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USA: Opposition ohne Partei

Ein Jahr nach Obamas Wahlsieg erfasst die Ultrakonservativen ein Hang zu explosiver Paranoia, während die Republikanische Partei an Einfluss verliert

Von Konrad Ege

Obama! Obama! Wahlabend am 4. November 2008, gerade ein Jahr ist es her. In Phoenix (Arizona) war die Stimmung schlecht: Der Republikaner John McCain gratulierte seinem Rivalen zum "historischen Erfolg", doch hat sich die konservative Opposition bis heute nicht zurecht gefunden. Die Republikanische Partei präsentiert kaum neue Konzepte, und rechte Aktivisten sind permanent aufgebracht, empört, schockiert und entrüstet, mit einem Hang zu explosiver Paranoia.

Früher konnten die USA gesellschaftliche Spannungen mit Expansion und Wachstum abfedern. Heute ist das nicht mehr so einfach. Der Himmel breitet sich weit über West-Texas. Hier und da beleben Ölpumpen die flache Eintönigkeit. George Bush senior hat in dieser Region im Ölgeschäft verdient, Sohn George W. hat es versucht. Aber the times are a’changing, singt der oft zitierte Bob Dylan. Energiepolitische Schlagzeilen macht in Texas gerade ein neuer Windpark, der einer der größten Amerikas sein wird. Eine chinesische Bank finanziert das Projekt, und der chinesische Hersteller Shenyang Power liefert die Windturbinen. West-Texas sei "nur der Anfang", sagt ein chinesischer Unternehmer im Wall Street Journal. Die USA seien "der ideale Zielmarkt" für Windenergieprodukte.

Eine Frage der Perspektive: Links von der Mitte beschwert man sich, Obama sei bei der nationalen Sicherheit wie sein Vorgänger, und bei der Gesundheitsreform bandle er an mit der Versicherungsindustrie, für Kopenhagen kriege er keinen Klimaschutzplan zusammen, und sein Konjunkturprogramm greife zu wenig. Gestandenen Konservativen aber, die in den Vereinigten Staaten den "Leuchtturm für den Rest der Welt" - wie es Ronald Reagan einst formulierte - sehen möchten, stößt es bitter auf. Obamas Reformen gehen ihnen viel zu weit. Das Licht scheint trüb, sogar Texas braucht Geld aus China, die Aktieneinbrüche erschütterten den Glauben an den Markt. Dabei wollte Bush noch vor ein paar Jahren die staatliche Altersversicherung privatisieren. Das ist vom Tisch, Veränderungen greifen tief. Bei Obamas Gesundheitsreform wird diskutiert, ob die den Markt dominierenden Versicherungsfirmen durch eine staatliche Krankenkasse ergänzt werden. Und es wird weitgehend akzeptiert, dass "der Staat" eine wichtige Rolle spielt beim Ankurbeln der Wirtschaft. Selbst Alaska hat Geld aus Washington gebilligt. Einflussreiche Wirtschaftskreise neigen zu der Ansicht, Obamas Programm diene der Genesung des Kapitalismus.

Reagans Leuchtturm

Die rechtspopulistischen Strukturen sind seit Jahrzehnten in Bewegung und auf der Suche nach Macht und Mehrheiten. Der vor Optimismus sprühende Reagan mobilisierte im Windschatten des Kalten Krieges Rechtschristen und appellierte mit sozialpolitischen Themen an die weiße Arbeiterschicht. George Bush der Erste wollte angeblich das "Zelt" vergrößern und mit Blick auf den demografischen Wandel auch ein paar Minderheiten hinein winken. Seine Niederlage 1992 gegen Bill Clinton war nach Ansicht konservativer Republikaner der Beweis, dass er nicht konservativ genug war. Der Kongress bot sich danach als Spielplatz an für Totalopposition gegen Clinton, inklusive Amtsenthebungsverfahren.

Nach dem rechten Ansturm auf die Auszählungslokale in Florida wurde George Walker Bush 2000 Präsident. Nach "9/11" kam Amerika den rechten Wunschträumen sehr nahe: Stärke im Ausland, mehr Polizeistaat, Nationalflaggen an jeder Straßenecke, keine Zweifel an Reagans Leuchtturmmodell, am Auftrag christlicher Missionierung und am "freien Markt". Die desaströsen Resultate sind hinlänglich bekannt, und Wahlkämpfer McCain stand 2008 vor einem unlösbaren Dilemma: Die rechtspopulistische Sarah Palin sollte die konservative Basis mobilisieren. Er selber bemühte sich um die Mitte. Die Wirtschaftlselite aber fand Gefallen an dem jungen Politiker aus Illinois, der eine ideologieneutrale und kompetente Regierung versprach.

Dass die Weißen am 4. November 2008 noch mehrheitlich für das Team McCain/Palin stimmten, besonders die weißen Landbewohner, die Senioren und die häufigen Kirchgänger, reichte nicht. Mit den Republikanern ging es weiter bergab. Bei einer kürzlichen Erhebung erklärten gerade noch 17 Prozent der Befragten, sie seien Republikaner (30 Prozent definierten sich als Anhänger der Demokraten, 44 Prozent waren Unabhängige).

Die lautstarke Opposition gegen die Gesundheitsreform und Obamas "Sozialismus" ist eine Bewegung, die sich außerhalb der Republikanischen Partei zusammenfindet. Ihre Wortführer sind keine gewählten Republikaner, sondern Rundfunk-Talker in Rupert Murdochs Fox-Network und Lobbyisten aus Verbänden wie Freedom Works und Americans for Prosperity (Amerikaner für Wohlstand). Locker strukturiert ist diese rechte Opposition durch die so genannten Tea Bag-Bewegung (teapartyexpress.org), die ihren Namen dem Protest von 1773 gegen die "illegitime" Tee-Besteuerung durch die britische Kolonialmacht entlehnt. Die Boston Tea Party, bei der mehr als 300 Kisten Tee in den Hafen geworfen wurden, gilt als ein Auslöser des Unabhängigkeitskrieges zwei Jahre später.

Die heutige Tea Baggers, die sich gegen das Konjunkturprogramm und die Gesundheitsreform in Szene setzen (bei Demonstrationen, zu denen bei Fox aufgerufen wird), haben auch republikanische Politiker nervös gemacht: Man denkt an die Kongressvorwahlen im Herbst 2010. Die Wahlbeteiligung ist oft gering, und ultrakonservativer Zorn könnte Politiker vom republikanischen Establishment den Posten kosten.

Die zornigen Weißen

In New York haben diese Radikalen - unter anderem mit Hilfe Palins - gerade bei einer Nachwahl die Kongresskandidatur einer von den örtlichen Republikanern ernannten Kandidatin gekippt: Die Politikerin hatte sich für das Konjunkturprogramm ausgesprochen!

New York Times-Kolumnist Frank Rich hat diese Rechten mit "Stalinisten" bei "Säuberungsaktionen" verglichen. Es zeige sich eine die Institution Partei gefährdende Pathologie und Hysterie. Obama ist für diese Rechten kein politischer Gegner, sondern einer, der Amerika zu Grunde richten will. Warnte eine Anhängerin Palins in deren Facebook: "Obama und seine Mafia" bereiteten die nächste Katastrophe vor, möglicherweise ein "zweites 9/11" oder einen Kollaps des Dollar: "Behaltet eure Schusswaffen! Lagert Lebensmittel ein!" Obama werde den ganzen Geldvorrat kontrollieren! Das sei keine Verschwörungstheorie! "Denken Sie doch. Hat Obama jemals gesagt, er werde bei den nächsten Wahlen kandidieren?" Habe er nicht! "Er geht davon aus, dass er nicht kandidieren muss. Alles wird bis dahin erreicht sein." Sagte Rush Limbaugh, meist gehörter Hörfunk-Talker, nach der Nobelpreisverleihung. Dieser Präsident zerstöre die USA "als Supermacht. Er entmannt die Nation… Das Nobelpreiskomitee ehrte einen Pazifisten". Obama sei der "zweite Kenianer" mit einem Friedensnobelpreis.

Die Republikanische Partei von Texas hat gerade eine neue Vorsitzende gewählt, die 59-jährige Cathie Adams aus Dallas. Sie teilte mit, Obama jüngste Ansprache vor Schuldkindern über Fleiß und Strebsamkeit erinnere sie an "die Hitler-Jugend". Und zudem sei ihr klar, dass "Barack Hussein Obama keine …. Beziehung zu Jesus Christus hat". Und nur in Christus habe man Hoffnung auf ewiges Leben.

Der wirtschaftlichen Elite wäre die Republikanische Partei mit dem großen "Zelt" lieber. Die zornigen Weißen bieten wenig Zukunftsperspektive und sind wegen ihrer wilden Thesen auch nur begrenzt nützlich. Aber manchmal schon. Die Versicherungsindustrie hat von den Demonstrationen gegen die Gesundheitsreform profitiert und sich auch finanziell erkenntlich gezeigt. Die US-Handelskammer, die Öl- und Kohleindustrie orchestrieren eine "Graswurzelbewegung" gegen Klimaschutz, der den einfachen Bürger an die Existenz gehe. Andererseits haben Apple Computer und andere Silicon-Valley-Konzerne die Handelskammer aus Protest gegen deren starre, wissenschaftsfeindliche Haltung zum Klimaschutz verlassen. Die entscheidenden Debatten um anstehende Reformen gibt es derzeit allein bei den Demokraten, die schon seit langem im Grunde eher eine Koalition von Interessengruppen als eine Partei sind. Vom Erfolg der Reformen hängt wohl ab, wie viele Amerikaner die Tea Baggers ernst nehmen.

Quelle: der FREITAG vom 04.11.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

14. November 2009

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