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Iraks Zerfall

Von Karl Grobe - Kommentar

Politische Gesundbeter in gewissen US-Kreisen scheinen Karl Mays letzte Worte für ihre Irak-Betrachtungen zu kopieren: "Sieg! Sieg! Ich sehe alles rosenrot." Drei Jahre nach dem Überfall, den das Völkerrecht nicht gedeckt hat, gehört ein Maß an Fantasie zu ihrem demagogischen Handwerkszeug, das dem Altmeister deutscher Abenteuerliteratur Ehre gemacht hätte. Nichts ist rosenrot. Blutrot ist der alles deckende Farbton.

Krieg, Bürgerkrieg, Gewalt, Terrorismus, Widerstand - keins dieser Worte beschreibt allein die Realität. Alle zusammen treffen zu. Krieg: Der gegenwärtige Einsatz der US-Luftwaffe gegen Samarra ist intensiver als alle militärischen Handlungen seit der Invasion. Bürgerkrieg: Todesschwadrone angeblich religiös motivierter, in Wahrheit durch scheinreligiöse Agitation bestimmter Parteien führen einen Kampf an vielen einander überlappenden Fronten. Gewalt: In der "grünen" Hochsicherheitszone mitten in Bagdad ist sie kaum vorhanden, dort tagt das Parlament; sonst ist sie allgegenwärtig. Terrorismus: Banden, denen vereinfachend das Etikett "al-Qaeda" aufgeklebt wird, gedeihen in einem Staat, den es kaum mehr oder fast noch nicht wieder gibt. Widerstand: Kaum ein Politiker mag sich noch mit den Vertretern der einstigen "Koalition der Willigen" gemein machen.

Was es nicht gibt in Irak, ist eine Regierung. Also ist das letzte Versprechen, das die "Koalition" abgegeben hat, leer geblieben - das Versprechen, Irak zu einem demokratischen Modellfall zu machen.

Nicht einmal das, was eine ihrer Verantwortung nachkommende Besatzung hätte leisten müssen, ist geleistet. Zivilisatorische Grundlagen wie Energie- und Wasserversorgung bestehen weniger als zur Zeit der unsäglichen Diktatur Saddam Husseins und der UN-Sanktionen. Das Pentagon sieht sich veranlasst, auf die gesundheitsgefährdenden Eigenschaften des Trinkwassers hinzuweisen, welches die US-Soldaten konsumieren müssen - von der Zivilbevölkerung ist nicht die Rede. Das Wasser aufzubereiten, obliegt dem Trust Halliburton, der das ertragreichste Jahr der 86-jährigen Firmengeschichte feiert; er ist ein Kriegsgewinnler.

Die Invasionsmacht ist vor drei Jahren mit einem schneidigen Plan A angetreten, dem Plan für einen raschen und für die eigene Seite relativ verlustlosen Krieg. Einen Plan B für die Verwaltung und den Aufbau nach ihrem Sieg hatte sie offenkundig nicht. Sie ist bewusstlos ans Werk gegangen; anders lässt sich nicht begreifen, dass sie unter absoluter Vernachlässigung der Zivilgesellschaft das bis dahin so wenig religiös geprägte Land in ein Konglomerat religiöser und ethnischer Sekteninteressen zerlegt hat.

Der demokratische Prozess, in mutig abgehaltenen Wahlen eingeleitet, konnte und kann sich unter derart widrigen Voraussetzungen nicht entfalten. Die Regierungsbildung scheitert an Partikularinteressen und an der Einmischung auswärtiger Kräfte. Und unter diesen gibt es in der Tat einen Sieger: die Ayatollah-Diktatur in Iran.

Einfluss auf die schiitische Bevölkerungsmehrheit in Irak konnte Teheran erst zu gewinnen hoffen, seit der Konfessionalismus durch die Besatzungspolitik gefördert wurde. Erst unter dieser Voraussetzung konnte sich der mit den iranischen Ayatollahs vertraute, aus dem iranischen Exil heimgekehrte Abdul Asis Hakim in eine Position manövrieren, von der aus Iran als Schlichter angerufen werden kann. Dass hieraus Misstrauen anderer Kräfte wächst und die Einigung auf eine Konsensregierung erschwert, kann nicht wirklich überraschen.

Die künftige Staatsordnung Iraks wird wohl nicht ohne eine gewisse Föderalisierung auskommen; darauf bestehen zumal die kurdischen Parteien. Sie ist aber nur dann realistisch, wenn sie mit gegenseitiger Achtung und einem nationalen Konsens einher geht. Der ist heute weiter entfernt als jemals in der jüngeren Landesgeschichte. Er rückt weiter in die Ferne, je mehr die letzten Elemente einer laizistischen Zivilgesellschaft dem Konfessionalismus erliegen. Der Zerfall Iraks destabilisiert letztlich die ganze Region.

Einen Einheitsstaat als "stabilisierenden Regionalfaktor" hätten die USA übrigens mit Saddam Hussein haben können, um den Preis fortbestehender Diktatur. Sie haben das von 1980 bis 1988 schon einmal praktiziert. Die Atomisierung der irakischen Gesellschaft hat damals, unter Saddam Hussein, begonnen.


  Frankfurter Rundschau vom 20.03.2006. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

 

Veröffentlicht am

20. März 2006

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