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Iran: Abdankung der Aufgeschlossenen

Erstmals seit der Existenz der Islamischen Republik wird zur Bestimmung des iranischen Staatspräsidenten ein zweiter Wahlgang erforderlich. Die Iraner können dann entscheiden zwischen einem “gemäßigten” und einem “harten” Vertreter des Regimes. Für irgend eine Art von Reformpolitik können sie ihre Stimme nicht mehr abgeben. Zu den Wahlsiegern gehört paradoxerweise auch George W. Bush: Jene, die mit Teheran partout nicht über das Atomprogramm verhandeln wollen, haben die Segel voll im Wind. Zwei Kommentare von Karl Grobe.

Iran: Abdankung der Aufgeschlossenen

Von Karl Grobe - Kommentar vom 20.06.2005

Zum ersten Mal seit der Einrichtung der Islamischen Republik braucht die Bestimmung des iranischen Staatspräsidenten einen zweiten Wahlgang. Die Iraner können dann entscheiden zwischen einem “gemäßigten” und einem “harten” Vertreter des Regimes. Nicht mehr zur Debatte steht die Stimmabgabe für irgend eine Art Reformpolitik.

Das Wahlergebnis zeigt weitere bittere Wahrheiten auf. Die Veränderungswilligen, gespalten zwischen bewussten Wahlverweigerern und Befürwortern des Kandidaten Mostafa Moin, haben an beiden Fronten entscheidend verloren. Die überdurchschnittlich hohe Wahlbeteiligung, rund 62 Prozent, und der geringe Anteil der Moin-Stimmen - knapp 14 Prozent, Platz fünf - zeigen das eindringlich. Dem als vielleicht doch ein wenig konziliant geltenden Ali Akbar Haschemin Rafsandschani sitzt ein Hardliner besonderer Art im Nacken. Der bisherige Teheraner Bürgermeister Machmud Achmadinedschad, den kaum einer der in- und ausländischen Beobachter recht auf dem Radarschirm hatte, kann die Stichwahl gewinnen. Selbst wenn nicht: Auf seine Anhängerschaft müsste auch Rafsandschani im Falle des Sieges Rücksicht nehmen.

Dem Bürgermeister ist es gelungen, die Unterschicht der großen Städte zu mobilisieren, die paramilitärischen (und extremistischen) Kräfte des Regimes auf seine Seite zu ziehen und sich selber durch seinen Wahlkampf als “Mann des armen Volkes” darzustellen, der er gewiss nicht ist. Er hat sich auf eben die sozialen Kräfte gestützt, die vor einem Vierteljahrhundert von Ayatollah Ruhollah Khomeiny aufgeweckt wurden, als er dem iranischen Volk die Revolution stahl und in die Herrschaft des Geistlichen verwandelte.

Die eigentliche Bedeutung der Wahl liegt in dieser Mobilisierung und in der Abdankung der sich modern gebenden, politisch und intellektuell aufgeschlossenen Mittelschicht als politische Kraft. Das verändert den Charakter der innenpolitischen Auseinandersetzung. Die Intellektuellen, die weltoffenen Bürger und Studenten werden ihr Leben fernab der Politik gestalten, in politisch passiven Formen. Die verarmende Mehrheit, die dem infolge der Revolution superreich gewordenen Rafsandschani sowieso misstraut, findet eine Orientierung, wenn überhaupt, bei den auf die Orthodoxen eingeschworenen Schlägertrupps. Zwei abgeschmetterte Kandidaten sprechen bereits von einem aufkommenden Faschismus iranischer Art. Die soziale Basis ist zweifellos vorhanden.

Schließlich gehört paradoxerweise auch George W. Bush zu den Wahlsiegern: Die mit Teheran partout nicht über das Atomprogramm verhandeln wollen, haben die Segel voll im Wind.

Iran: Lauf ins Leere

Von Karl Grobe - Kommentar vom 21.06.2005

Die iranische Präsidentenwahl am vergangenen Freitag ist offenbar noch massiver beeinflusst worden, als erste unabhängige Beobachtungen erkennen ließen. Der Spitzenreiter nach dem ersten Wahlgang, Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, war am Wochenende kurz davor, auf die Stichwahl zu verzichten. Der unterlegene Dritte, Medi Karrubi, warf aus Protest am Montag die Brocken hin. Die dokumentierten Beschwerden über Stimmenkauf, Fälschung und Einschüchterung durch Schläger-Milizen der Fundamentalisten brachten den erzkonservativen Wächterrat dazu, hier und da nachzählen zu lassen und den zweiten Wahldurchgang womöglich zu verschieben.

Der Protest kommt nicht von irgendwo. Rafsandschani ist Revolutionsgewinnler seit 1979 und eine Art graue Eminenz des Regimes. Karrubi gehört - gehörte? - wichtigen Leitungsgremien an, was sein Image als Reformer durchaus relativiert. Kritik und Rücktritt auf dieser Ebene nimmt dem Wahlvorgang selbst das bisschen Legitimität, die ihm nach der Vorauswahl der Kandidaten durch die politischen Linienrichter vom Wächterrat noch angehaftet hatte. Doch das alles kann ins Leere laufen; die Ultras können den Durchmarsch des Extremisten Ahmadinedschad planen und selbst die leiseste Hoffnung auf eine Wende ersticken.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 20./21.06.2005. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

22. Juni 2005

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