Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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“Der eilige Nikolaus Schneider”

Ist das Staatskirchentum zu einer Umkehr in Sachen "Kriegsethik" unfähig?

Von Peter Bürger

Der rheinische Präses und EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider ist ein liebenswürdiger und sozial wacher Christ. Er möchte, auch wenn es um heikle Themen wie Ökumene oder Ökonomie geht, bei seinen Einsprüchen niemanden verletzen. Seine Behutsamkeit betrachte ich als Ausdruck einer sehr persönlichen Gewaltfreiheit. Mit einer bloß äußerlichen Höflichkeit hat sie aus meiner Sicht nichts zu tun.

Indessen gibt es Zeitpunkte, in denen man - mit Worten des Liedermachers Klaus Hoffmann - einfach zu müde ist, um höflich zu sein. Eine solche Müdigkeit beschleicht mich in diesen Tagen. Denn in Fragen des Krieges ist Nikolaus Schneider bisweilen auf anstößige Weise behutsam oder - ganz im Gegenteil - auch sehr eilig. Ein prophetischer Amtsträger ist er ohne Zweifel nicht. Ein Prophet wird auch wohl kaum (bzw. allenfalls aus Versehen) in die Kirchenleitung einer mit staatlich eingezogenen Sondersteuern finanzierten Körperschaft berufen.

"Zwei Prozent gerechte Kriege - vielleicht auch in Afghanistan"?

Seine Bereitschaft zur Voreiligkeit in bestimmten Fragen hat Nikolaus Schneider schon bald nach seiner Wahl zum Präses der Rheinischen Landeskirche unter Beweis gestellt. Er predigte am 27. Januar 2003 in Düsseldorf noch vor seinem Amtsantritt: ">Zu 98 % haben die Pazifisten recht< - sagte Karl Barth einmal. […] Die Kriegserklärungen der Alliierten gegen Deutschland gehörten zu den 2 %, wie vielleicht auch die militärische Gewalt auf dem Balkan und in Afghanistan."Schneider, Nikolaus: Ansprache über den Wochenspruch (Lukas 13,29) - Gottesdienst für den Frieden, Johanneskirche Düsseldorf, 27.01.2003 [nicht publizierte Auslage]. Diese - als Argument gegen einen Angriffskrieg im Irak formulierte - Mutmaßung erfolgte ohne Anfrage und ohne jegliche Notwendigkeit! Bezeichnenderweise drehte es sich bei den thematisierten neueren Kriegen, denen von Präses Schneider - ohne Anfrage - ein mögliches "Gerechtsein" zugebilligt wurde, um Kriege mit bundesdeutscher Beteiligung: Balkan und Afghanistan.

Leider ist auch acht Jahre später - nach der Übernahme des EKD-Ratsvorsitzes durch Nikolaus Schneider - von einer wirklich kritischen Stellungnahme zum Afghanistan-Krieg, die den Regierenden weh täte, noch keine Rede - und das, obwohl die Vietnam-Verhältnisse auf diesem Militärschauplatz inzwischen so deutlich wie nie für jeden einsehbar sind. Schon das EKD-Wort vom 25. Januar 2010 zu Afghanistan hat friedensbewegte Christinnen und Christen entsetzt. Christof Grosse, Sprecher der pax christi-Kommission Friedenspolitik, resümierte damals: "Insgesamt ist festzustellen, dass die sieben Punkte des EKD-Worts in sich zwiespältig und inkonsequent sind. Im Besonderen wird in fünf davon der militärischen Option mehr oder weniger unverblümt oder relativierend auf >zivile Anstrengungen< das Wort geredet wird. Zum Abschluss erscheint der militärische Einsatz auf eine Stufe gestellt mit zivilen Hilfs- und Aufbaumaßnahmen."Pax Christi / Kommission Friedenspolitik: Betreff "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen"(EKD-Wort vom 25. Januar 2010 zu Afghanistan). Vorgelegt: Pforzheim 08.02.2010.

Die "kritische Masse in der rheinischen Kirche" warnt - und behält leider recht mit ihren Befürchtungen

Vor der jüngsten Afghanistanreise von Nikolaus Schneider schrieb ihm der Leitungskreis der Solidarischen Kirche im Rheinland am 22. Januar 2011: "Mit Sorge blicken wir aber auf Deine angekündigte Afghanistan-Reise und sehen die Gefahr, dass sie als eine grundsätzliche Zustimmung zu der derzeitigen deutschen Politik verstanden bzw. instrumentalisiert wird, auch wenn das gegen Deinen Willen oder gegen Deine Erklärungen geschieht. Erschwerend kommt hinzu, dass Du mit dem Militärbischof fahren willst, der im Blick auf den Militärseelsorgevertrag ein Symbol der fehlenden kritischen Distanz zwischen Kirche und Staat ist. Wir fürchten, es wird sehr schwer sein zu vermitteln, dass es allein um eine seelsorgerliche Begleitung der SoldatInnen geht und nicht auch um einen Beitrag zur politischen Debatte. Darum ist der Leitungskreis der SoKi der Ansicht, es wäre besser, die Reise fände nicht statt."Ich bin trotz meiner römisch-katholischen "Konfession" Mitglied der Solidarischen Kirche im Rheinland, deshalb liegt mir dieser Brief vor. Ich hoffe, die Geschwister im Leitungskreis betrachten mein Zitieren des Briefes nicht als Indiskretion.

Waffen um den Altar der Gemeinde Jesu?

Diese Befürchtungen erwiesen sich später leider - in allen Punkten - als nur allzu berechtigt. In der Berichterstattung der Rheinischen Post war für die Leser fast eine Zustimmung zum Afghanistan-Krieg herauszulesen.Vgl. auch: Afghanistan-Debatte. Präses Schneider rückt von Käßmann ab. In: Rheinische Post, 05.02.2011. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau konnte der EKD-Ratsvorsitzende immerhin wortgetreu seine Einschätzungen verbreiten.EKD-Vorsitzender Nikolaus Schneider im Interview. "Wir rechtfertigen den Krieg nicht" . In: Frankfurter Rundschau - Online, 4.02.2011. (Vergleichen sollte man diesen Beitrag z.B. mit der Rede von Eugen Drewermann auf der Friedenskundgebung gegen die Münchner "Sicherheitskonferenz" am 5. Februar 2011). Sie lagen ganz auf der Linie des "J(a)eins" der EKD vom 25. Januar 2010. Nikolaus Schneider bekannte: "… ich sehe doch sehr viel mehr Positives, als ich gedacht hätte." Zur Wortakrobatik des Interviews gehören Sätze wie dieser: "Ohne militärische Gewalt als solche zu rechtfertigen, halte ich das konkrete Vorgehen der Soldaten in Afghanistan für ethisch hinnehmbar." Da darf sich ein getaufter Soldat doch gewiss von einem so hohen Seelsorger beruhigt wissen.

Und nun hätte man als Christenmensch vom "Bischof" doch ein klares Wort dazu hören wollen, dass Tötungswaffen am Altar der Gemeinde Jesu nie und nimmer etwas verloren haben. Doch Nikolaus Schneider bleibt auch hier - bezogen auf sein Erleben eines Soldatengottesdienstes in Afghanistan - sehr höflich. Irgendwie ist ihm unwohl dabei, aber ein klares "Nein!" mag er nicht sprechen: "Das heißt, sie [die Soldaten] waren auch im Gottesdienst mit ihren Pistolen, und sogar beim Abendmahl hatten sie ihre Pistolen im Holster stecken. Das war für mich ganz fremd. Ich habe mich gefragt [sic!], ob nicht die Gegenwart der Pistole die Gegenbotschaft zu dem ist, was im Abendmahl geschieht? Ich habe deutlich gespürt: Es ist eine außergewöhnliche Situation, die nicht vergleichbar ist mit dem, was wir unter >normalen< Bedingungen in Deutschland erleben."Zitiert nach: Interview mit dem Ratsvorsitzenden der EKD aus Afghanistan "Entscheidend ist der zivile Aufbau" , EKD-Website 6. Februar 2011..

"Militärische Gewalt gegen das Regime von Libyens Machthaber angemessen"?

Nur zwei Monate später müssen wir bezogen auf einen anderen Kriegsschauplatz wieder den (vor-)eiligen Nikolaus Schneider erleben. Am 21. März meldet der epd-Pressedienst: "Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hält den Einsatz militärischer Gewalt gegen das Regime von Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi für angemessen. In der RBB-Sendung >Thadeusz< sagte Schneider, >wir kommen an der Sünde nicht vorbei, denn hier haben wir eine Form von Gewalt, der man auch mit Gewalt widerstehen muss<." EKD-Ratsvorsitzender Schneider für UN-Einsatz in Libyen . Noch am 11. März konnte man auf der Internetseite der Evangelischen Kirche gelesen: "Die EKD ist strikt gegen ein militärisches Eingreifen." Europa ruft Machthaber Gaddafi zum Rückzug auf . Und am 24. März äußerte sich der EKD-Friedensbeauftragte kompetent wider die militärische Illusion zu Wort.EKD-Friedensbeauftragter: Militäreinsatz gegen Libyen kann Gaddafi nicht stoppen. "Wann werden wir endlich klug und unterbinden Waffenlieferungen…?" Renke Brahms im Interview: EKD-Friedensbeauftragter: "Gaddafi lässt sich so nicht vertreiben" , 24.03.2011. - Vgl. jetzt auch die kritische Stellungnahme der evangelischen Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. "NATO Einsatz in Libyen völkerrechtlich fragwürdig und politisch fatal" vom 5. April 2011.

Da Schneider hier an fragwürdiger Stelle voreilig einer tragischen Ethik - Sünde so oder so - das Wort redet, kann er im April 2011 sich deutlich skeptischer zum Libyen-Krieg äußern, ohne sich "untreu" zu werden (zwischenzeitlich ist die Zahl der Voten aus der Ökumene gegen den Libyen-Krieg unaufhörlich gewachsen). Doch darf sich eine Kirchenleitung, die so viel ehren- und hauptamtliche Fachkompetenz beratend an der Seite weiß, so verheddern? Die mannigfachen Rohstoff- und Profitinteressen fast aller Beteiligten auf dem Schauplatz Libyen, der - von der gewaltfreien arabischen Revolte sehr zu unterscheidende - Bürgerkriegs-Charakter des Konflikts und der dunkle Hintergrund vieler "Rebellen" sind bekannt.Vgl. das Dossier: Buro, Andreas/Ronnefeldt, Clemens: Der NATO-Einsatz in Libyen ist (Öl-)interessengeleitet . In: Aachener Friedensmagazin, 4. April 2011.. Allzu offenkundig waren viele Sanktionsmöglichkeiten - darunter ein rigoroser Stopp aller Ölgeschäfte mit Gaddafi - bei der Abstimmung über den UN-Kriegsbeschluss noch lange nicht ausgeschöpft (was zur Stunde noch immer gilt). Vermutlich wird man aufgrund der UN-sanktionierten Interventions-Sünde, die fatale Auswirkungen auf die gesamte Völkerrechtssprechung haben kann, am Ende viel mehr unschuldige Todesopfer beklagen müssen als ohne externe Anheizung des Bürgerkrieges. Mit der Formel "Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein", die die Ökumene nach 1945 ausrief, wird heute vieles zusammengereimt. Darf man sie an dieser Stelle wirklich als tragischen Ersatz für eine gründliche Analyse bemühen, als Motor für ein schnelles "aber doch …"?

Fortan, so meine ich, sollte unser Bruder Nikolaus Schneider auf pro-militärische Voreiligkeit konsequent verzichten und sich mehr Rat bei kompetenten Geschwistern in der evangelischen Kirche holen. Auch ein Präses oder Bischof kann nicht alles im Handumdrehen überblicken.

Welche Tragik soll zur Sprache kommen?

Wenn nun aber von Tragik die Rede sein muss, dann sollte der EKD-Ratsvorsitzende auch mit Blick auf Libyen eine andere Tragik unserer Zivilisation beklagen. "Seit über zwei Jahrzehnten haben wir die Umstellung auf eine Wissenschaft und Infrastruktur der gewaltfreien Konfliktlösung bzw. Kriegsprävention >verpasst<, die zur Umsetzung der Vision von >Vereinten Nationen< nach dem Kalten Krieg so überfällig gewesen wäre wie nur irgendetwas. Stattdessen ist die Kriegsgüterproduktion ins Unermessliche explodiert: Mordwaffen >made in Germany< auf Platz drei und Lieferung an alle Freunde, von denen unsere Regierenden seit der arabischen Revolte plötzlich nichts mehr wissen wollen. Gleichzeitig fehlt das nötigste Kleingeld zur (nicht-militärischen) Leidensminderung auf unzähligen globalen Schauplätzen, für deren Bewältigung wir über hinreichendes Wissen und genügend Ressourcen verfügen! Aber ja, wir wollen derweil weiter an den Weihnachtsmann der >humanitären Interventionen< und andere hochmoralische Akteure glauben."Bürger, Peter: Zivilisatorischer Ernst und Psychopathie. Ungeschützte Gedanken zur japanischen Atomkatastrophe . In: Telepolis, 29.03.2011. .

Eine internationale Polizei zum Schutz von Menschen, die mit nationalem oder übernationalem Militär nichts zu tun hat, gibt es einfach nicht. Die Mächtigen wollen dergleichen nicht! Gemessen an der Militär- und Mordwaffenforschung führen die Friedenswissenschaften ein Rand-Dasein als kleine Selbsthilfegruppe. Wir können zum Mond und noch viel weiter fliegen, aber die Entwicklung von intelligenten Überlebens- und Menschenrechtsstrategien auf der Erde ist den Regierenden nichts wert.

Die Christenheit der reichen Länder und die neuen Wirtschaftskriege

Immerhin hat Nikolaus Schneider sich Anfang 2011 in seinem Synodalbericht als rheinischer Präses (nicht als EKD-Ratsvorsitzender) deutlich gegen eine Rechtfertigung von militärischen Einsätzen aus ökonomischen Erwägungen heraus ausgesprochen. Diese Selbstverständlichkeit der gesamten ökumenischen Friedensethik, die alle pazifistischen und nicht-pazifistischen Christenmenschen verbindet, wäre heute laut und vernehmlich für alle Menschen im Lande zu vermitteln: "gelegen oder ungelegen". Aber wo waren die protestantischen und die römisch-katholischen Bischöfe bei der jüngsten Aufrüstungsphase der bundesdeutschen Wirtschaftskriegs-Doktrin, angefangen vom schwarz-roten Bundeswehr-Weißbuch 2006 bis hin zu den verfassungsfeindlichen Voten von Ex-Bundespräsident Horst Köhler und Ex-Militärminister Baron von Guttenberg?

Im Jahr 2006 haben Getaufte aller Konfessionen eine ökumenische Erklärung gegen Wirtschaftskriege bzw. Militärdoktrinen zur Sicherung von nationalen ökonomischen Interessen vorgelegt (man kann sie noch unterzeichnenÖkumenische Erklärung gegen Militärdoktrinen im Dienste nationaler Wirtschaftsinteressen (Online-Unterzeichnung seit 2006). In: Lebenshaus-Website: Ökumenische Erklärung gegen Militärdoktrinen im Dienste nationaler Wirtschaftsinteressen ). Während z.B. die jüngste reformkatholische Petition in kurzer Zeit 65.000 Unterschriften bekam, stehen darunter bislang immer noch nur rund tausend Namen. Prominente Vertreterinnen und Vertreter von Kirchenleitungen sind m.W. nicht dabei. Es wäre Zeit zur Umkehr. Es wäre auch Zeit, über den anpassungsbereiten kirchlichen Narzissmus in den reichen Ländern - evangelisch, katholisch oder wie auch immer - und über bischöfliche Staatskirchengehälter von bis zum 12.000 Euro im Monat zu weinen, bitterlich zu weinen. Wie weit wollen wir die Botschaft Jesu noch versinken lassen?

Nachsatz: Als römisch-katholischer Pazifist bin ich natürlich zunächst bekümmert wegen der prominenten und beharrlichen Beteiligung "meines" Kölner OrtsbischofesVgl. Fuchs, Albert: Bigotter Militarismus auf Ministerebene. Ein kritischer Nachgang zu einem Interview der BMVg Karl-Theodor zu Guttenberg anlässlich des "Internationalen Soldatengottesdienstes" im Kölner Dom am 13.01.2011. Beitrag für "Wissenschaft & Frieden", 09.02.2011. an der "Re-Sakralisierung des Militärischen"Vgl. Fuchs, Albert: Re-Sakralisierung des Militärischen. In: pax zeit. Zeitschrift der deutschen Sektion von pax christi, März 2011, S.6-8.. Innerhalb der größeren allgemeinen (katholischen) Kirche fühle ich mich eher der Basisökumene als der kirchenamtlichen ACK-Ökumene verbunden. Vor diesem Hintergrund sind auch meine in diesem Beitrag enthaltenen Ausführungen in Richtung der evangelischen Schwesterkirche zu lesen.

Fußnoten

Veröffentlicht am

06. April 2011

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