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Vom Zeitgeist eingenebelt

Tornado-Entscheidung: Verstoß gegen Grundgesetz und NATO-Vertrag


Von Lutz Herden

Die Bundesregierung hat entschieden, das militärische Engagement in Afghanistan zu verstärken. Mit dem Tornado-Einsatz wird die Bundeswehr definitiv zum Kombattanten gegen die Widerstandsfront im Süden und Osten, die sich nicht nur aus Taliban rekrutiert. Verteidigungsminister Jung (CDU) befürwortet zudem eine enge Kooperation mit der US-geführten Operation Enduring Freedom. Das bisherige Mandat ist Makulatur - im März wird der Bundestag darüber zu befinden haben.

Als das Bundeskabinett am 13. September 2006 entscheidet, die Afghanistan-Mission der Bundeswehr um ein weiteres Jahr zu verlängern, heißt es zugleich, die Anfrage des ISAF-Oberkommandos, ob man im umkämpften Süden aktiv werden könne, werde abschlägig beschieden. Eine Absage auf Abruf, wie sich zeigen soll. Sie gilt zwar noch Ende November auf dem NATO-Gipfel in Riga, wird danach jedoch in imposantem Tempo weichgespült. Nach diversen Mahnungen von NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer und einer Merkel-Visite im Weißen Haus sind die Auskünfte vom September alsbald Makulatur. Für den Durchbruch sorgt schließlich Verteidigungsminister Jung, der sich Anfang Februar im gut gesicherten “Camp Marmal” im nordafghanischen Masar-i-Sharif “einen Eindruck von der gewachsenen Kampfkraft der Taliban” verschafft, die freilich wegen des Winters gerade pausieren. Die Kabinettsentscheidung wenige Tage danach - reine Formsache.

Mehr im Vorübergehen

Das Verfahren erinnert lebhaft an den nicht minder eindrucksvollen Entscheidungsprozess im August, als es um einen deutschen Marineverband vor der libanesischen Küste geht. Es gibt eher beiläufige Äußerungen des SPD-Chefs und des Verteidigungsministers am Rande der Bayreuther Festspiele, und schon ist die Koalitionsentscheidung in eherne Formen gegossen. Ohne offene und öffentliche Debatte, mehr im Vorübergehen und in der Vorfreude auf Siegfried und den Nibelungenhort. Die erschlagende Mehrheit der Bundestagsabgeordneten von SPD wie CDU/CSU, der Grünen selbstverständlich auch, ist willfährig genug, sich der Einsicht nicht zu verweigern, dass man eine Parlamentsarmee wie die Bundeswehr unter diesen Umständen nicht aufhalten darf - und stimmt zu.

Die Bundesregierung hangelt sich von Auslandseinsatz zu Auslandseinsatz, verstrickt das Land in kriegerische Konflikte mit viel Potenzial auf einer nach oben offenen Eskalationsskala - und der Bundestag lässt sich mehrheitlich zum positiven Nickemännchen degradieren. Die so genannte demokratische Willensbildung ist nicht einmal ansatzweise so in Anspruch genommen wie bei Ladenschluss und Rauchverbot. Dabei bietet gerade die jüngste Tornado-Entscheidung Anlass genug, sich gegen den damit verbundenen Rechts- und Verfassungsbruch zu wehren. Allein die Frage, besteht überhaupt noch eine tragfähige politische Geschäftsgrundlage für den Einsatz des ISAF-Korps (und damit der Bundeswehr) in Afghanistan, wäre wünschenswert.

Denn die afghanischen Autoritäten sind nach wie vor weder souverän noch landesweit handlungsfähig. Statt die unter den Taliban zwischen 1996 und 2001 zerstörte Staatlichkeit wiederherzustellen, ist die Regierung Karzai nicht mehr als der Verwalter eines Protektorats mit beschränkten Vollmachten. Teile dieser Administration samt regionalen Dependancen sind überdies zu Filialen des internationalen Drogentransfers degeneriert. Schließlich legen die seit 2005 teils heftigen Gefechte mit paschtunischen Guerilla-Verbänden im Süden und Osten des Landes nahe, dass die NATO geführte ISAF als Kombattant in einen zwischen Afghanistan und Pakistan ausgebrochenen Territorialkonflikt um die Grenzziehung geraten ist.

Was hat das noch mit einem Mandat zu tun, wie es am 20. Dezember 2001 nach der US-Intervention in Afghanistan vom UN-Sicherheitsrat (Resolution 1386) vergeben wurde? Danach hatte die International Security Assistance Force (ISAF), “die afghanische Übergangsregierung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung zu unterstützen, so dass die Übergangsregierung sowie das Personal der Vereinten Nationen in einem sicheren Umfeld arbeiten können”.

Zwei Jahre später wurde mit der Resolution 1510 der Aktionsraum für ISAF über Kabul und Umgebung hinaus auf ganz Afghanistan gestreckt (s. Übersicht). Schon damals war es mit jeder Camouflage vorbei - die von Anfang an zweifelhafte “humanitäre Intervention” war endgültig zum Kampfeinsatz mutiert.

Wer all diese Risikofaktoren als unerheblich abtut, den sollte zumindest - falls das Wahrnehmungsvermögen noch nicht gänzlich vom Zeitgeist vernebelt ist - die rechtliche Grauzone beunruhigen, die von der Berliner Exekutive zum wiederholten Mal bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr als willkommenes Refugium angesteuert wird. In der Sache Tornados über Afghanistan kommt das einer so exemplarischen Missachtung des Rechts gleich, dass man sich wirklich fragt, warum ihrem Gewissen verpflichtete Bundestagsabgeordnete die Regierung Merkel nicht mit einem energischen Misstrauensantrag zur Verantwortung ziehen.

Ein NATO-Verteidigungsfall

Mit den Resolutionen 1386, 1413, 1444, 1510, 1563, 1623, 1659 und 1707 fungieren noch immer die Vereinten Nationen als Auftraggeber von ISAF, während dem Nordatlantikpakt der Status eines Subunternehmers zukommt, was eine Ebene darunter auch für den Subunternehmer Bundeswehr gilt. Die muss es sich freilich gefallen lassen, dass für ihr Engagement der Artikel 24 GG, Absatz zwei, geltend gemacht wird, wonach sich der Bund “zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit” einordnen kann.

Die Frage ist nur, die Normen welches Systems sind für die Befehle integrierter NATO-Stäbe bei einem mittlerweile unbestreitbaren Kampfeinsatz am Hindukusch bindend? Die der Vereinten Nationen? Oder die der NATO? Eines dürfte klar sein, wenn die NATO die Kommandogewalt bei ISAF ausübt, darf sie dabei keine Funktionen übernehmen - sprich: zu Angriffsoperationen ausholen -, es sei denn, sie ist dazu von den NATO-Mitgliedsstaaten ausdrücklich autorisiert worden. Das jedenfalls besagt der NATO-Vertrag und lässt nur eine Ausnahme gelten - den in Artikel 5 definierten Verteidigungsfall. Danach ist vereinbart, “dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen (der Vertragsparteien - L.H.) als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird …” und demzufolge das Recht “der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung” besteht. Ein solcher Verteidigungsfall ist mit der NATO-Präsenz in Afghanistan aber nicht gegeben. Was also legitimiert die Bundesregierung und voraussichtlich im März die Mehrheit des Bundestages, dem Nordatlantikpakt weitere Bundeswehr-Einheiten für einen Militäreinsatz zur Verfügung zu stellen, der dem NATO-Vertrag widerspricht?

Geantwortet wird darauf in der Regel mit dem Verweis auf die neue NATO-Strategie (“Konfliktverhütung und Krisenbewältigung”), wie sie auf dem NATO-Gipfel im April 1999 (nicht zufällig während der NATO-Angriffe auf Jugoslawien) beschlossen wurde. Darin räumt sich die Allianz ein Recht auf “nicht unter Artikel 5 fallende(n) Krisenreaktionseinsätze” und damit globale Interventionen ein, was eindeutig dem umfassenden Gewaltverbot nach Artikel 2 der UN-Charta widerspricht. Mit anderen Worten - um auf das zitierte deutsche Verfassungsgebot zurückzukommen -, der Bund kann sich kaum in “ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit” wie der UNO einordnen, indem er dessen Grundnorm bricht. Andererseits ist die neue NATO-Strategie bisher aus gutem Grund nicht Teil des NATO-Vertrages, sondern eine rechtlich unverbindliche politische Absichtserklärung, die kein NATO-Mitglied vertraglich bindet. Was politisch einleuchtet, kollidiert doch die NATO-Doktrin von 1999 erheblich mit Verfassungsnorm und innerstaatlichem Recht etlicher NATO-Staaten, nicht zuletzt der Bundesrepublik Deutschland.

Und deren Grundgesetz hat es nicht verdient, von der großen Koalition der Wahlverlierer des Jahres 2005 permanent belagert zu werden, weil sie ihrem außenpolitischen Geltungsanspruch mit einer global agierenden Interventionsarmee Nachdruck verschaffen will. Und dafür notfalls auch Menschenleben opfert.

Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr seit dem Irak-Krieg

10. Februar 2003 - Deutschland und die Niederlande übernehmen die ISAF-Führung, Generalleutnant Norbert van Heyst wird Kommandeur.

29. Mai 2003 - ein Bundeswehrfahrzeug fährt auf eine Mine - ein Soldat kommt ums Leben.

7. Juni 2003 - Selbstmordattentat auf einen deutschen Konvoi am Kabuler Flughafen, es gibt vier Tote und 29 Verletzte.

13. Oktober 2003 - der UN-Sicherheitsrat verlängert das ISAF-Mandat um weitere zwölf Monate - die Truppe darf nun auch außerhalb Kabuls operieren.

24. Oktober 2003 - der Bundestag weitet das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr aus: 450 Soldaten sollen im Norden des Landes den Wiederaufbau unterstützen.

Mai/Juni 2004 - es verdichten sich die Hinweise auf den Einsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr bei der Operation Enduring Freedom außerhalb des ISAF-Mandats.

30. Juli 2005 - die Bundeswehr wird mit der Koordination zivil-militärischer Aktivitäten (CIMIC) und Regionaler Wiederaufbauteams (PRT) im Norden des Landes betraut.

28. September 2005 - der Bundestag verlängert das ISAF-Mandat wieder um ein Jahr und erhöht die Obergrenze der einsetzbaren Soldaten von 2.250 auf 3.000.

14. November 2005 - bei einem Sprengstoffanschlag stirbt ein Bundeswehrsoldat.

22. Februar 2006 - Anschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug, ein Soldat wird verletzt.

1. Juni 2006 - die Bundeswehr übernimmt das Kommando über die ISAF-Truppen im Norden Afghanistans (RC North).

27. Juni 2006 - südlich von Kunduz werden bei einem Anschlag drei Bundeswehrsoldaten verletzt.

9. Juli 2006 - drei Raketen werden auf das deutsche “Camp Warehouse” in Kabul geschossen.

13. September 2006 - das Bundeskabinett verlängert den Bundeswehreinsatz für ISAF um ein weiteres Jahr, die Obergrenze für die Soldaten liegt inzwischen bei 3.300 Mann.

29. Oktober 2006 - in Masar-i-Sharif wird das letzte von fünf Hauptquartieren der afghanischen Nationalpolizei eröffnet.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   07 vom 16.02.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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Veröffentlicht am

19. Februar 2007

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