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Das Gebet des anderen Iran

Es sind die Tage der Entscheidung über das künftige Schicksal Irans. Massenproteste und die religiöse Unterstützung für die Opposition treiben das Regime in die Enge.

 

Von Karl Grobe

Tränengas, Schlagstöcke, Verhaftungen - das sind unübliche Begleiterscheinungen eines Freitagsgebets, wenngleich Teheran derlei seit den ersten Protesten gegen die Präsidentenwahl schon erlebt hat. Das Besondere an diesem Freitag war der Auftritt des so lange schweigsamen Ali Akbar Haschemi Rafsandschani. Diesmal sprach der Ex-Präsident und mächtige Vorsitzende eines Expertenrats, der den Obersten Religionsführer absetzen kann, deutliche Worte - und die oppositionellen Kandidaten Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karubi hörten ihm zu.

Rafsandschani hat eindeutig Partei genommen für den nach allem Anschein um ein respektables Wahlergebnis betrogenen Mussawi. Seine Predigt zeigt die Spaltung der klerikalen Machtelite, zu der Rafsandschani und die oppositionellen Kandidaten der Juni-Wahl unbestreitbar seit den ersten Tagen der Islamischen Republik gehören. Es sind nicht die einzigen deutlichen Signale. Der greise Ayatollah Montazeri, dessen religiöses Ansehen das des (noch?) herrschenden "Obersten Rechtsgelehrten" Ali Chamenei weit übertrifft, hatte vorher zum Ungehorsam aufgerufen. Die Mehrheit der Ayatollahs in Ghom, der heiligen Stadt, hatte es peinlich vermieden, die Wahlergebnisse anzuerkennen. Damit ist Chamenei und wenigstens indirekt Mahmud Ahmadinedschad die religiöse Legitimation entzogen.

Das gilt erst recht politisch. Der Zustrom zum Gebet in der Teheraner Universität hatte sich zur umfangreichsten Demonstration seit den Junitagen nach der Wahl entwickelt; verstummt sind die Protestrufe ja nie. Seit der Wahlkampagne, die in sich bereits eine Kulturrevolution bedeutete, hat die iranische Gesellschaft sich verändert, indem sie sich ihrer Vielfalt jenseits der verordneten Scheuklappen-Ideologie bewusst wurde. Sie hat nicht aufgehört, islamisch, genauer: schiitisch zu sein. Die geistliche Führung aber - abgesehen vom Klüngel um Chamenei und Ahmadinedschad - bezieht sich auf jene anderen, absichtlich verschütteten Quellen der Religion, die eine direkte Herrschaft des Klerus, also dessen Diktatur, als unvereinbar mit der Lehre ablehnen.

Um einen Konflikt über die Auslegung der schiitischen Lehre, die traditionell für Auslegung und Neuerung offen ist, handelt es sich jedoch längst nicht mehr - allenfalls in dem Sinn, dass die Gesellschaft sich ihrer Struktur und ihrer Widersprüche zuerst in religiösen Begriffen inne wird. Es ist Machtkampf. Und es ist nicht sicher, dass er auf die Hauptstadt begrenzt (und dort entschieden) wird.

Wie sich die Revolutionsgarden - Elitetruppen - und die von ihnen gelenkten Bassidsch-Trupps verhalten werden, kann gerade deswegen entscheidend sein. Einerseits sind sie auf das konkrete Regime und seinen obersten Vertreter verpflichtet, je fanatischer beider Sache, je geringer ihr politisches und allgemeines Wissen ist. Andererseits sind sie Teil der Gesellschaft, zu einem guten Teil der ärmsten Schichten. Ahmadinedschad hat sie mit Versprechen eingefangen, die nachhaltig einzulösen unterblieben ist. Den wachsenden Mittelstand und den höher gebildeten Nachwuchs hat er mit seinem burschikosen Rigorismus hingegen verprellt.

Iran hat gegenwärtig einen größeren Anteil von Studentinnen und Studenten als je in seiner Geschichte - und sechzig Prozent der Studierenden sind Frauen. Die akademische Befreiung und Mobilisierung des Denkens stößt mit Frauenunterdrückung, Schleierzwang und Segregation bis zur Geschlechtertrennung in Fahrstühlen und Bahnen hart zusammen. Das emanzipatorische Element überwiegt; das ist einer der Inhalte der Kulturrevolution. Bassidsch und Gardisten gehören derselben Generation an. Aus ihren Familien kommen Protestteilnehmer; mehr noch, nämlich mittelständische, junge Männer dienen in der regulären Armee; und gerade die sind mittlerweile so unzuverlässig in den Augen der Regierer, dass sie gegen Demonstranten kaum mehr eingesetzt werden.

Wie tief diese Spaltung der städtischen Gesellschaft geht, wird sich in den nächsten Tagen zeigen, wenn die Auseinandersetzung die Dörfer und die nicht-persischen Minderheiten erreicht - gerade die Aserbaidschaner, die Landsleute Mussawis, sind stolz auf ihre bürgerlich-revolutionäre Tradition. Dann ist das bisherige Regime nicht mehr zu halten, es sei denn um den Preis eines sehr blutigen Bürgerkriegs. Nicht Rafsandschanis Freitagsgebet hat Iran in eine ungewisse Zukunft gestoßen; vielmehr hat das Regime seine Zukunft verspielt.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 17.07.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

18. Juli 2009

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