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Politischer Erdrutsch in Iran

Von Karl Grobe - Kommentar

Iran hat einen Erdrutsch nach rechts erlebt. Es ist unerheblich, ob bei der Wahl des fundamentalistischen Teheraner Bürgermeisters Mahmud Ahmadinedschad noch mehr als landesüblich gefälscht und betrogen wurde. Die Wahlkommission selber und die meisten unterlegenen Kandidaten - selber Angehörige des Establishments - haben eine ungewöhnlich umfangreiche Manipulation öffentlich benannt, doch das Ergebnis zählt, und es entspricht dem Willen der tatsächlich Mächtigen, die das in der Gestalt des Wächterrats so dekretiert haben.

Ahmadinedschad hat indes nicht nur durch Betrug gewonnen. Es wäre ein Selbstbetrug der Opposition und eine Verharmlosung des Vorgangs, sich mit der einfachen Diagnose zufrieden zu geben. Der Erfolg des ersten Kandidaten seit der Revolution von 1979, der keine hohen geistlichen Würden hat, legt eine gesellschaftliche Spaltung des Landes bloß. Ahmadinedschad hat die Unterschicht mobilisiert, die ärmeren Provinzen und eine Reihe benachteiligter Stämme für sich gewonnen und die vielfältigen Strömungen der Reformer als das erkennen lassen, was sie immer waren: Ausdruck der Unzufriedenheit in den oberen Klassen, denen der Zugang zur Macht gleichwohl verwehrt war.

Sein Vorgänger Mohammad Khatami, der zweimal amtierte, ist Geschichte. Diejenigen, die ihn 1997 erstmals gewählt hatten, mussten in seinem Scheitern die systemimmanenten Grenzen der Lockerung erkennen. Sie haben daraus zwei einander widersprechende Schlüsse gezogen: Erstens Boykott der Wahl, weil deren Ausgang durch die Vorauswahl im Grundsatz feststand; alle Kandidatinnen und rund tausend religionspolitisch Unzuverlässige hatte der Wächterrat nicht zur Kandidatur zugelassen. Zweitens ein Dennoch: Mobilisierung erst für Mustafa Moin, dann für das vermeintlich “kleinere Übel” Rafsandschani.

Beide Strategien hoben einander auf. Entscheidend für Ahmadinedschads Sieg war die Ökonomie. Die wachsende Kluft zwischen Reichen und Armen hat der Sieger genutzt mit Parolen, in denen einige lange Kapitel iranischer Geschichte widerhallen. Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft umzulenken zum Nutzen aller statt zum Vorteil der Superreichen war ein Antriebsargument der Revolution von 1979. Es griff seinerseits zurück auf die frühen Fünfziger Jahre, Mohammed Mossadeks Nationalisierung der Ölquellen zu Lasten der britischen Vorbesitzer, was letztlich zum Sturz Mossadeks durch den Eingriff der USA führte.

Ahmadinedschad nahm das Argument auf, kulturimperialistische Einflüsse des Westens (also der USA) zerstörten die islamisch-iranische Identität. Seine Forderungen, den Tschador wieder nach strenger Vorschrift zu tragen, Popmusik und West-Denken bis hinauf zum universitären Niveau zu verbieten, die Geschlechtertrennung sogar in Fahrstühlen durchzusetzen und Ähnliches verweisen auf den vormodernen und auf seine Weise zugleich elitär und egalitär auftretenden Bewusstseinszustand der Verarmten. Das ist mit Recht Talibanisierung genannt worden; es ist aber mehr: Umlenkung einer sozialen Tiefenströmung ohne klares Bewusstsein für die Stabilisierung des Systems.

Dabei verändert das System sich selbst. In diesem Sinne hatte der unterlegene Bewerber Mustafa Moin Recht, als er Vergleiche mit dem Faschismus zog. Für die Einordnung der paramilitärischen Milizen und der Revolutionsgarden ins gesellschaftliche Gefüge bieten sich ähnliche Vergleiche durchaus an.

Diese Vorgänge werden außenpolitische Folgen haben. Der Wahlsieger hat einige Hinweise vor dem ersten Urnengang gegeben, auch auf die künftige Nuklearpolitik des Landes. Iran wird das einschlägige Programm nicht aufgeben, und ob das von Rafsandschani als letztlich Zuständigem vereinbarte Moratorium der Urananreicherung bestehen bleiben kann, ist mehr als fraglich. Der neue Präsident beharrt darauf, dass das Programm nur friedlichen Zwecken diene.

Russlands Präsident Wladimir Putin glaubt ihm offenbar; er hat Glückwünsche zur Wahl gesandt. Russland ist freilich an vielen wirtschaftlichen Dingen interessiert und ist Vertrags- und Lieferpartner in der Reaktortechnik.

Die Verhandlungen, welche Deutschland, Frankreich und Großbritannien in dieser Sache führen, werden gewiss nicht leichter. Für die USA ist der Fall ohnehin klarer als zuvor. Und hier droht Konfrontation. Irans Politiker kennen die Landkarte mit den US-Stützpunkten in der Region. Sie sind überall außer in Turkmenistan. Die US-Regierung kennt das natürlich noch besser. Es besteht jetzt eine größere Gefahr, dass sie aktiven Gebrauch von diesen Basen macht.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 27.06.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

02. Juli 2005

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