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Gideon Levy: Wahnsinn, nicht Vernunft leitet Israels Führung

Von Gideon Levy, 6. November 2011

Falls der Iran wagt, einen nuklearen Angriff gegen Israel auszuführen, wird der Iran einen allgemeinen, schmerzhaften Massenselbstmord begehen. Israel wird antworten, und die Welt wird nicht ruhig sein. Jerusalem weiß das, und was noch wichtiger ist, auch Teheran weiß das. Aber in Teheran - so wird uns vom Morgen bis Abend gesagt - könnte die "verrückte" Führung die Karten mischen.

Und so könnte es sein, dass Israel Teheran zu bombardieren droht, bevor es zu spät ist, und viele Israelis wären sogar dafür. Aber die augenblickliche Debatte, die mit erschreckender Ernsthaftigkeit über die Möglichkeit, den Iran zu bombardieren, geführt wird, lässt einen daran zweifeln, dass dies tatsächlich hier in Israel ist, wo sich der Wahnsinn durchsetzt. Der iranische Wahnsinn muss noch bewiesen werden; in Israel ist es schon sonnenklar.

Israel hat keine vernünftige Führung. Die meisten ihrer Schritte können nicht vernünftig erklärt werden. Es ist keine Vernunft, die den Weiterbau in den besetzten Gebieten diktiert; es ist unvernünftig, dass die Regierung Israels gegen die palästinensische Behörde den Krieg erklärt, ohne darüber nachzudenken, was stattdessen kommt. Es ist auch Unvernunft in Israels Schritten, die die Hamas stärkt, von der anhaltenden Belagerung des Gazastreifens bis zur Entlassung von nur Hamas-Gefangenen. Es ist auch unvernünftig, weiter Marwan Barghouti gefangen zu halten; es ist unvernünftig, die Beziehungen zur Türkei zu verderben; es war auch unvernünftig, die Operation Cast Lead (Gaza-Krieg 08/09) durchzuführen, die Israel mehr schadete, als es Nutzen daraus zog; es ist auch unvernünftig, gegen den arabischen Frühling Panikmache zu verbreiten, der Israel tatsächlich ein paar ruhige Jahre von Ländern bereiten könnte, deren Armeen sich auflösen, deren Gesellschaften jetzt mit internen Problemen beschäftigt und deren Regime bankrott sind. Und natürlich ist es unvernünftig, die Besatzung weiter zu führen, die Israel mehr gefährdet als alles andere.

Irgendetwas leitet die israelische Führung - und dies wird nicht Vernunft genannt. Die israelische öffentliche Meinung kann auch nicht einen Moment lang im Verdacht stehen, sich selbst vernünftig zu verhalten: die meisten Israelis glauben, dass das Bombardieren des Iran einen regionalen Großbrand auslösen wird; und trotzdem sind mehr Israelis dafür als dagegen. Wenn das gesunder Menschenverstand ist, was ist dann Wahnsinn?

Es gibt keinen Weg, um rational das Schlagen von Kriegstrommeln gegen den Iran zu erklären. Die Risiken eines israelischen Angriffs sind klar, und sie sind entsetzlich. Die Gefahr, die vom Iran ausgeht, in dem er eine Atombombe anwendet, ist gleich Null und doch spielt Israel mit dem Feuer der Hölle. Die Israelis sagen tatsächlich, dass sie einen Raketenhagel, der Blutvergießen und Zerstörung mit sich bringt, dem zukünftigen eingebildeten Risiko der selbstmörderischen Waffe des "wahnsinnigen" Iran vorziehen; dass sie einen systemübergreifenden Wahnsinn mit klaren Drohungen und offenen Vorbereitungen für das vorziehen, was eine israelische Selbstmordmission werden könnte.

Selbst wenn all die gut organisierten Statements, Manöver und Rauchschwaden nur als Drohungen gedacht sind, fehlt ihnen jede Weisheit. Ein bedrohter Iran ist auch gefährlich. Er könnte einen verzweifelten Präventivschlag gegen Israel ausführen.

Der Iran wünscht nukleare Waffen, um sein Regime zu schützen. Er sah, wie der frühere irakische Führer Saddam Hussein und Libyens Muammar Gaddafi bombardiert wurden, und er verstand - sehr logisch, muss gesagt werden - falls es eine nukleare Option gäbe, dann würde die Welt es nicht berühren, so wie sie weder Nord-Korea noch Pakistan berührt. Der Iran wünscht auch, eine regionale Macht im Nahen Osten zu sein, und er weiß, dass es einen Weg gibt, nämlich über Zentrifugen. Es wäre natürlich besser, wenn sein Wunsch nicht in Erfüllung ginge. Es wäre besser, wenn die Welt so viel Druck ausüben würde, dass der Iran keine Atomwaffen erreicht. Aber es ist allen klar, dass kein Bombardieren sie für immer vom Iran abhalten wird.

Die einzige Schlussfolgerung von all dem oben Gesagten ist, dass es eine unvernünftige Führung im Nahen Osten gibt - aber das ist nicht unbedingt Teheran. Angst, zum Teil falsche Angst wohnt in Jerusalem, das Ergebnis von Panikmache und Dämonisierung, die hier immer präsent sind in Bezug auf alles, von der Schweinegrippe bis zum iranischen Nuklearprogramm.

Daneben gibt es den Größenwahn, der besagt, dass Israel die Schüsse in der Region abrufen kann, wie und wann es ihm gefällt. Die Männer, die den Iran jetzt bedrohen, sind wirklich die schlimmsten Feiglinge. Die Tapferen sind diejenigen, die versuchen, den Wahnsinn abzuwenden, vom früheren Chef des Mossad Meir Dagan bis zum Innenminister Eli Yishai.

Deutsche Übersetzung: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

15. November 2011

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