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Eine seltsame Art des Sozialismus

Stamokap in den USA: Obama hat mit seinem Konjunkturprogramm den Staat zum Unternehmer des Jahres ausgerufen

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Von Konrad Ege

Mutig und schnell handeln." Und: "Eine beispiellose Krise, die beispiellose Schritte verlangt." Allerdings sind keine "kurzfristigen Lösungen" in Sicht: Barack Obama stimmt die Nation auf schwere Zeiten ein und drängt zum sofortigen Handeln: Der Kongress müsse sein mindestens 825 Milliarden Dollar teures Konjunkturpaket umgehend verabschieden, verlangt der Präsident. "Umgehend", das heißt in etwa zwei Wochen. Bei taz.de durften die Leser kürzlich gar über Barack Obamas erste Amtstage und das "gigantische Konjunkturpaket" abstimmen. Richtig? Falsch? Oder steht es um die USA "so schlimm, dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt"? Dem neuen Mann im Weißen Haus kann das Abstimmungsergebnis natürlich egal sein. Was das Konjunkturpaket angeht, könnten nicht einmal die schlauesten US-Wirtschaftsexperten mit absoluter Gewissheit votieren. Man weiß gar nicht mehr, wer noch als "Wirtschaftsexperte" gilt. Auch die Besten und Klügsten in Obamas Kabinett haben die Krise nicht vorhergesehen - oder sie haben in den vergangenen Jahren recht kräftig mitgewirkt bei der krisenauslösenden Entregulierung der Finanzmärkte.

Esst Billigburger!

Und kein Mensch kann absehen, ob die Wirtschaftskrise "tatsächlich ein ganz dickes Ende haben wird", wie Georg Fülberth jüngst im Freitag schrieb. In den USA ist das vorläufige "Ende" heute schon recht dick. Die Krise greift tief in die Gesellschaft: Der Fast-Food-Riese McDonald´s mit seinen Billigburgers ist einer der wenigen Konzerne mit steigendem Umsatz. Besseres und Gesünderes kann sich der Normalmensch schon bald nicht mehr leisten. Die USA haben 2008 etwa 2,6 Millionen Arbeitsplätze verloren. Eine Million Amerikaner haben Insolvenz angemeldet, mehr als drei Millionen Eigenheimbesitzer konnten 2008 ihre Hypotheken nicht mehr bedienen und sitzen möglicherweise bald (oder sitzen bereits) auf der Straße. 2009 wird eine ähnliche Zahl befürchtet.

Obamas 825-Milliarden-Dollar-Paket soll Schlimmeres verhindern. Details wurden gerade bekannt gegeben. Drei Viertel des Geldes sollen innerhalb von eineinhalb Jahren unter die Leute gebracht werden. Vier Millionen Jobs will man damit "retten oder schaffen". Besonderes Gewicht legt Obama auf den Ausbau der Infrastruktur. Unter anderem sollen 10.000 Schulen renoviert und 75 Prozent der Regierungsgebäude sowie zwei Millionen Wohnhäuser "grüner" gemacht werden. Und die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen soll sich in drei Jahren verdoppeln. Mehr Arbeitslose und Bedürftige bekämen eine Krankenversicherung, mehr Arme mehr Lebensmittelmarken, viele Tausende Kilometer Autobahnen sollen erneuert werden. Rund 5.000 Kilometer Stromleitungen würden gelegt, Hunderte Kläranlagen und Wasserwerke gebaut. Etwa 225 Milliarden Dollar des Konjunkturpakets bestehen aus Steuernachlässen.

An der Bewilligung im Kongress - wenn auch wohl in leicht abgeänderter Form - wird nicht ernsthaft gezweifelt. Wie viel das Paket helfen wird, ist umstritten, aber dass es hilft, wird akzeptiert. Die Republikaner hätten gern mehr Steuererleichterungen, aber qualitative Alternativen zum Programm Obama hat keiner. Dabei ist das vorgeschlagene Konjunkturprogramm nicht das einzige Rettungspaket, denn in ihren Dämmerstunden hat die Regierung Bush noch Hunderte Milliarden zur Rettung von Wall-Street-Banken bewilligt - und jetzt rufen deren Direktoren nach mehr. Es zeichne sich eine seltsame Art des "Sozialismus" ab, kommentiert Robert Reich, Bill Clintons einstiger, heute plötzlich kapitalismuskritischer Arbeitsminister, der keinen Job bekommen hat bei Barack Obama. Der Staat werde letztendlich Hauptgesellschafter des maroden Teils der US-Wirtschaft werden. Vermutlich einschließlich von Chrysler und General Motors.

Verstaatlichungen? Warum nicht?

Vor ein paar Monaten noch hat man in der Diskussion über die Finanzkrise Vergleiche zur großen Depression der dreißiger Jahre von sich gewiesen. Nicht länger. Zur gegenwärtigen Krise gebe es nur einen Vergleich, schrieb Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman: die Depression eben. Obamas Ansprache bei der Amtseinführung habe ihm allerdings kein wirklich gutes Gefühl gegeben, habe der Präsident doch etwas vage vom "kollektiven Versagen" gesprochen. Man sei, Obama zufolge, "schweren Entscheidungen aus dem Weg gegangen" und müsse nun eine "Ära des Verantwortungsbewusstseins" einläuten. In Wirklichkeit, so Krugman, hätten die Finanzmärkte die Krise provoziert - durch verantwortungslose Geschäfte, von denen die meisten Amerikaner nicht die geringste Ahnung hatten.

Nach Medienberichten will Obama den Finanzmärkten nun strengere Regeln geben. Aber die Verstaatlichung der Banken ist kein Tabuthema mehr. Obamas Leute "tanzten noch herum" um die explosive "Nationalisierungsfrage", schreibt die New York Times am 26. Januar, obwohl man mit riesigen Neuauslagen zur Bankenrettung rechne.

Einen großen Unterschied gibt es zu den dreißiger Jahren. Die Depression erlebte damals massive Proteste und Streiks für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, vom Textilarbeiterstreik in den Südstaaten bis zu den Geschichte machenden Sit-Down-Streiks in den Hochburgen der Fahrzeugindustrie. Heute nutzen die Autokonzerne die Wirtschaftskrise, um die Gewerkschaften zu schwächen, da die Arbeiter doch zu viel verdienten und mit schuld seien an der Misere der Firmen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 05 vom 28.01.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

29. Januar 2009

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