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Kampf um Bagdad

Von Karl Grobe

Die Bitte hat George W. Bush seinem Besucher aus Bagdad erfüllt: Es werden zusätzliche US-Truppen in die irakische Hauptstadt verlegt, um - wie ernsthaft beteuert wird - der irakischen Armee beim Kampf gegen die eskalierende Gewalt beizustehen. Ob das dem US-Präsidenten bei der Kampagne für die Zwischenwahlen im November hilft, konnte Premier Nuri al-Maliki kaum interessieren; seine Lage ist annähernd verzweifelt. Dass sie sich bessert, wenn mehr GIs die Brücken und Kreuzungen kontrollieren, bei weiteren "Säuberungen" in weitere Schießereien geraten, weitere Kollateralschäden anrichten und die gewählte Regierung umso hilfloser aussehen lassen - das halten nicht einmal mehr Bushs eingefleischte Vordenker für garantiert.

Täglich fallen rund hundert Menschen Gewaltakten zum Opfer, sagt die offizielle Statistik. Sie erfasst nicht die Terrorakte und die Schießereien zwischen den Gefolgsleuten von Warlords jeglicher Richtung, die täglich außerhalb der Sichtweite der Mächtigen geschehen.

Die Eskalation der Gewalt drückt den Zerfall der staatlichen Ordnung aus. Sie ist sein Produkt. Der Befreiung von der Diktatur Saddam Husseins folgte, mit dem Willen der Besatzungsmacht, die Zerlegung der ohnehin atomisierten Gesellschaft in konfessionelle und ethnische Gruppen. Das wird allenfalls in Denkfabriken zum Thema, nicht aber in der Öffentlichkeit. Die Regierung in Washington, ihre ersten Satrapen in Bagdad und deren Nachfolger halten sich eher an die im Stalinismus erprobte Richtlinie: Bloß keine Fehlerdiskussion. Die Generallinie war immer richtig und bleibt es, und wenn sie sich so oft ändert wie die Argumente für den vom Völkerrecht nicht gedeckten Krieg gegen den Diktator, dessen absoluter Verlierer das Volk ist.

Die Begründungen waren so dicht gewebt wie des Kaisers neue Kleider in Andersens Märchen. Dem letzten dieser Argumente - Ziel sei die Demokratisierung - haftete die Vermutung an, das ethno-religiöse Aufteilungsprinzip weise den Weg dorthin. Nichts war falscher in Bagdad; dort, in der Sechsmillionenstadt, in der sich Iraks Gegenwart und Zukunft entscheiden, hatte trotz allem eine säkulare Zivilgesellschaft überdauert; eine Zivilgesellschaft der unabhängig von Ethnie und Konfession gleichermaßen Unterdrückten. Diese Stadt unterliegt jetzt, wie es der Washingtoner Irak-Spezialist Anthony Cordesman formuliert. einer "weichen ethnischen Säuberung": westlich des Tigris ein sunnitisches, östlich ein schiitisches Bagdad. Die "weiche Säuberung" fügt den fortdauernden Härten - kaum zureichende Wasserversorgung, Strom nur vier Stunden täglich, Zusammenbruch des Schul- und des Gesundheitswesens, Lebensgefahr bei jedem Gang auf die Straße - eine neue Härte hinzu. Ausgenommen ist die "grüne" Hochsicherheitszone, in der die gewählte Regierung, die ungewählten auswärtigen Konzerne und das Oberkommando der ungeliebten USA mitsamt der weltweit größten Botschaft leben.

Drinnen verewigt sich die ethno-religiöse Spaltung, die sich im Proporz bei der Zuteilung der Ministerämter niederschlug. Draußen wird die Spaltung mit Tötungsgeräten vertieft. Eine Armee, die sich auch zur Aufgabe gemacht hat, die bewaffneten "Milizen" zu integrieren, ist zur Befriedung, zur Überwindung der Spaltung strukturell ebenso unbefähigt wie die ethno-religiös gespaltene Polizei.

Das Versöhnungswerk samt Amnestie, das Maliki vor sechs Wochen angesagt hat, konnte da nicht funktionieren. Umso weniger, als sich Warlords innerhalb der konfessionellen Lager von diesen Lagern selbstständig machen (und teils immer waren). Nicht allein in Bagdad.

War das unausgesprochene Ziel des Krieges die Zerschlagung des Irak? Das ist erreicht worden. Ist die Zerschlagung ein ungewolltes Resultat falsch informierter, polit-fundamentalistischer Planung? Es wäre dann ein Schuldspruch gegen die letzte Supermacht, zusammenzufassen in einem Wort: Selbstüberschätzung.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 27.07.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

27. Juli 2006

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