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Obszön sind Krieg und allgegenwärtige Kriegskultur, nicht aber drastische antimilitaristische Satire

Ein Beitrag zur Diskussion um das Soldatensarg-Plakat der Berliner Gruppe BamM

Von Peter Bürger

Unsere Videotheken, Kaufhäuser, Kinos und Kabelkanäle sind voll gestopft mit industriellen Unterhaltungsangeboten, in denen das massenmörderische Kriegsgeschäft beworben wird: Keine technologische Entwicklung zur Verbesserung des Zerfetzens von Menschenleibern, die nicht vorab in kurzweiligen Filmen und Software-Produkten beworben worden wäre. Keine Folterpraxis und Menschenrechtsverletzung durch Militärs, für die nicht schon im Vorfeld ein Militärgerichtsdrama auf der Leinwand um Verständnis geworben hätte. Kein kollektives Feindbild, das den Tod von hunderttausenden Menschen in rohstoffreichen Erdregionen "legitimieren" soll, das nicht mindestens zehn Jahre vor der roten Terminleiste entsprechender Kriegsplanungen in Mediensortimenten unters Volks gebracht wird. Ich habe große Teile dieser Kultur des Todes fünf Jahre lang erforscht. Oft sind Militärs und Kriegsministerien Co-Produzenten. Die Hersteller, Verkäufer und Filmvorführer gehören zu der angeblich "christlich" geprägten Zivilisation, die auch über den größten Teil der weltweiten Massenmordlogistik verfügt.

Zynismus und offene Menschenverachtung, fast immer gepaart mit dem tränenrührigen Wahn von Nationalflaggen, sind also Alltag in unserer Massenkultur. Keine Geschmacklosigkeit wird ausgelassen. Sadismus ist im Zusammenhang mit dem Kult der Waffe auf jedem Bildschirm erlaubt und wird noch mit Fernsehpreisen belobigt. Schadenfreude über den Tod von Mitgliedern der menschlichen Familie ist in den Sortimenten der Kriegsunterhalter obligat. Doch noch nie habe ich gehört, dass eine im Bundestag vertretene Partei eine Gesetzesinitiative gegen diese menschenrechts- und verfassungswidrige Propaganda für das militärische Morden eingebracht hätte. (Man verlegt sich lieber auf populistische Verbotsparolen bei ausgewählten Computerspielen, wozu z.B. nicht steril wirkende Militärsimulationen gehören.) Und noch nie habe ich gehört, dass in diesem Land eine breite öffentliche Initiative unternommen worden wäre zugunsten jener Kultur des Friedens, die seit Gründung der UNO zu erwarten gewesen wäre. Wohl kaum ein Politiker im Bundestag weiß überhaupt, dass wir uns seit Beginn des Jahrtausends noch immer in einer weltweiten Dekade für eine solche Kultur der Gewaltfreiheit befinden.

Angesichts dieser großen Gleichgültigkeit gibt es zu denken, dass die staatstragenden Kräfte sich unisono und über alle Maßen empören können über ein schon seit fünf Jahren im Netz ausgestelltes Soldatensarg-Plakat der Berliner Initiative BamM. Das Plakat zeigt einen mit Flagge bedeckten Fichtensarg. Zur Bildschrift gehört unter anderem die Botschaft: "Die Bundeswehr auf dem richtigen Weg: Schritt zur Abrüstung. Wieder einer weniger. Wir begrüßen diese konkrete Maßnahme, den Umfang der Bundeswehr nach und nach zu reduzieren." (www.bamm.de) Dass dies - denkbar drastische - Satire ist, dürfte wohl nur schlichten Gemütern entgehen. Ich halte diese Satire persönlich nicht für gelungen - schon allein deshalb, weil sie Angehörige toter Soldaten nicht erreichen kann. Sie ist auch nicht nach meinem Geschmack. (Ich hätte z.B. aus der Idee eine "Werbung der deutschen Sargindustrie für mehr Kriegseinsätze der Bundeswehr" gemacht.) Dennoch trete ich entschieden für die Freiheit der Berliner Antimilitaristen ein, ihre Öffentlichkeitsarbeit gegen den Krieg selbst zu gestalten und dabei unkonventionelle Wege zu gehen. Ich solidarisiere mich als christlicher Pazifist und als Mitglied der DFG-VK auch mit der Berliner DFG-VK, die als Mitbetreiber der besagten Internetseite ebenso wie die Gruppe BamM mit Anfeindungen bedacht worden ist. Kritik ist innerverbandlich selbstredend immer eine gute Sache, wenn sie nicht die von Kriegstreibern erwünschte Zersplitterung des antimilitaristischen Spektrums fördert. Doch dass diese Kritik ausgerechnet erfolgen soll, nachdem die publizistischen Brückenbauer zwischen National-Konservativen und Rechtsextremisten einen "Skandal" planmäßig konstruiert haben, vermag ich nicht zu verstehen. Von wem lassen wir uns in Sachen "Moral" belehren?

Derweil ist in der gesamten Medienlandschaft keine Empörung über jene Politiker von SPD, CDU, Grünen und FDP zu vernehmen, die per Parlamentsentschluss und gegen den bekannten Mehrheitsentscheid der Bevölkerung unverdrossen junge Menschen in Kriege schicken - zum Töten und Getötetwerden. Die Berliner Gruppe "BamM" trägt keine Verantwortung für das, was sie in einer Ausschnittszene auf ihrem umstrittenen Plakat zeigt. Politiker aber, die mit denkbar oberflächlichen Kenntnissen über wahre Verhältnisse auf Kriegsschauplätzen und eingehüllt in dreiste Kriegslügen die bundesdeutsche Beteiligung z.B. am Afghanistan-Krieg abnicken, tragen Verantwortung für das Gezeigte. Sie sind die Allerletzten, die ein Recht hätten, sich über das Soldatensarg-Plakat aufzuregen. Sie sollten vielmehr damit rechnen, dass sie sehr bald schon als Soldatenmörder bezeichnet werden. Auch dies wäre eine sichere Prognose, die ihnen bei einem Vertrautsein etwa mit der Geschichte des Vietnam-Krieges nicht unbekannt sein dürfte. Doch unbekümmert ist man stattdessen dabei, mit reanimiertem Ordenslametta und nationalen Kriegsheldendenkmälern die vermehrten Bilder von Leichenrückführungen unter schwarz-rot-gelben Tüchern vorzubereiten. Die - stets nur verbalen - Krokodilstränen der Verantwortlichen haben etwas Nekrophiles an sich. Wie heißt es doch im Chor zum Schluss der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach: "Euer Grab und Leichenstein / Soll dem ängstlichen Gewissen / Ein bequemes Ruhekissen / Und der Seelen Ruhstatt sein. / Höchst vergnügt schlummern da / die Augen ein."

Dass ich seit meinem 18. Lebensjahr der Internationalen Katholischen Friedensbewegung Pax Christi angehöre, hat sehr viel auch mit den toten Soldaten aus meiner Familie zu tun.Vgl. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26068/1.html . Meine Eltern haben vier Brüder im Zweiten Weltkrieg verloren. Zwei von ihnen trugen die Namen von Brüdern meines Großvaters, die schon im Ersten Weltkrieg tot auf Schlachtfeldern lagen. Mein Großvater hat sich dann aus Trauer förmlich zu Tode gegrämt. Er meinte, die Regierenden würden sich immer die Kinder der kleinen Leute holen, um sie in IHREN Kriegen verrecken zu lassen. (Genau das tun sie derzeit wieder über Rekrutierungskampagnen an Arbeitsämtern etc.) Ich habe vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen in meiner Familie nie einen Zweifel daran gehabt, dass die Friedensbewegung der einzige Anwalt ist, den Soldaten haben. Doch unsere Aufgabe ist keine Soldatenseelsorge, die sich gemein macht mit dem Geschäft des Todes. Während im Parlament sich nur wenige mit ihrer Stimmkarte gegen Soldatentode entscheiden, ist das BamM-Plakat womöglich schon jetzt - nach großer medialer Aufmerksamkeit - geeignet, Soldatenleben zu retten.

Eines wissen wir nach dem in rechten Kreisen zusammengebrauten "Skandal" und der geheuchelten Empörung jedenfalls ganz genau: Die grobe Linie dieses Plakates ist richtig. Wer Soldatenleben schützen will, muss Leichensäcke, Särge und das blutige Rot des Todes vor den Türen der politisch Verantwortlichen sichtbar machen. Ich persönlich werde mit Sicherheit Blutbeutel an einer Geschäftsstelle der Partei "Die Linke" platzen lassen, sollte diese sich - in "gut sozialdemokratischer Tradition" - ein erstes Mal der Kriegsräson des Staates beugen. Die politische Klasse ist längst dabei, die Verfassung zugunsten ökonomisch motivierter Militärplanungen zu ändern.Vgl. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22686/1.html   und http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23836/1.html . Sie spielt schon jetzt mit dem Leben der Kinder anderer Leute. Da haben wir als Pazifisten und Antimilitaristen kein Recht mehr, immer nur nett und höflich zu bleiben. Das gefährdete Leben potentieller Kriegsopfer und das gefährdete Leben von Soldaten verpflichten uns zum Widerstand. Der aber muss drastischer ausfallen als unsere bisherigen Methoden, denn Schwerhörigkeit und Blindheit der Verantwortlichen sind sehr groß.

Peter Bürger ist Träger des "Bertha von Suttner-Preises" (2006) der Bertha-von-Suttner-Stiftung und der DFG-VK in der Kategorie "Film und Medien"

 

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Fußnoten

Veröffentlicht am

24. Oktober 2008

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