhalt. Dabei ist sie durchaus geschwächt: Nicht nur, dass gegen Omar AlBashir als erstem amtierenden Regierungschef ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes vorliegt, auch ist die Regierung durch fehlende Öleinnahmen nach der Unabhängigkeit des Südens quasi bankrott. Im südlichen Nordsudan, in Darfur sowie mit dem neuen Nachbarland Südsudan gibt es außerdem militärische Auseinandersetzungen, die das Land auf Platz 3 des "Failed States Index" (Index der gescheiterten Staaten) gebracht haben. Für ihren Machterhalt kann und will die regierende Nationale Kongresspartei (NCP) ihre horrenden Militärausgaben von ca. 70% nicht senken und spart dagegen lieber bei der Subventionierung der Alltagsgüter ein.

Trotz des massiven Unterdrückungsapparates scheint die Angstschwelle überwunden und die Protestbewegung gewinnt an Breite: Seit einer Demonstration von Studentinnen der Khartoum-Universität am 16. Juni wegen der Verdoppelung der Mensapreise, reißen die Demonstrationen in verschiedenen Städten im Sudan nicht ab. Während bis letzte Woche noch hauptsächlich Studierende auf die Straße gingen, berichteten Augenzeugen aus verschiedenen Städten am 29. Juni, dem "Freitag des Ellenbogen-Leckens", dass von Jugendlichen bis Alten, Frauen und Männern, von liberalen Sufis, christlichen Kopten und den fundamentalistischen Ansar Sunna, aus verschiedenen Oppositionsströmungen Zehntausende auf der Strasse waren. Der Omdurmaner Stadtteil Wad Nubawi war über lange Strecken in der Hand der DemonstrantInnen, die versuchten sich z.B. mit Straßenbarrieren aus brennenden Reifen gegen die Tränengas-, Gummigeschoss- und Schlagstockangriffe der Polizei zu schützen. Das extrem starke Tränengas wurde sogar in zwei Moscheen geworfen, weil teilweise auch die Imame in den Freitagsgebeten zu Demonstrationen aufgerufen hatten.

Laut der gewaltfreien Aktionsbewegung Girifna verhaftete die sudanesische Geheimpolizei NISS (National Intelligence and Security Services) in den vergangenen Tagen über 1.000 Menschen, darunter auch Minderjährige und Verletzte. Viele wurden direkt von zuhause verschleppt und teilweise in Isolationshaft genommen. Die inoffiziellen Gefängnisse des Sudans, auch "Geisterhäuser" genannt, sind berüchtigt. Dort sollen Informationen aus den Gefangenen gepresst werden, denn die "Sicherheits-"Organe suchen die AnführerInnen der Bewegung, obwohl diese zumeist führerlos und dezentral organisiert ist. Diejenigen, die durch Schlagstockattacken, das extrem starke Tränengas oder gar scharfe Munition verletzt wurden, haben Schwierigkeiten, ärztliche Versorgung zu finden, denn die öffentlichen Krankenhäuser nehmen die Protestierenden oft nicht auf - und private Krankenhäuser sind unerschwinglich teuer. Aber die Menschen helfen sich selbst wo sie können: Augenzeugen berichten von Jugendlichen, die Tränengasopfern am Rande der Demonstrationen mit Zwiebeln als Gegenmittel versorgen, inoffiziellen Krankentransporten und Familien in den Demonstrationsgebieten, die ihre Häuser für Verletzte öffnen. Trotz Repression, v.a. gegen Mitglieder von Bewegungen wie Girifna und anderen Jugendbewegungen, sowie gegen Blogger und JournalistInnen, gehen die Proteste weiter: wochentags an Universitäten und in Nachbarschaften. Für Freitag, 6.7., ist wieder ein Aktionstag geplant, bei dem sich zeigen wird, inwieweit sich die Protestbewegung trotz der Massenverhaftungen weiterentwickelt. Auch international mehren sich die Medienberichte und Solidaritätsaktionen.

An der deutschen Öffentlichkeit gehen die einschneidenden Geschehnisse im Sudan jedoch bisher fast unbeachtet vorüber. Dabei hat Deutschland - trotz aller gebotener Skepsis gegenüber den oft elitären oder fundamentalistischen Oppositionsparteien - durch seine massive Aufrüstung des Bürgerkriegslandes Sudan während des Kalten Krieges durchaus den Menschen im Sudan gegenüber eine besondere Verantwortung.

Julia K. Kramer

und

act for transformation, gem. eG

Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V. - Kurve Wustrow

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Quellen und weitere Informationen (engl.):

 

Veröffentlicht am

05. Juli 2012

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