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Moskaus neues Taktgefühl

Von Karl Grobe

Der Umgang Moskaus mit dem Mordfall Natalja Estemirowa wird im Westen als Test dafür gesehen, ob sich mit einem Präsidenten Dmitri Medwedew etwas ändern wird im Rechtsgefüge Russlands. Seine Worte zumindest lassen aufhorchen. Er hat schnelle Aufklärung zugesagt und die ermordete Kämpferin für Menschenrechte gewürdigt. Er hob ihren Mut und ihr Engagement hervor und merkte an, das Land brauche auch "ungemütliche und unangenehme" Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler. Das sind andere Töne, als man sie von Wladimir Putin kennt. Nach dem Mord an Anna Politkowskaja hatte er nur ein paar abschätzige Bemerkungen über deren journalistischen Einfluss für nötig gehalten. Medwedew tritt stets konziliant auf; Putin pöbelte zuweilen, wenn er es für taktisch angeraten hielt. Wie kann man solche Zeichen deuten - und sind es Zeichen?

Medwedews Worte zeugen von Takt, aber beweisen nichts, was den Zustand der russischen Zivilgesellschaft und - damit verbunden - die Freiheit der Presse und der Rede, insbesondere Freiheit nach der Rede angeht. Die scharfen Bestimmungen, denen unabhängige Organisationen (NGO) sich zu beugen haben, gelten wie unter Putin so unter Medwedew. Die landesweit wirkenden Medien klingen nicht anders als früher; die wenigen "weißen Raben" erreichen zwar ein Publikum von Gewissenstätern, aber schon wegen der hohen Kosten eines Zeitungsabonnements keine Lesermassen. Den Druck lokaler und regionaler Behörden spüren NGO und Journalisten nach wie vor.

Rechtsstaatliche Sicherheit ist ebenso sehr Mangelware. Freilich bestehen Unterschiede im Verhalten schon zwischen den Gerichten verschiedener Moskauer Bezirke. Manche Richter fassen sogar ihren Beruf als so unabhängig auf, wie er nach UN-Vorstellungen sein sollte - und geraten so in Widerspruch zu Strukturen, die sowjetischen Ursprungs oder gar noch älter sind. Immerhin: Der Ton hat sich geändert.

Das hat Gründe. Putins achtjährige Präsidentschaft konnte auf allzeit hohe, tendenziell steigende Preise für Erdöl, Erdgas und gewisse Metalle aufbauen. Die Verteilung der Erlöse aus dem Rohstoffexport bei relativ geringer Investition in die Wartung der Anlagen, die Infrastruktur und die Modernisierung außerhalb der Rüstungsindustrie - dies ist die Machtgrundlage der Schicht, die sowohl Putin als auch Medwedew vertreten. Als Repräsentant eines kraftvollen Anbieterstaats konnte Putin polternd auftreten. Doch die Rohstoffpreise halten sich nun im Keller auf, die Finanzkrise ist zur Weltwirtschaftskrise geworden, die in Russland als sicher verbuchten Einnahmen brechen weg, es gibt weniger zu verteilen. Der vorwiegend durch Rohstoffexporte geprägte Charakter des Staats aber bleibt. Folglich müssen sich seine Vertreter auf ein anderes Verhalten gegenüber der Außenwelt einrichten.

Solche Konstanten wie das russisch-deutsche Verhältnis werden wichtiger; die Erkenntnis, dass gute Beziehungen zwischen Berlin und Moskau zu den stärksten Garantien für die Sicherheit in Europa zählen, wird deutlicher wahrgenommen. Im deutschen Interesse liegt es dabei, den Staaten Zwischeneuropas die Sicherheit zu geben, dass sie nicht zwischen zwei Großen zerdrückt werden. Die Pipeline-Politik beider Seiten lässt da von Tallinn bis Warschau, ja Kiew Zweifel aufkommen.

Medwedews Konzilianz besänftigt die kleinen Nachbarstaaten nicht, zumal die laufenden Umwertungen der russischen Geschichte schlimme Erinnerungen wecken. Die Heiligsprechung des letzten Zaren kann die polnischen Teilungen nicht vergessen lassen. Die Teil-Verklärung Stalins zum Großmachtstifter stößt die geschichtlich auch nur ein bisschen Bewanderten in Zwischeneuropa auf den Hitler-Stalin-Pakt. Die russischen Umwerter mögen den autoritären Charakter des Zarenreichs und die Massenrepression unter Stalin ausblenden; dem Nationalismus, dem sich eine nicht eben einflusslose Strömung der orthodoxen (Staats-)Kirche verpflichtet sieht, gibt gerade das gefälschte Geschichtsbild Auftrieb.

In diesem ideologischen Netz ist Medwedew letztlich gefangen. Es enthält das Selbstverständnis der Machtelite. Reformen, gar Lockerungen werden umso schwieriger, je länger die Krise anhält und je weniger es zu verteilen gibt. Sozialen Protest in Chauvinismus umzulenken, ist stets ein Herrschaftsmittel. Das weiß jeder, der in Moskau regiert, ob er sich mit P schreibt oder mit M.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 21.07.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

21. Juli 2009

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