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Irak: Ins Ungewisse

Von Karl Grobe - Kommentar

Das irakische Volk hat über ein Grundgesetz abgestimmt und sich annähernd so verhalten wie erwartet: Kurden stimmten wie Kurden, Schiiten wie Schiiten und Sunniten - meist - wie Sunniten. Die nach dem Sturz des Baath-Regimes eingeführte Dreiteilung ist so festgezurrt worden. Nur in der allgemeinen Feststellung, die Bevölkerung habe die Verfassung angenommen, ist noch etwas davon zu bemerken, dass “Iraker” gewählt haben, als Staatsbürger, als souveräne Wesen, nicht als Angehörige von Kasten, Konfessionen oder Ethnien.

Die Souveränität des Staates wird so begrenzt sein oder so weit reichen, wie die drei definierenden Elemente es zulassen oder wünschen; sie, nicht das Volk als Ganzes, sind Inhaber der Souveränität. Alle gewählten Körperschaften, Parlamente und Präsidialkollegien werden der Logik dieser ethno-religiösen Dreiteilung gehorchen.

Nicht dass es keine Unterschiede gäbe; sie sind aber bis vor 2003, unter der allgemeinen Repression gleichgeschaltet gewesen und im übrigen von der Zivilgesellschaft, wie sie in den Städten gewachsen war, aufgehoben und in die Zusammenhänge konkreterer Interessen integriert worden. Solche Interessen beziehen sich seit dem Krieg auf Grundsätzliches für den Alltag: Sicherheit, Elektrizität, Wasser, Nahrungsmittel, Arbeitsplätze. Vor allem die letzteren. Darüber konnte nicht abgestimmt werden; darum haben sich Besatzungsmacht und Übergangsregierung allzu wenig gekümmert. Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, dass sich 60 Prozent der Iraker für das Referendum haben mobilisieren lassen.

Das irakische Volk hat als eine Einheit die Lasten des Saddam-Hussein-Systems gemeinsam getragen, die der politischen Repression, der Kriege gegen Iran und Kuwait, die der militärischen Niederlagen und der Sanktionen. Vermutlich haben die von den UN verhängten Sanktionen, die doch das Regime schwächen sollten, die Lebensumstände der Bevölkerung nachhaltiger betroffen als die Kriege.

Jetzt, mit Aussicht auf Souveränität, ist die Einheit nicht mehr vorhanden. Die Rebellion eines Teiles der sunnitischen Minderheit hat direkt damit zu tun. Die Gefahr besteht und ist ihnen nur zu bewusst, dass sie von den wirtschaftlichen Ergebnissen des Neuaufbaus, etwa in der Ölindustrie, abgeschnitten werden: In den sunnitischen Regionen gibt es kaum Erdöl. Deshalb der Widerstand gegen die Föderalisierung; aber er stärkt erst den Widerstand der anderen und schwächt die einheitsstaatlichen Kräfte.

Gewiss versuchen außerirakische terroristische Gruppen sich in den Widerstand einzuklinken. Dies ist neu. Vor der Invasion der USA hat es in Irak al Qaeda ebenso wenig gegeben wie Massentötungswaffen. Der Terrorismus ist nach den Zerstörungen anderer Art, die Irak vorher erduldet hat, das jüngste und wohl höchste Hindernis auf dem Wiederaufbau-Weg. Mit diesem Erbe, das es nicht haben wollte und gegen das es sich mit unzureichenden und oft sehr falschen Mitteln wehrt, muss Iraks Volk künftig leben. Die Verfassung würde ihm dabei nur unzureichend helfen, selbst wenn sie gründlicher formuliert und von einer größeren Mehrheit verabschiedet worden wäre. Sie weist die Richtung, in die der nächste Schritt gehen soll. Er führt ins Ungewisse.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 18.10.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

19. Oktober 2005

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