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Flucht aus Gaza - der Letzte möge das Licht ausschalten

Von Gideon Levy, 17.06.2007

Kurz vor Schabbatbeginn am Freitagabend erreichte der US-Bürger G. die palästinensische Seite des Erez-Überganges. G., Direktor einer Privatschule in Gaza, mag der letzte aus dem Westen gewesen sein, der den Streifen verließ. Der letzte hat dann wirklich das Licht ausgemacht. Die palästinensische Seite war leer. Die Stellung der Fatahpolizei war schon geplündert worden: Türen, Fenster, Lichtleitungen herausgezogen und die ganze Büroausstattung war auf Eselskarren weggebracht worden. Der kleinen Anzahl arbeitsloser Taxifahrer vor dem Übergang kamen Erinnerungen an die Auflösung der jüdischen Siedlungen im Gazastreifen vor 2 Jahren.

Ein israelischer Panzer schoss auf jemanden, der sich zu nähern versuchte. Sogar Abu Bassal, der schnauzbärtige palästinensische Polizeioffizier, der sonst unsere Papiere kontrollierte, wenn wir in den Gazastreifen kamen, war nicht mehr da. Er hatte gestern einen der Fahrer aus seinem Versteck angerufen und ihn nach seinem Büro gefragt. Da ist nichts mehr, antwortete ihm der Fahrer.

Nach ein paar Tagen, während denen niemand in Gaza wagte, nach draußen zu gehen, gab es gestern eine riesige Kauforgie. Auf der Omar Al-Mukhtar-Straße wurde nach allem geschnappt. Die Preise waren gestiegen: eine Schachtel Zigaretten nun 7, statt 6 NIS; braune Bohnen 3 statt 2 NIS/ die Dose. Jeder, der noch etwas Bargeld hatte, kaufte. Bewaffnete Leute von der neuen Regierung besuchten die Ladenbesitzer und warnten sie, sie mögen keine überhöhten Preise nehmen; Hamas sei eine soziale Wohlfahrtsbewegung, vergesst das nicht!

An den Tankstellen stehen Autoschlangen. Die Leute in Gaza wissen, dass die Grenzen geschlossen sind. Keiner kann voraussagen, wie sich das auf die Benzinvorräte auswirkt.

Die Bilder der Gewalt der dem letzten Wochenende vorausgegangenen Periode verfolgen die Bewohner. Das blutende und belagerte Gaza muss nun moralisch mit sich selbst abrechnen. Die Israelis sind die letzten, die das Recht haben, ihnen zu predigen. Diese gewalttätigen jungen Männer, die wir so grausam gegenseitig sich umbringen sahen, sind die Kinder des Winters 1987, die Kinder der ersten Intifada. Die meisten von ihnen waren niemals außerhalb des Gazastreifens. Sie sahen, wie ihre älteren Brüder geschlagen und verletzt wurden, ihre Eltern in ihren eigenen Häusern eingesperrt wurden, ohne Arbeit, ohne Hoffnung - und das Jahre lang. Ihr ganzes Leben verlief im Schatten der israelischen Gewalt. Sie sahen, wie israelische Kampfhubschrauber auf die Häuser der Nachbarn Bomben fallen ließen und Kanonen Granaten in die Nachbarschaft abschossen, die voller Kinder war. Sie wuchsen mit dem Tod auf, mit Verzweiflung und in erbärmlicher Armut, die nur noch schlimmer wurde, nachdem die Israelis sich aus dem Gazastreifen zurückgezogen hatten und danach die totale Absperrung kam.

Die Leute in Gaza wissen nicht, ob sie lachen oder weinen sollen. Keiner weiß, was die neue Situation ihnen bringen wird. Die Abtrennung der Westbank ist im Augenblick vollkommen. Es ist nicht mehr “ein Volk mit zwei Staaten” entsprechend der Redeweise israelischer Alchemie. Nicht einmal ein Staat. Nur Angst, Not und Hilflosigkeit.! “Wir sind fertig, es ist alles vorbei - wir sind wie Hühner in einem Käfig”, sagte gestern mein guter Freund M., der einmal auf dem Tel Aviver Hatikva-Markt Hühner rupfte.

Deutsche Übersetzung: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

29. Juni 2007

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