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Abrüstungsexperten warnen: “Fünf Minuten vor 12!”

Von Wolfgang Kötter

Die Gefahren, die von den atomaren, biologischen und chemischen Waffen und ihrer Weiterverbreitung ausgehen, wachsen. “Die Welt ist in ein neues Atomzeitalter mit besorgniserregenden Bedrohungen eingetreten”, warnen die Wissenschaftler des einflussreichen “Bulletin of the Atomic Scientists”. Seit sechzig Jahren führen sie die “Doomsday Clock”, die “Weltuntergangsuhr”, die anzeigt, wie nahe sich die Menschheit an der Selbstvernichtung befindet. Abhängig von einschneidenden sicherheitspolitischen Ereignissen, stellten sie die Uhr 17 Mal vor oder zurück. Zur Zeit zeigt sie auf 7 Minuten vor 12. Auf medienwirksamen Veranstaltungen in Washington und London werden die Zeiger heute wieder einmal nach vorn bewegt - die Katastrophe rückt näher.Die Uhr ist am 17.01.2007 auf 5 Minuten vor 12 vorgestellt worden. Zur Begründung verweisen die Experten auf die atomaren Ambitionen Irans und Nordkoreas, auf ungesichertes Nuklearmaterial in Russland und anderswo, den hohen Alarmstatus von 2.000 der weltweit insgesamt 25.000 Kernwaffen und der erneut wachsenden Nachfrage nach Atomenergie. Dies alles fördere die Verbreitung von Atomwaffen. Nichtverbreitung ohne nukleare Abrüstung aber bleibt eine Illusion. Darauf haben soeben vier ehemalige Spitzenpolitiker der USA verwiesen. In einem gemeinsamen Appell fordern die ehemaligen Außenminister Henry Kissinger und George Shultz, Ex-Verteidigungsminister William Perry und der langjährige Senator Sam Nunn ein Verbot aller Atomwaffen und schlagen konkrete Schritte zur nuklearen Abrüstung vor.Siehe “Am Abgrund einer neuen nuklearen Bedrohung” .

Wenn jedoch ab kommender Woche im altehrwürdigen “Salle du Conseil” des Genfer Palastes der Nationen wieder um Abrüstungsfortschritte gerungen wird, ist guter Rat teuer. Zwar hat die UN-Vollversammlung der Abrüstungskonferenz erst im vergangenen Monat ein rundes Dutzend Aufträge übermittelt, aber weder die Konferenzpräsidentin, Südafrikas Botschafterin Claudine Mtshali, noch einer ihrer Kollegen aus den übrigen 64 Mitgliedstaaten weiß, wie sie zu erfüllen sind. Das wichtigste multilaterale Verhandlungsorgan kann sich seit Jahren nicht einmal auf ein Arbeitsprogramm einigen. Dabei entstanden hier in der Vergangenheit nicht weniger als sieben internationale Verträge für die unterschiedlichsten Abrüstungsbereiche (siehe Infokasten). Aber seit geraumer Zeit ist die Konferenz paralysiert, weil unvereinbare Interessengegensätze jede Bewegung blockieren. Einige Regierungen reduzieren bereits ihre Delegationen, um angesichts permanenter Untätigkeit wenigstens Kosten zu sparen. Allerdings sind nicht die Diplomaten schuld am Versagen, die Stagnation ist vielmehr Symptom der Abrüstungskrise insgesamt. Im letzten Jahresbericht vor Ende seiner Amtszeit hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan warnend darauf verwiesen, “dass die internationale Gemeinschaft derzeit an einer Wegscheide steht.” Entweder gehe sie einen konstruktiven Weg gegen die Waffenverbreitung oder den gefährlicheren Weg, der letzlich zur Anwendung von Massenvernichtungswaffen mit katastrophalen Folgen führen wird: “Wenn es jemals einen Zeitpunkt gegeben hat, um die festgefahrenen multilateralen Verhandlungen wieder in Gang zu bringen und die Abrüstung wieder in den Vordergrund der internationalen Agenda zu stellen, dann jetzt”, so der Abschiedsappell Annans.

Verantwortlich für diese Situation ist in erster Linie die Bush-Regierung. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zogen die in Schlüsselpositionen der Macht etablierten Neokonservativen ihre jahrelang vorbereiteten Kreuzzugspläne aus der Schublade. Unter dem Etikett “Krieg gegen den Terror” deklarierten sie diese zur offiziellen US-Außenpolitik - mit verheerenden Konsequenzen für Rüstungskontrolle und Abrüstung. Nicht allein, dass Washington offen “Päventivkriege” á la Irak androht, was bei den potentiellen Opfern vor allem Aufrüstungsreflexe auslöst. Auch die Vereinigten Staaten selbst treiben den Rüstungsausbau mit aller Macht voran und torpedieren flächendeckend jegliche echte Abrüstung. Die USA boykottieren den vor zehn Jahren unterschriebenen Teststoppvertrag, während das Pentagon sogar die Wiederaufnahme von Atomversuchen für die neu zu schaffenden Mini-Nukes und Bunkerbrecher fordert. Sie verhindern die Kontrolle des Verbots biologischer Waffen und arbeiten statt dessen intensiv an eigenen Biowaffen. Die Vereinigten Staaten ignorieren die Ächtung von Antipersonenminen, sind gegen ein Verbot von Streumunition und unterminieren wirksame Maßnahmen gegen den illegalen Waffenhandel. Hier in der Genfer Konferenz schließlich blockieren sie Verhandlungen zur nuklearen Abrüstung und zur Verhinderung eines Wettrüstens im Kosmos, weil sie selbst nuklear aufrüsten und absolute militärische Dominanz im Weltraum anstreben. Washington betrachtet bindende vertragliche Verpflichtungen als Beeinträchtigung seiner nationalen Souveränität. Statt dessen soll die Gewalt das Völkerrecht aus den internationalen Beziehungen verdrängen. Auch über die Zukunft des Genfer Gremiums hat eine Arbeitsgruppe des US-Kongresses ihr Urteil bereits gesprochen. Es lautet: “Die Abrüstungskonferenz hat ihre Nützlichkeit überlebt und sollte beseitigt werden.” Ohne die einzig verbliebene Supermacht, die zur globalen Kriegsführung in der Lage ist und mit 500 Mrd. Dollar allein genauso viel für die Rüstung ausgibt wie der Rest der Welt, wird Abrüstung jedoch weitgehend irrelevant.

Trotzdem gibt es eine reale Chance für die multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung. Nicht nur das blutige Desaster im Irak zeigt, dass das unilaterale, auf Hochrüstung, Krieg und Konfrontation setzende Vorgehen sich letztlich gegen die eigenen Interessen der USA wendet, aber auch die gesamte Menschheit gefährdet. Viele Experten sind davon überzeugt, dass die Katastrophe nur durch die vollständige Beseitigung aller Massenvernichtungsmittel abzuwenden ist. Die Genfer Abrüstungskonferenz könnte diese historische Aufgabe übernehmen. Immerhin haben die sechs nach dem Rotationsprinzip amtierenden Präsidenten des vergangenen Jahres aus Südkorea, Polen, Rumänien, Russland, Senegal und der Slowakei einen gewissen Trend zu konstruktiver Arbeit konstatiert. In einem gemeinsamen “P6-Vision-Non-Paper” schlagen sie konkrete Schritte zur Reanimation der Konferenz vor. Dazu aber braucht es den politischen Willen zur Abrüstung bei den Regierungen aller Staaten.

Arbeitsergebnisse der Genfer Abrüstungskonferenz:

1. Teilteststoppvertrag (1963)

2. Nuklearer Nichtverbreitungsvertrag (1968)

3. Meeresbodenvertrag (1970)

4. Biowaffen-Konvention (1972)

5. Umweltkonvention (1977)

6. Chemiewaffen-Konvention (1992)

7. Umfassender Teststoppvertrag (1996)

Eine gekürzte Fassung dieses Artikels von Wolfgang Kötter erschien ebenfalls bei ND vom 17.01.2007.

Fußnoten

Veröffentlicht am

17. Januar 2007

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