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Wider den abermaligen “Missbrauch” deutscher Soldatinnen und Soldaten

Stellungnahme der pax christi-Kommission Friedenspolitik zur angekündigten noch engeren Verzahnung von Militär- und Wirtschaftspolitik

Von pax christi-Kommission Friedenspolitik

Worum es geht

"Die Sicherung der Handelswege und Rohstoffquellen" sei "ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten", verkündete der amtierende Bundesverteidigungsminister K.-T. zu Guttenberg am 9. November bei Eröffnung des diesjährigen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungskongresses in Berlin. Und gleichfalls "ohne Zweifel" sei "auch die Energieversorgung eine wesentliche Komponente bei den Veränderungen im internationalen Kräftegleichgewicht".

Mit dem Zusammenhang von Wirtschaftsinteressen und Sicherheitspolitik solle man "offen und ohne Verklemmung" umgehen.11 Zit. nach URL: http://www.behoerden-spiegel.de , 09.11.2010. Ausdrücklich bezog Guttenberg sich zustimmend auf entsprechende Äußerungen des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, die seinerzeit auf heftige Kritik gestoßen waren und in deren Folge Anfang Juni zu Köhlers Rücktritt geführt hatten. Einschlussweise pflichtet(e) Guttenberg damit im Besonderen auch Köhlers skandalöser Verknüpfung von Soldatentoden und Interessenwahrung bei. O-Ton Köhler: "Aber es wird wieder Todesfälle gebe. … Man muss auch um diesen Preis sozusagen seine am Ende Interessen wahren."Zit. nach Deutschlandradio Kultur, 22.05.2010.

Die Verknüpfung von wirtschaftlichen Interessen und neudeutscher Militärpolitik ist allerdings weder Köhlers noch Guttenbergs Erfindung. Sie begann schon bald nach der Epochen-Wende von 1989/90, spätestens mit Volker Rühes Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992. Rühe erklärte die "Einflussnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unser Wirtschaftskraft" zu einem der "vitalen Sicherheitsinteressen" Deutschlands und konkretisierte diese nebulöse Bestimmung dahingehend, dass es Sache deutscher Sicherheitspolitik sein solle, für die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt …" zu sorgen. Alle einschlägigen Anschlusspapiere (im Besonderen der Bericht der Weizsäcker-Kommission von 2000, die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003, das Weißbuch von 2006) paraphrasieren im Grunde nur diese Linie - nebenbei: im Deutschen Bundestag abgenickt von den Abgeordneten aller jemals seit der Epochenwende von 1989/90 an der Regierung beteiligten Parteien.

Wie jedoch der jetzige Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt die Linie fortsetzt, hat eine besondere Qualität. Bereits früher und als erster - abgesehen von der in ihrem Bezug etwas uneindeutigen und sprachlich "verunglückten" Einlassung Köhlers - hatte Guttenberg einen konkreten Auslands-Einsatz der Bundeswehr zu deutschen Wirtschaftsinteressen in Beziehung gesetzt, just den hoch umstrittenen am Hindukusch, den man bis dato der Bevölkerung vergeblich als "Notwehr"/"Verteidigung" bzw. als "Nothilfe"/"humanitäre Intervention" schmackhaft zu machen versucht hat(te). O-Ton Guttenberg: "Es handelt sich in der Gesamtregion um ein Kerngebiet, bei dem deutsche Sicherheits-, aber auch Wirtschaftsinteressen berührt sind, Stichwort Energie".Zit. nach Die Zeit, 28.10.2010. Guttenbergs Selbst-Inszenierung als Frischen-Wind-Bringer und Tabu-Brecher auch in diesem Fall wirft zudem besonderen "Glanz" auf den neudeutschen Anspruch auf einen "Platz an der Sonne": Provokativer und eitler als Guttenberg am 9. November beim sog. Berliner Sicherheitskongress kann man kaum die Verknüpfung von wirtschaftlichen Interessen und Militärpolitik propagieren. Vor allem aber suggeriert Guttenbergs "Hoppla, jetzt komme ich!"-Gestus, die verfassungs- und völkerrechtlichen Grenzen militärischer Gewaltanwendung seien vernachlässigbar oder Entscheidungen in Militär- und Kriegs-Angelegenheiten stünden gar außerhalb von Verfassung und Völkerrecht.

Was das bedeutet

Demgegenüber ist zunächst an die rechtlichen Grenzen zu erinnern, die das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 21. Juni 2005 in der Causa Pfaff in aller wünschenswerten Klarheit herausgearbeitet hat. Zwar ist die Begründung des Freispruchs des im Zusammenhang der deutschen Zuarbeit zum Irak-Krieg der Gehorsamsverweigerung beschuldigten Majors schließlich allein am Grundrecht der allgemeinen Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG orientiert. Das Bundesverwaltungsgericht stellt jedoch klar, dass nur ein rechtlich verbindlicher Befehl Anspruch auf Gehorsam begründen kann, wobei die genauen Grenzen einer verbindlichen militärischen Befehlsbefugnis (und damit der soldatischen Gehorsamspflicht) durch Grundgesetz und Soldatengesetz gezogen werden. In vorliegenden Zusammenhang ist der dienstliche Zweck der Befehlserteilung eine rechtliche Grenze von entscheidender Relevanz. Denn als zu dienstlichen Zwecken erteilt erachtet das Bundesverwaltungsgericht Befehle, die erforderlich sind, "um die durch die Verfassung festgelegten Aufgaben der Bundeswehr zu erfüllen".Bundesverwaltungsgericht, 2005, S. 30. Dabei hat gemäß Art 87a Abs. 1 GG "Verteidigung" als primäre Aufgabe zu gelten, und zwar "Verteidigung" im Sinne alles dessen, "was nach dem geltenden Völkerrecht zum Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen … zu rechnen ist" (ebd.). Ausdrücklich betont das Bundesverwaltungsgericht, dass Verteidigung sich auf einen militärischen Angriff beschränkt, die Bundeswehr mithin rechtskonform "nicht zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen" herangezogen werden kann (ebd.).

Zweitens setzt sich ein Verteidigungsminister (oder wer auch immer), der eine Umwidmung der deutschen Streitkräfte wie den geschilderten propagiert und betreibt, nicht nur in Gegensatz zum zwingend verbindlichen normativen Rahmen dieses Politikbereichs, zu Grundgesetz und Völkerrecht. Er betreibt darüber hinaus (erneut) einen Missbrauch deutscher Soldatinnen und Soldaten - vor dem diese doch in "diesem Staat" angeblich unter allen Umständen sicher sind.Vgl. Helmut Schmidt, zur ersten Vereidigung von Bundeswehrrekruten vor dem Reichstag. Die Zeit, 24.07.2008. Er missbraucht seine Untergebenen in zweierlei Hinsicht: Sofern er erstens vorhergesehene und insoweit gewollte "Todesfälle" unter ihnen für die "Wahrung unserer Interessen" in Kauf nimmt und irgendwie zu einem "Nettonutzen" verrechnen muss (s.o.) und sofern er zweitens sie dazu bringt, Angehörige anderer Völker und Staaten für deutsche Interessen "notfalls" umzubringen, d.h. falls sie nicht wie von ihnen gefordert parieren.So sinngemäß der Koordinator der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger - vgl. T. Pflüger: Die herrschende Politik ist gewalttätig, 05.02.2010. URL: http://www.yenihayat.de . Dieser Missbrauch impliziert wiederum einen massiven Grundrechtsverstoß eigener Art, im Besonderen einen Verstoß gegen Art.1 Abs. 1 und Art.2 Abs. 2 unseres Grundgesetzes. Es ist zu befürchten, dass das Abrücken von der Wehrpflicht im Zuge des von Guttenberg unlängst in Gang gesetzten "radikalsten Umbaus der Bundeswehr seit ihrer Gründung", die Einführung einer reinen Berufs- bzw. Freiwilligenarmee, nicht zuletzt auf eine Erleichterung dieses Missbrauchs angelegt ist.

Drittens liegt eine Ausrichtung der Sicherheitspolitik auf militärische Unterstützung wirtschaftlicher Ambitionen und Interessen einerseits ganz auf der Linie interessengeleiteter nationaler Außenpolitik, wie sie nach der Wende von 1989/90 mit der neoliberalen Globalisierung allgemein (wieder) bestimmend geworden ist und im Besonderen die neudeutsche Außenpolitik kennzeichnet. Zugleich aber werden damit die Tendenzen in Richtung nationalistischer Konkurrenz und Aggressivität wesentlich verschärft. Bezeichnend dürfte sein, dass Guttenberg auf der Zeit-Konferenz "Internationale Sicherheitspolitik" am 18. Oktober 2010 im Hamburg eine nationale Sicherheitsstrategie forderte, die die weitere Ausrichtung der Bundeswehr auf Interventions- und Aufstandsbekämpfungsfähigkeit untermauern soll.Cf. http://www.bmvg.de/portal . An die Stelle von Verhandlungen und Vereinbarungen unter Wirtschafts- und Geschäftspartnern halbwegs auf Augenhöhe, treten Erpressung und Willkür der militärisch Stärkeren - ganz zu schweigen davon, dass unter solchen Bedingungen die Ideale Gerechtigkeit, fairer Interessenausgleich und Solidarität zynische Leerformeln bleiben müssen. Und selbst wenn keine Kanonenbootpolitik im eigentliche Sinne avisiert sein sollte, kein Krieg um strategische Ressourcen, wenn "nur" sichergestellt werden soll, dass die "marktwirtschaftlich organisierte Weltwirtschaft" nicht zusammenbricht, dass solche Ressourcen also günstig zu kaufen bleiben, so geht es doch nicht um irgendwelche freie Zugriffe, sondern um den Zugriff zu den eigenen Marktbedingungen.

Das Köhler-Guttenbergsche Ansinnen, Militär- und Wirtschaftspolitik (noch stärker) zusammenzuführen, stellt sich schließlich als außerordentlich skandalös im Hinblick auf das in den C-Parteien so oft und gerne beschworene "christliche Welt- und Menschenbildes" heraus. Bei seiner Ansprache zu einer Trauerfeier für in Afghanistan "gefallene" Bundeswehrsoldaten im April dieses Jahres verortete sich Guttenberg ausdrücklich in diesem Rahmen. Verkündigte er doch der Trauergemeinde mit quasi-pastoralem Pathos: "Und wenn es diesen Gott unseres christlich geprägten Europas gibt", woran er "fest glaube", dann "werden sie, diese vier tapferen Männer, bei dem Vater aufgehoben sein, dessen Sohn sein Leben gab für das Leben der Menschen auf dieser Welt".Rede des Verteidigungsministers auf der Trauerfeier in Ingolstadt, 24.04.2010. URL: http://www.bmvg.de . Da aber die Rolle von Wirtschaftsinteressen auch im Afghanistan-Krieg an anderer Stelle zugestanden wurde (s.o.), erstreckt sich Guttenbergs angemaßte vertröstungs-theistische "Seligsprechung" auf "unsere" Opfer für "unsere" Interessen überhaupt. Anders gesagt: Wie (eigen-)interessengeleitet "unsere" Helden auch immer zu Lasten anderer aktiviert werden und agieren, wie viele sie auch umbringen oder umzubringen helfen, wieder ist "Gott mit uns". Wie sonst könnten "unsere" Helden bei Ihm bestens "aufgehoben" sein? Diese Umfunktionierung des Gottes des Jeshua aus Nazareth - des Gottes des Friedens und "Vaters" aller Menschen - zu einer Clan-Gottheit stellt für das "christliche Welt- und Menschenbild" eine unsägliche Blasphemie dar.

Was daraus folgt

Wann, wenn nicht wenigstens angesichts dieser "Gotteslästerung" müssten in den christlichen Kirchen die Alarmglocken schrillen? Wir erwarten von unseren Kirchenleitungen aber auch eine entschiedene friedensethische Positionierung gegen jede Militärdoktrin, die militärische Gewaltanwendung für wirtschaftliche Interesse fundieren soll: eine klare und differenzierte Ansage, dass alles Denken in solchen Kategorien der christlich-ökumenischen Konzeption eines "gerechten Friedens" Hohn spricht, dass es aber auch mit der traditionellen Lehre vom "gerechtfertigten Krieg" bzw. den weithin akzeptierten entsprechenden Kriterien unvereinbar ist. Und wir erwarten, dass diese Positionierung nicht abgehoben und abstrakt bleibt, sondern politisch-praktisch "durchbuchstabiert" wird, dass vor allem die Verbindlichkeit des Anspruchs der staatlichen Obrigkeit auf den Befehlsgehorsam der Soldatinnen und Soldaten unter der Herrschaft wirtschaftsmilitaristischer Militärdoktrinen hinterfragt wird und dass ebenso die Verbindlichkeit des Anspruchs auf unbesehene Kriegssteuerzahlung seitens der Bevölkerung problematisiert wird.

Wir appellieren an alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, die bisher einen "Friedensdienst mit der Waffe" für möglich halten, unbeschadet unseres vorbehaltlosen Respekts vor ihrer Meinungs- und Gewissensfreiheit, ihren "guten Glauben" im Lichte der hoch problematischen aktuellen militärpolitischen Entwicklung zu überprüfen. Insbesondere bitten wir alle Christinnen und Christen mit entsprechenden Überzeugungen, nicht durch passive Hinnahme der fatalen Entwicklung die Treue zum "Evangelium des Friedens" effektiv aufzugeben, nicht den Friedenskonsens der gesamten christlichen Ökumene zu verlassen, sich vielmehr jeglicher Rechtfertigung von militärischer Gewaltanwendung aus wirtschaftlichem Kalkül zu widersetzen. Vor allem bitten wir die sich als "Diener des Friedens" verstehenden christlichen wie nichtchristlichen Soldatinnen und Soldaten, die letztlich die "neue" militärpolitische Linie zu exekutieren haben, dass sie sich der Rechtsmacht bewusst werden, die ihnen Grundgesetz und Völkerrecht gegen den laufenden und absehbar zunehmenden abermaligen Missbrauch der deutschen Streitkräfte verleihen, und dass sie diese Rechtsmacht auch zu nutzen verstehen!

Unsere Freundinnen und Freunde in den Friedensbewegungen ermutigen wir, selbstbewusst den Militär- und Kriegslobbyisten jeder Provenienz die politisch-mediale Bühne streitig zu machen, flexibel und phantasievoll, hartnäckig und ausdauernd den öffentlichen Meinungsstreit zu suchen und ihn sachkundig und differenziert auszutragen. Wir würden uns freuen, wenn die skizzierten "neuralgischen" Punkte als Ansatz- und Richtpunkte für diese unabdingbare Auseinandersetzung dienen könnten.

Quelle: pax christi - 03.12.2010.

Aufruf zum Unterzeichnen:

Fußnoten

Veröffentlicht am

07. Dezember 2010

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