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Regierungsbildung: Hier reformiert das Establishment

Bei Obamas "Übergangsteam" ist schwer auszumachen, worin das "Wagnis der Hoffnung" bestehen soll

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Von Konrad Ege

Barack und Michelle haben George W. und Laura besucht, Republikaner tun so, als hätten sie Obama im Wahlkampf nicht wüst beschimpft, konservative Medienschaffende warnen, der junge Mann solle seinen Sieg nicht als Aufforderung zu tiefgreifender Reform "missverstehen", beim Thema neue Minister kocht die Gerüchteküche: Der Wahlkampf ist vorbei, nun soll es konkret werden in Washington.

Aus dem inneren Kreis um Barack Obama sickert fast gar nichts durch über das neue Kabinett. Die Köpfe auf den Bildschirmen sind zum Spekulieren verdammt. Robert Gates Verteidigungsminister, Colin Powell irgendetwas, Robert Kennedy Umwelt, Paul Volcker oder Larry Summers Finanz- und Anthony Lake Außenminister? Die meisten neugewählten Präsidenten nehmen sich fünf Wochen und länger Zeit für Kabinettsernennungen. Von Obama erwartet man Wandel jetzt! Wobei Obama bei seiner ersten Pressekonferenz als "gewählter Präsident" zur Vorsicht mahnte: Er entscheide zügig, aber nicht überstürzt. Bush sei noch zwei Monate im Amt.

Bei den Mitarbeitern im "Übergangsteam" ist freilich schwer auszumachen, worin das "Wagnis der Hoffnung" bestehen soll. Chef - offiziell nur "Ko-Vorsitzender" - ist John Podesta, Bill Clintons Stabschef von 1998 bis 2001, danach Lobbyist, unter anderem für die Versicherungsindustrie, und dann Gründer des Center for American Progress als Gegengewicht zu den rechten Denkfabriken. Im September legte das Zentrum eine umfassende Studie vor für eine "machbare" grüne Politik zur Revitalisierung der US-Wirtschaft. Podesta sei der "Hirte der demokratischen Regierung im Exil" gewesen, schrieb die New York Times. Die beiden anderen Ko-Vorsitzenden sind Peter Rouse, Obamas Stabschef im Senat und ein klassischer Washington-Insider, und Valerie Jarrett, Vertraute der Obamas und Präsidentin der Firma Habitat, die mehr als 20.000 Mietwohnungen und Wohnanlagen managt.

Strategisch platzierte Nationalflaggen

Für Weltpolitisches ist Susan Rice zuständig, Protegé von Außenministerin Madeleine Albright in der Ära Clinton. Weitere Übergangsberater sind zum Beispiel Clintons Umweltministerin Carol Browner, die nun in Albrights Beraterfirma The Albright Group sitzt (in der auch Joschka Fischer ein Plätzchen gefunden hat), Michael Froman von Citigroup, Ex-Verkehrs- und Energieminister Federico Peña (heute Vestar Capital Partners) und Juraprofessor Christopher Edley. Dazu kommen Donald Gips, ehemals enger Mitarbeiter von Vizepräsident Albert Gore und Janet Napolitano, Gouverneurin von Arizona.

Obama hielt seine erste Pressekonferenz nach einem Treffen mit seinen Wirtschaftsexperten. Die vier Frauen und 15 Männer standen hinter ihm und vor strategisch platzierten Nationalflaggen. Sie symbolisierten damit das Ringen um den Inhalt des Wandels. Der Ex-Kongressabgeordnete David Bonior repräsentierte dabei - zusammen mit Robert Reich, Clintons Arbeitsminister, der schon seit Jahren vor der wachsenden Ungleichheit warnt - den sozialdemokratischen Flügel. Das andere Ende des Obamaischen Spektrums zierten Robert Rubin und Larry Summers, die als Clintons Finanzminister die Entregulierung des Finanzwesens vorantrieben. Summers hatte 1991 als Chefökonom der Weltbank mit der These für Aufsehen gesorgt, Giftmüll sei am besten in der Dritten Welt gelagert, da die Menschen dort ohnehin jünger sterben würden.

Auf dem Erinnerungsfoto der ersten Pressekonferenz nach dem Obama-Sieg sieht man auch Google-Chef Eric Schmidt, den Time-Warner-Vorstandsvorsitzenden Richard Parsons und Xerox-Vorstand Anne Mulcahy. Man erkennt weiter Paul Volcker, Chef der US-Zentralbank unter Ronald Reagan, William Daley, stellvertretender Vorsitzender der Bank JP Morgan Chase & Co. und Handelsminister unter Clinton, Laura Tyson, Vorsitzende des Rates der Wirtschaftsberater zu Clintons Zeiten und heute Direktorin bei ATT, Kodak und der Bank Morgan Stanley, sowie Antonio Villaraigosa, Bürgermeister von Los Angeles. Zu guter Letzt steht da mit Jennifer Granholm die Gouverneurin von Michigan. Zumindest nach außen hin scheint Obamas Übergangsteam ohne Gewerkschaftsvertreter auszukommen.

Ein Name der künftigen Regierung steht bereits fest: Rahm Emanuel, Ex-Clinton Berater, Investmentbanker und Kongressabgeordneter, bekannt als Mann der militanten Mitte, zuständig für Parteidisziplin unter den demokratischen Abgeordneten.

Stiefmütterlich bedachte Außenpolitik

Dass ein Wirtschaftsprogramm kosten wird, steht außer Frage. Noch weiß man nicht, welche Schwerpunkte Obama setzen wird. Wird es mehr Rettungsaktionen geben für bedrohte Firmen, etwa aus der Automobilindustrie, und für die Banken - oder wird das Schwergewicht auf Infrastrukturprojekten, Krankenversicherung und grünen Jobs liegen. Letzteres wird vor allem von Robert Reich gefordert. Nur wenn die Verbraucher wieder Jobs und Geld in den Taschen hätten, würde wieder Geld in die Wirtschaft fließen. Man weiß noch nicht, ob Barack Obama die Wirtschaftskrise tatsächlich als eine Art Gezeitenwechsel betrachtet, in der groß gedacht werden muss. Vor ein paar Monaten war schließlich auch die Teilverstaatlichung von Banken noch unvorstellbar.

Man erzählt eine Geschichte über Franklin D. Roosevelt, der die USA in den dreißiger Jahren aus der Großen Depression führte und Programme einrichtete, die noch heute die Auswirkungen der Wall Street Krise eindämmen. Roosevelt war ein Mann des Establishments, der nur angesichts der Wirtschaftskatastrophe zu weit reichenden Reformen bereit war. Er habe sich einmal mit Aktivisten getroffen, die mehr Regierungsintervention forderten. Da habe FDR gesagt: Ihr habt mich überzeugt. Und jetzt müsst ihr gehen und Druck machen auf mich.

Was vor ein paar Monaten nur schwer vorstellbar war: Bei der Diskussion über Obama und seine Regierung kommen Außen- und Militärpolitik kaum vor, mögen europäische Denker und Politiker sie noch so sehr in den Vordergrund rücken. Die in Aussicht stehenden Mitglieder des neuen außen- und militärpolitischen Stabes werden die schlimmsten Auswüchse der Bush-Politik rückgängig machen. Aber sonst wird sich wohl nicht so viel verändern.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   46 vom 13.11.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

13. November 2008

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