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China kommt näher

Von Karl Grobe - Kommentar

Die Chinesen kommen, wie es scheint mit einem großen Sprung über den Pazifik. Sie kommen mit Geld. Die alteingesessene Elektronikfirma IBM hat ihre Computer-Branche an Lenovo verkauft. Für die nicht ganz unbedeutende Erdölfirma Unocal hat der chinesische Staatskonzern Cnooc ein Kaufangebot abgegeben, dem schwer zu widerstehen ist. In der Pekinger Handelskriegskasse wachsen die Dollarguthaben. Die bedeutendsten Handelsketten der USA beziehen den Großteil ihrer Ware aus China. Kurz, die dynamische Wirtschaftsmacht wird vom Billig-Lieferer zum Investor.

Gut aufgelegte Ökonomen haben das begrüßt: Der fernöstliche Drache wird auf diese Weise in den Globalisierungszirkus eingeführt, und wenn er mal drin ist, wird er sich auch führen lassen. Es haben sich schließlich alle großen Kapitalisten miteinander verflechten lassen, was zu einem Netz zusammenhängender Interessen geführt hat - und nichts könnte den Weltfrieden nachhaltiger fördern. Fragt sich nur, ob dieses Dogma zutrifft.

Beim Öl nämlich hört der Spaß auf. Es gibt in den USA wie in China Denkschulen, die Nachdruck nicht nur auf gut abgesicherte Lieferverträge legen, sondern auch auf unmittelbaren Besitz. Besitz und Transferrouten müssten auch mit außerökonomischen Mitteln gesichert werden. Dafür habe der Staat diplomatisch und notfalls militärisch zu sorgen.

Analytiker in Peking - und in Moskau und anderen Metropolen - argwöhnen, die USA hätten just das in den vergangenen 15 Jahren systematisch betrieben. Sie können starke Argumente anführen, von der US-Förderung der Volksbewegungen (etwa Georgien) über den Ausbau eines Stützpunktsystems in Zentralasien bis zum Krieg gegen Irak. Auch wenn es andere Motive gab, wenn mit verschiedenen Farb- und Blumensymbolen bedachte Revolutionen vor allem vom Protest gegen ungeliebte Regimes getragen waren - nach Öl und Pipelines riecht es überall.

Die gerade fertig gewordene Ölleitung von Baku ins türkische Ceyhan ist in diesem Sinne erst richtig sicher, seit in Tiflis ein freundliches Regime herrscht. Die Röhre führt nicht über russisches Gebiet, entzieht den Transport also Moskauer Kontrolle, und sie ermöglicht die Ausfuhr von Rohöl aus Kasachstan und den anderen zentralasiatischen neuen Staaten in Richtung Westen. Gerade dort aber haben staatliche chinesische Konzerne sich eingekauft.

Leitungen im Verlauf der antiken Seidenstraße schaffen die Ost-Verbindung. Stehen aber auch andere Wege offen, so büßt der zweitgrößte Erdölimporteur, China, einen Wettbewerbsvorteil ein gegenüber dem größten, den USA und ihren Weltmarkt beherrschenden Trusts. Unocal, das Objekt Pekinger Kaufwünsche, ist nun wiederum an der Baku-Ceyhan-Pipeline beteiligt. Sehr unangenehm; sehr politisch ist das und doch nur ein Kleinteil in jenem Puzzle der chinesisch-amerikanischen Beziehungen.

Lässt China dem Handel die Flagge folgen oder, moderner, der Investition in den fossilen Brennstoff die Investition in die Streitkräfte? Den Verdacht äußern besonders die um den Weltmacht-Status der USA besorgten Hardliner, getreu der strategischen Grundsatzplanung, die das Aufkommen potenter Rivalen im Ansatz zu unterbinden trachtet. China rüstet gewiss auf. Tests von Interkontinentalraketen zeigen - wie manches andere -, dass es von der Infanterie gestützten Massenarmee in die Qualität einer technisierten Streitmacht überwechselt. Aber eine unmittelbare Gefahr für die USA zeichnet sich nicht ab. Der Militärhaushalt des Landes mit der weltgrößten Bevölkerung ist nicht viel größer als der jährliche Zuwachs der entsprechenden Washingtoner Ausgaben. Auch wenn man verdeckte Rüstungsausgaben hinzurechnet, verändern sich die Dimensionen kaum.

Die Zahl der chinesischen Sprengköpfe ist in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten nicht gewachsen. Für ein Abschreckungspotenzial reicht das, von einer rasch wachsenden Bedrohung Nordamerikas zu orakeln, ist unseriös. Und in der Weltgegend, in der das Große Spiel sich anspinnt, setzt Peking auf wirtschaftliche Interdependenz, vielleicht auch Durchdringung, und auf Vertragswerke wie die Schanghai-Vertragsorganisation. Darin sind neben China und den Zentralasiaten auch Russland als Mitglied sowie Indien und Pakistan als Beobachter vertreten. Der verkündete Zweck ist Antiterrorismus und eine multipolare Ordnung.

Da liegt ein Problem. Die Pekinger Führung definiert Autonomiebewegungen in seinem fernen Westen Xinjiang als terroristisch. Die USA reden sie schön als Freiheitsstreben. Der nächste Zug im Großen Spiel könnte dort beginnen.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 04.07.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

06. Juli 2005

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