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Fünf Jahre Irak-Krieg: Schuld und Lüge

Karl Grobe

Richard Cheney hat Anfang dieser Woche “phänomenale” Fortschritte der Sicherheitslage im besetzten Irak bemerkt. Unterdessen brachte eine Selbstmord-Attentäterin in Kerbela mehr als vierzig Menschen um, und bei einem Anschlag nördlich von Bagdad kamen zwei US-Soldaten ums Leben, zwei von mittlerweile fast 4000 seit der Invasion heute vor fünf Jahren. Tote Iraker werden von der Seite, die der Vizepräsident der USA vertritt, kaum gezählt.

So viel zur Sicherheit, die es gewiss gibt - für Invasoren und Kollaborateure in der “Grünen Zone”, dem alliierten Hochsicherheitstrakt in Bagdad. Aus diesem wagen sich hohe Gäste wie Cheney nicht weit hinaus, und wenn, dann unter einem Begleitschutz, dessen Dimensionen denen mittlerer Kommandounternehmen sehr ähneln. Das wird so bleiben; Cheney sagte an, die US-Truppen würden das Land nicht verlassen, ehe “der Job erledigt” ist.

Von dem Triumph-Plakat “Mission Accomplished” (Auftrag erledigt), unter dem der oberste Kriegsherr George W. Bush sich am 1. Mai 2003 in der sicheren Atmosphäre eines Flugzeugträgers vor der kalifornischen Küste hat abfilmen lassen, bis zu der Ansage seines Vertreters reicht ein weiter Weg. Dessen Leitplanken bestehen in Versäumnissen, Fehlhandlungen, Kriegsverbrechen, Folter - und Erfolgsmeldungen, die von der Wirklichkeit so weit entfernt sind wie Cheneys Statement. Darin setzt sich fort, was am Anfang der Invasion stand und zu ihrer Begründung vorgetragen wurde. Die Behauptung, der Irak habe Massenvernichtungswaffen (es gab sie nicht); die Lüge, Saddam Husseins Regime unterstütze das Terror-Netzwerk El Kaida (seit der Invasion erst hat es sich nachhaltig eingenistet); andere Unwahrheiten wie die Annahme, der Krieg werde “ein Spaziergang”.

Wahr war nur die Feststellung, dass Saddam Husseins Regime eine brutale Diktatur war. Was Washington so lange nicht gestört hatte, wie dieses Regime nützlich zu sein schien, um den Iran niederzuhalten. Das Paradox ist unübersehbar: Erst seit der Zerschlagung des Regimes ist der Iran zu einer unbequemen regionalen Großmacht in der Golfregion, der wichtigsten Ölquelle der industrialisierten Welt, aufgestiegen. Und erst die Zerlegung des irakischen Staats in kaum mehr zählbare Bestandteile, Warlord-Herrschaften, Cliquen- und Clan-Regimes und Unsicherheitszonen aller Art hat das Land der Ayatollahs zu einem Faktor auch der irakischen Innenpolitik gemacht.

Wahr ist, dass die verantwortlichen Planer dieses vom Völkerrecht nicht gedeckten Kriegs so wenig wussten oder wissen wollten, dass sie erste Fehler - etwa die Duldung von Plünderungen - durch größere Fehlleistungen zu kompensieren suchten. Dazu gehörte die sogenannte Ent-Baathifizierung, als ob jeder kleine Beamte, der im Saddam-System der Staatspartei Baath hatte beitreten müssen, zugleich Hauptschuldiger gewesen wäre.

Vor allem die summarische Aufteilung der im Grunde säkularen Nation nach religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit hat das zerstört, was als zivile Gesellschaft bereits bestand und Basis für eine friedliche Entwicklung hätte sein können. Von den tatsächlichen Verhältnissen im Land hatten die Besatzer keine Ahnung - oder sie taten mit großem Erfolg, als hätten sie sie nicht.

Der Krieg ist nicht beendet, ganz und gar nicht. Er hat sich verwandelt in einen Kampf aller gegen alle. Die Kosten trägt die irakische Bevölkerung: mehr als 700 000 zivile Tote, vier Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, Zusammenbruch des einst hoch entwickelten Gesundheits- und Bildungssystems, Zerfall der Grundversorgung, Aufteilung der Millionenstadt Bagdad in ethnisch getrennte, verfeindete Mini-Bezirke hinter Mauern und Barrikaden.

Das Resultat belastet die künftige Entwicklung. Die Demokratie ist diskreditiert als ein Importartikel arroganter Besatzer, auch durch das Verhalten vieler ihrer mutmaßlichen irakischen Vertreter. Die weltlichen, im besten Sinne bürgerlichen Kräfte sind durch die gewollte Konfessionalisierung so weit abgedrängt, dass etwa von Frauenrechten kaum mehr die Rede ist. Der jungen und jüngsten Generation bietet die Situation keine Aussichten - was wieder den Nährboden für Terrorismus und anarchische Gewalt kräftig düngt.

Cheney hat Recht: “Der Job” ist noch nicht erledigt. Doch es ist ein anderer als der, den er im Sinn hat. Er besteht in friedlichem Aufbau. Die bisherige US-Politik erschwert ihn ungemein.

Quelle: Frankfurter Rundschau   vom 20.03.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

20. März 2008

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