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Wir sind alle Georgier

US-Wahlpolitik: Senator Joseph Biden ist der große Gewinner des Kaukasus-Konflikts, weil Barack Obama ihn braucht

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Von Konrad Ege

Gedächtnislücken gibt es beim Republikaner McCain nicht nur beim Zählen seiner Eigenheime. Der Konflikt in Georgien sei "vermutlich die erste ernste internationale Krise seit dem Ende des Kalten Krieges", befand der 71-jährige Senator. Der erste Golfkrieg 1991, der Afghanistan-Krieg 2001 und der von McCain vehement unterstützte Irak-Krieg 2003 zählen offenbar nicht als Krisen. "Wir sind alle Georgier", sagte McCain gleich nach Beginn der Feindseligkeiten. Georgien sei eine der ersten christlichen Nationen der Welt gewesen, und durch Georgien führe eine Ölpipeline. McCain erhob den warnenden Zeigefinger Richtung Moskau, das scheinbar das alte russische Reich wieder herstellen wolle: "Im 21. Jahrhundert greifen Nationen einander nicht an." McCain versteht sich als "Freund" von Georgiens Präsident Michail Saakaschwili.

McCains "entschlossenes, deutliches und prinzipientreues" Auftreten für Georgien sei das Auftreten eines Mannes, den Amerika als Präsident brauche, betonte Senator Joe Lieberman, der abtrünnige Demokrat, der lange im Gespräch war als potenzieller Vize für McCain. Bei den Vorwahlen war der als unabhängig denkender Politiker aufgetreten; im Hauptwahlkampf ist McCain der Scharfmacher. Er stützt sich auf seine neokonservativen Freunde, mit denen er schon Schulter an Schulter stand, seinerzeit, bei der Vorbereitung auf die Invasion gegen Irak und dem Grundstein-Legen für George W. Bushs "präventive" Kriegspolitik. Pat Buchanan, Redenschreiber für Richard Nixon und Ronald Reagan, heute konservativer Publizist mit isolationistischen Neigungen, hat vor McCain und dessen "Kriegslust" gewarnt: Verglichen mit "Präsident McCain" würde Vizepräsident Dick Cheney im Nachhinein aussehen wie Gandhi, sagte Pat Buchanan.

Bei der Georgien-Debatte kamen in McCains Kampagne strategische, politische und wirtschaftliche Faktoren zusammen: McCains Hauptberater für Außenpolitik ist Randy Scheunemann, bis vor mehreren Monaten Lobbyist der Washingtoner Firma Orion Strategies - und dort tätig für die Regierung von Michail Saakaschwili. Die Beziehung war sehr produktiv: Saakaschwili wurde George W. Bushs bester Freund in den ehemals sowjetischen Republiken, schickte 2.000 Soldaten in den Irak und ließ seine Streitkräfte von US-Militärberatern ausbilden. Scheunemann war auch tätig für die Regierungen von Mazedonien, Lettland und Rumänien und für die Caspian Alliance, in den USA der Vertreter von KMG, dem staatlichen Öl- und Gaskonzerns der Republik Kasachstan. Gleichzeitig präsentiert sich McCain als Kandidat, der sich nicht von den wegen ihres Einflusses berühmt berüchtigten Washingtoner Lobbyisten leiten lassen werde.

Saakaschwili lobte McCains resoluten Kurs, meinte aber, es sei nun Zeit zum Handeln. Und obwohl Vertreter der russischen Regierung mitspielen beim Hochschaukeln zum Kalten Krieg, und sich die Aktionäre der US-Rüstungskonzerne die Finger lecken dürfen bei der Aussicht auf mehr Rüstung gegen die "Terroristen" und gegen die Russen, haben die USA und Westeuropa Saakaschwili nicht viel Konkretes angeboten - und anbieten können. Einen großen Gewinner gibt es freilich schon jetzt beim Konflikt um Georgien: Senator Joseph Biden, ernannt zum demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten. Biden, so die Expertenmeinung, soll als Vorsitzender des Außenpolitischen Senatsausschusses und demokratisches Schwergewicht im Kongress Barack Obama außenpolitische Gravitas verleihen.

Saakaschwili, der augenscheinlich vorbeugend denkt und handelt, hatte Biden Mitte August gebeten, doch auch nach Tiflis zu kommen. Biden kam, fuhr dort über den George-Walker-Bush-Boulevard und erklärte: Er sei überzeugt, dass "Russlands Invasion… vermutlich eines der wichtigsten Ereignisse in Europa seit dem Ende des Kommunismus" sei. Das werde Konsequenzen haben für Russland. Man wisse zwar nicht, wer für den "ursprünglichen Ausbruch der Gewalt" verantwortlich sei, aber inzwischen gehe es um mehr als Südossetien und Abchasien. Barack Obama lobte und identifizierte sich inzwischen vehement mit Bidens Vorschlag, der Regierung von Georgien eine Milliarde Dollar Wiederaufbauhilfe zu leisten. Und Joseph Biden aus Delaware, 1998 und 2008 erfolgloser Präsidentschaftskandidat (diesmal bekam er nur ein paar tausend Stimmen in Iowa), ist nun die Nummer Zwei.

In der Demokratischen Partei repräsentiert Biden das militante Zentrum. 2002 hat er nach Zögern für die Resolution zum Irak-Krieg gestimmt. Als es dort nicht so gut lief für die US-Streitkräfte, schlug er 2006 vor, man solle das Land doch aufteilen. Allerdings hat Biden die Regierung Bush heftig attackiert wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen, besonders das Gefangenenlager in Guantánamo - das würde Biden schließen.

Im Wahlkampf ist der potenzielle Vize gewöhnlich fürs Grobe zuständig, für harte Attacken auf den Kandidaten der anderen Partei. Biden und McCain freilich sind langjährige Mitglieder des Senats und pflegen gute Beziehungen. 2004 hatte Biden McCain gar als Vizepräsidentschaftskandidaten für den Demokraten John Kerry vorgeschlagen. "Ich denke, dass es Zeit ist, unsere Nation zusammen zu bringen, und jemanden wie John McCain - einen Republikaner - auf dem Stimmzettel zu haben", meinte er damals.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   35 vom 29.08.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

01. September 2008

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