Ein Münchner (Erzbischof) im HimmelVon Andrea Noll - ZNet Kommentar 22.04.2005 Uff - haarscharf. Nur Stunden vor Anbruch des verfluchten 20. April (“Führers Geburtstag”) stand Joseph Kardinal Ratzinger als Benedikt XVI auf dem Vatikansbalkon und grüßte als neuer Papst die Menge auf dem Petersplatz. Ein deutscher Papst, erkoren ausgerechnet an Hitlers Geburtstag - der PR-Supergau wäre das gewesen. Schließlich sprechen wir vom neuen deutschen Oberhaupt über 1 Milliarde Gläubige. Natürlich ist Ratzinger kein alter Nazi - selbst wenn er im Krieg Flak-Helfer mit HJ-Ausweis gewesen sein sollte. Er war 17, als der Krieg zu Ende ging. Hitler-Ratzinger-Vergleiche in der ausländischen Presse der letzten Tage - vor allem in skandinavischen und britischen Blättern (“Vom Hitler-Jungen zum Papa-Ratzi” [The Sun]) - spielen sich auf dem Niveau des verbalen Fußballhooliganismus ab, ebenso die ‘Bild’-Schlagzeile: “Wir sind Papst”. In Wirklichkeit herrscht in Deutschland alles andere als Euphorie über diesen Auslandssieg. Die deutschen Katholiken verharren mehrheitlich in Schockstarre. Angeblich soll der stärkste Widerstand gegen Ratzingers Wahl von deutschen Bischöfen und Kardinälen gekommen sein. Selbst Ratzinger-Bruder, Prälat Georg Ratzinger, ein ehrlicher Mann, kann der Wahl wenig Gutes abgewinnen. Er bezweifelt öffentlich, dass sein Bruder der großen Aufgabe gewachsen sein wird - und das nicht nur hinsichtlich der angeschlagenen Gesundheit des neuen Pontifex Maximus (1991 hatte J. Ratzinger eine Gehirnblutung erlitten). Er sei nie ein großer Seelsorger gewesen vielmehr ein Theoretiker, sagt Bruder Georg mit entwaffnender Offenheit. Beiden gemeinsam ist die Liebe zur Musik. Bruder Georg, ein heiterer Bruder Immerfroh und langjähriger Leiter der ‘Regensburger Domspatzen’, trägt die Musik im Herzen, Bruder Joseph hingegen hat die kalte Musikauffassung eines Mathematikers. Und so präzise und kalt wie seine Rhetorik ist auch sein Klavierspiel. Der unterkühlte, introvertierte Ratzinger ist ein Mann der Bücher, ein Akademiker im Elfenbeinturm, der im Grunde nie seelsorgerisch tätig war - der wesentliche Unterschied zum Volkspapst Wojtyla. Mit 30 ist Ratzinger bereits Theologieprofessor, später lehrt er an verschiedenen deutschen Universitäten - unter anderem in Tübingen, wo sich seine Freundschaft zu Hans Küng in bittere Feindschaft wandelt. Seine prägendsten Jahre verbringt Ratzinger in Rom. Er begleitet den Kölner Kardinal Frings als Berater zum Zweiten Vatikanischen Konzil unter Johannes XXIII. Damals, 1962, ist Ratzinger 35. Johannes Nachfolger als Konzilspapst wird Paul VI. Der beordert Ratzinger 1977 nach Deutschland zurück. Wenige Jahre ist er nun Bischof - ungern. Er seufzt, er sei der Ochse, der den Karren (der Kirche) in Gottes Namen zieht. Dabei stolpert er ohne große Mühe die kirchliche Karriereleiter hinauf. Der Papst ernennt ihn zum Erzbischof von München und Freising, kurz darauf zum Kardinal. Nach nur 4 Jahren schließlich der heißersehnte Ruf zurück nach Rom. Ratzinger ist in seinem Element. Als “Chefideologe” Johannes Pauls II bezeichnet ihn das ‘Neue Deutschland’ 1 . Ratzinger steht jetzt an der Spitze der Glaubenskongregation - der wichtigsten und ältesten der 9 Kongregationen (Ministerien) der römischen Kurie. Diese Nachfolgebehörde der Unheiligen Inquisition wacht über den wahren Glauben in der Weltkirche - und Großinquisitor Ratzinger ist ihr Chef. So wie Wolfgang Schäuble wichtigster Mann im ‘System Kohl’ (vielleicht wichtiger als Big Helmut selbst) war Ratzinger die Graue Eminenz im ‘System Wojtyla’, ein Machiavelli. Papst Wojtyla war hauptsächlich Außenminister, Kanzler und Innenminister im Kirchenstaat war Joseph I - gilt er doch als Hauptautor des 1992 veröffentlichten neuen Weltkatechismus. “Dieses Dokument spiegelte denn auch Ratzingers Maxime, dass schon eine zaghafte Liberalisierung die Fundamente des Katholizismus gefährdet: (Es handelt) von der restriktiven Sexualmoral über die Billigung der Todesstrafe bis zu einem archaischen Sündenregister” 1 . Mehr noch als der alte Papst steht Ratzinger für eine hierarchische, erzkonservative Kirche von Oben, die an ihren Dogmen nicht rütteln lässt. Vielleicht haben die beiden vor der Öffentlichkeit bewusst das ‘good cop, bad cop’ Spiel gespielt. Der Semi-Autist Ratzinger als Unsympath, der den Unmut der Katholiken gerne auf sich zieht und so die Kritik vom empathisch-lächelnden, väterlichen Wojtyla ablenkt. Ratzinger ist “der Hammer Gottes” - so wird er hinter vorgehaltener Hand genannt. Mit Benedikt XVI wird es vermutlich keine Priesterinnen geben, keine Abschaffung des Zölibats, keine Kompromissbereitschaft im Streit um die Schwangerschaftskonfliktberatung oder in Verhütungsfragen. Der Hammer GottesDiejenigen, die Ratzinger für ein Produkt der Erziehung im sogenannten Dritten Reich halten, übersehen eine wichtige Tatsache: Bis Mitte der 60ger Jahre galt der junge Theologe Ratzinger als liberaler Reformer und spielte eine nicht unwesentliche Rolle beim Zweiten Vatikanischen Konzil (an dem er als Sachverständiger teilnahm), das der “linke” Papst Johannes XXIII einberufen hatte. Johannes wollte die “Fenster der Kirche weit aufreißen”, um frische Luft hereinzulassen. Der alte Ratzinger scheint zu brüllen: “Fenster zu! Es zieht!” Ratzingers Wandlung kam denkbar abrupt, manche sprechen von einem “Trauma” - während seiner Zeit als Theologieprofessor in Tübingen. Fest steht, die Studentenbewegung der späten 60ger machte dem intelligenten Kirchenlehrer schwer zu schaffen. Abrupt wurde ihm bewusst, wie gewaltig die Umbrüche in den Gesellschaften des Westens sein würden. Hatte das Zweite Vatikanische Konzil etwa zu diesem Dammbruch beigetragen? Ratzinger mag sich gefühlt haben wie der späte Michail Gorbatschow. Angetreten mit Glasnost und Perestroika wollte Gorbatschow das Sowjetreich reformieren, es fit machen fürs neue Jahrtausend. Stattdessen läutete er dem System des Sowjetkommunismus das Sterbeglöcklein. Der 40jährige Ratzinger sah im Zweiten Vatikanischen Konzil, das er mitgetragen hatte, plötzlich die Axt angelegt an den Stamm der Mutter Kirche. Nach diesem Damaskus-Erlebnis (Studentenunruhen) galten all seine Bemühungen der ideologischen Rolle rückwärts. Ratzinger mutierte vom Paulus zum Saulus. In allen Zeitungen wird der neue Papst als “hochintelligent” beschrieben, er hat sogar einen Literaturpreis erhalten (nun ja, auch Radovan Karadzic schrieb Gedichte). Ratzinger sei ein Akademiker, ein Mann der Wissenschaft. Wissenschaft und Kirche - Feuer und Wasser. Wir leben in einer Zeit, in der hohe Kirchentheologen nicht mehr jahrzehntelang darüber streiten können, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen. Das meiste von dem, was Kinder heutzutage im naturwissenschaftlichen Unterricht lernen - dass die Erde aus dem Urknall entstanden ist und die Menschheit durch Evolution - steht in fundamentalem Widerspruch zur christlichen Lehre. Und das Ozonloch ist nun wirklich keine Himmelpforte für adipöse Christen. Die naturwissenschaftlichen Paradigmen haben es an sich, sich mit so ziemlich allen religiösen Dogmen zu beißen - seien es christliche, hinduistische, buddhistische oder muslimische. Der “brillante Akademiker” Ratzinger glaubt nach wie vor, dass uns für schwere Sünden der “ewige Tod in der Hölle” droht. Diesen Ort geographisch festzumachen, dürfte ihm allerdings schwer fallen. Ratzinger erinnert ein wenig an die Figur des Leo Naphta aus Thomas Manns legendärem Roman ‘Zauberberg’. Der hochintelligente Jesuit Naphta hält es mit dem Kirchenlehrer Augustinus, für den allein der Glaube der Weg zur Erkenntnis ist. Die Naturwissenschaften hält Naphta in dieser Hinsicht für irrelevant. Er glaubt an einen hierarchischen, sozial gerechten Gottesstaat. Mit seinem Widersacher, dem quirligen Freidenker Settembrini, der für Liberalität, Demokratie und die Effizienz des modernen Kapitalismus steht, verheddert er sich in einen tödlichen Streit um die Seele Hans Castorps. Ratzingers Settembrini: westliche Kirchenreformer wie Hans Küng, Eugen Drewermann oder Uta Ranke-Heinemann. Insbesondere Drewermann versucht in seiner Arbeit eine Synthese zwischen Katholizismus und Standardwissenschaften (Psychologie, Philosophie, Anthropologie, Germanistik) - was bei ihm oft wie die Quadratur des Kreises wirkt 2 . Im Grunde ist kompromissloses, ganzheitliches Begreifen der Schlüssel zur Religion - zu jeder. Religiös ist man mit allen Sinnen - oder gar nicht - Theorie Nebensache. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder… In Mattäus 23,13 sagt Jesus über die Schriftgelehrten: “Wehe aber euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschließt das Himmelreich den Menschen; denn ihr selbst geht nicht hinein und lasst auch die, die hineingehen wollen, nicht hinein”. Als “übertünchte Gräber” bezeichnet er diese angeblich “blinden Wegweiser”. Aber kein Grund für die Naturwissenschaften, sich als Sieger durch k.o. zu fühlen. Auch der positivistische Materialismus ächzt unter der Last der eigenen Widersprüche. Wo die Wissenschaft mit ihrer immanenten Logik nicht mehr weiterkommt, entwickelt sie flugs Chaostheorien. Im Katholizismus nennt man das Mysterien. Wie dem auch sei, Religiosität lernt man nicht an der Theologischen Fakultät und Glauben kann man sich nicht bei Ebay ersteigern. Das Goliath-SyndromIm Grunde sind sich Herr Ratzinger und seine liberalen Widersacher gar nicht so unähnlich - in ihrem Eurozentrismus, ihrem missionarischen Eifer und ihrer kolossalen Selbstüberschätzung - angesichts einer Weltkirche von 1 Milliarde. Hier einige Zahlen: Weltweit gibt es rund 1,086 Milliarden Katholiken, das sind 17,2% der Weltbevölkerung. Die Hälfte der Katholiken lebt auf dem amerikanischen Kontinent - vor allem in Mittel- und Südamerika. 13,2% der Katholiken leben in Afrika, 10,4% in Asien. Nur rund ein Viertel aller Katholiken lebt in Europa (darunter eine unbekannte Zahl Taufscheinchristen, die, wenn nach ihrer Konfession gefragt, die letzte Steuererklärung zu Rate ziehen müssen und noch nie eine Kirche von innen sahen). Zum Vergleich: In Südamerika stellen Katholiken 86,8% der Gesamtbevölkerung, in Europa sind es nur 39,96%, in Nordamerika 24,41% (die USA sind noch immer das Land des WASP - des White Anglo-Saxon Protestant - siehe Bush). Dennoch steht der Vatikan nicht in San Salvador sondern in Rom, und ein Deutscher sitzt auf dem Papststuhl und nicht beispielsweise Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú ( www.rigobertamenchu.de.vu ) aus Guatemala. Ich spreche in diesem Zusammenhang von einem “Goliath-Syndrom”. Die Katholiken der westlichen Welt - vor allem in Europa und den USA - überschätzen ihre Bedeutung innerhalb der Universalkirche massivst (‘katholisch’ heißt übersetzt ‘universal’ bzw. ‘allgemein’). Das gilt für liberale Reformer wie für Erzkonservative. Der Lifestyle-Katholizismus von Stuttgart bis Paris, von Köln bis Rom treibt seltsam esoterische Blüten. Katholizismus - bei uns oft nur noch eine (unverbindliche) Veranstaltung der bürgerlichen Mittelschichten. Für Leute wie Küng, für die selbst aktive Sterbehilfe okay ist, hat die Religion allenfalls noch die Funktion einer Zusatzversicherung. Ich plädiere dafür, dass wir (west-)europäischen Christen uns einfach raushalten. Nein, wir sind nicht der Nabel am Leib der katholischen Weltkirche, und schon gar nicht ihr Gehirn - eher der Blinddarm. Seien wir also basisdemokratisch, lassen wir die katholische Mehrheit des globalen Südens demokratisch (und demographisch) entscheiden - über die Zukunft unserer alten, kränkelnden Mutter Kirche. Lohnt es sich wirklich, einen alten Mann nach dem andern auf den wurmstichigen Stuhl Sankt Peters zu hieven oder sollte man das Politbüro in Rom nicht besser schließen und in Guatemala-Stadt wiedereröffnen - mit einer Päpstin (an dieser Stelle sträubt sich mein Computer-Rechtschreibprogramm)? Oder sollte man den Kirchenstaat gleich ganz abschaffen, die Kirche dezentralisieren? Global denken, lokal handeln, die Graswurzelkirche praktiziert dieses Konzept seit langem - mit oder ohne Wojtylas Segen. Die katholische Kirche ist jung und vital - die Mehrzahl der Katholiken weltweit unter 30 Jahre alt und im globalen Süden daheim. Wer mit diesen Katholiken über hierzulande heiß diskutierte Themen wie Priesterzölibat, Abtreibung, Verhütung, eheliche Treue, usw. diskutiert, wird andere Argumente hören als von unseren Lifestyle-Christen. Vor allem plagen die Christen der sogenannten Dritten Welt ganz andere Sorgen. Sie wünschen sich eine Kirche der sozialen Gerechtigkeit - eine Kirche, die Teil der globalen Sozialbewegungen ist. Sie wünschen sich eine Kirche, die gegen Kriege, Bürgerkriege und imperiale Militärinterventionen eintritt, und sie wünschen sich eine möglichst konfliktfreie Kooperation mit Angehörigen anderer Religionen und Atheisten. Wegweisend sind hier vor allem die Befreiungstheologen Lateinamerikas, (die Lieblingsfeinde des heiligen Joseph, alias Benedikt XVI). Schon heute ist die katholische Kirche - ob mit oder ohne Papstsegen - wichtiger Bestandteil der Antiglobalisierungsbewegung. Hammer und AmbossWenn Joseph Ratzinger der Hammer Gottes ist, dann sind die Frauen in der katholischen Kirche der Amboss, auf den eingedroschen wird. Joseph, der Gesegnete, ist ein Streiter gegen Feminismus und Gleichberechtigung und dezidierter Gegner des weiblichen Priestertums. Lieber hält er es mit Paulus: Das Weib schweige in der Gemeinde 3 . Dabei weiß Benedikt XVI vermutlich ganz genau, wie kastriert die katholische Kirche ohne ihr weibliches Personal wäre. Eine davon ist Schwester Lea Ackermann, die 1998 die Auszeichnung ‘Frau Europas’ erhielt. Dr. Ackermann, 1937 im saarländischen Völklingen geboren, trat mit Anfang 20 in den Missionsorden der sogenannten ‘Weißen Schwestern’ ein. 1985 gründete sie in Kenia den Verein Solwodi (Solidarity with Women in Distress) 4 - eine NGO, die mittlerweile Tausenden von Frauen in Zwangsprostitution geholfen hat. Letzte Woche habe ich Sr. Lea, die derzeit in Deutschland lebt und arbeitet, bei einem Vortrag in Reutlingen erlebt - eine vitale, Frau mit charismatischer Ausstrahlung und frechem Haarschnitt, die jedes Nonnenklischee Lügen straft. Sie berichtete, welche Erfahrungen sie zur Initiierung von Solwodi veranlasst haben. Die damals in der Frauenausbildung tätige Nonne Sr. Lea hatte die Bordelle Mombasas aufgesucht, um sich mit jungen Prostituierten über ihre Situation zu unterhalten: “Du siehst aber recht jung aus, wie alt bist du?” Das Mädchen antwortet: “Oh, ich bin nicht so jung, siehst du das Mädchen dahinten, das ist noch zwei Jahre jünger, sie ist 14. Letzte Nacht hat sie ein Kind geboren und gleich (im Plumpsklo) ertränkt”. Heute ist es der studierten Theologin, Pädagogin und Psychologin vor allem ein Anliegen, die Täter - Zuhälter und Menschenhändler - vor Gericht zu bringen. Was die Freier angeht, ist sie eine Befürworterin des schwedischen Modells - das die Freier bestraft und nicht die Prostituierten (ein sehr effektives Modell übrigens). Bislang hat Solwodi in Deutschland 10 Beratungsstellen für Frauen in Zwangsprostitution eröffnet. “Es passiert mitten unter uns, dass Frauen durch Menschenhändler, die damit viel Geld verdienen, erniedrigt und zur Prostitution gezwungen werden”, sagt Lea Ackermann. In den westlichen Gesellschaften, so auch in Deutschland, schwindet das Unrechtsbewusstsein in Sachen Prostitution. Oft ist verharmlosend vom “ältesten Gewerbe der Welt” die Rede. Falsch, das älteste Gewerbe ist die Sklaverei. Allein in Deutschland hat Solwodi in den vergangenen Jahren 91 Zeuginnen von Menschenhandel durch ihre Prozesse begleitet. Ziel ist es, die Frauen in Zeugenschutzprogramme zu bringen und so vor Abschiebung zu schützen - bisher leider noch die Ausnahme. Natürlich spricht sich Frau Ackermann für das Frauen-Diakonat aus und hätte gerne eine Frau auf dem Thron Petris gesehen. Ihre Haltung ist typisch für eine Katholikin, die den größten Teil ihres Lebens im globalen Süden verbrachte. Nach ihrem Namensvetter Joseph Ackermann (Chef der Deutschen Bank) befragt, wählt sie Bezeichnungen, die ich hier besser nicht wiederhole. Frau Ackermann hat für ihre Graswurzel-Arbeit in Afrika viel Lob und viele Preise geerntet. Danach befragt, sagt sie, der Preis ‘Frau Europas’ “hat mich sehr gefreut, aber noch mehr freue ich mich über den Johanna-Löwenthal-Preis. Johanna Löwenthal war eine Jüdin und eine Kommunistin.” Papa-Ratzi hat’s hoffentlich nicht gehört… Die katholische Kirche kennt viele Lea Ackermanns. Sie sind das Salz der Erde (wobei Herr Ratzinger in seinem Buch ‘Salz der Erde’ wohl nicht an so rotes Salz gedacht haben dürfte). Salz der Erde auch die Brüder Phil and Daniel Berrigan 5 , die mit ihren militant-pazifistischen Aktionen gegen den Militärstaat USA protestierten und dafür unzählige Male ins Gefängnis gingen. Salz der Erde ist Pater Shay Cullen 6 , Träger des Alternativen Nobelpreises, der sein Leben im Kampf gegen die philippinische Kinderschänder-Mafia riskiert und das Kinderschutzwerk Preda gründete. Salz der Erde sind unzählige namenlose Priester, Nonnen und Laien in aller Welt, die zahllose Projekte für Frieden und soziale Gerechtigkeit vorantreiben und keine Berührungsängste mit nichtkonfessionellen Mitstreiterinnen und Mitstreitern haben. Salz der Erde sind die Befreiungstheologen Lateinamerikas - Ernesto Cardenal, Leonardo Boff 7 , usw. oder der 1999 90jährig verstorbene legendäre Bischof von Recife, Dom Helder Camarra. Salz der Erde sind unzählige kirchliche Projekte, ohne die die Antiglobalisierungsbewegung einfach undenkbar wäre - zum Beispiel Misereor ( www.misereor.de/aktionen_3950.php ). Advocata DiaboliMea culpa, es gibt Dinge, die ich an Papa-Ratzi mag. Zum Beispiel sein Alter. Er ist zweifellos nur ein Papst des Übergangs - im Grunde geht das Wojtyla-Pontifikat mit ihm in eine (kurze) Verlängerung. Das sieht er sicher genauso. Ratzinger ist kein Zyniker und kein Egoist. Ich glaube, was er will, ist die Kirche nach dem Ende des ‘Systems Wojtyla’ besenrein an die nächste Generation übergeben - ein subjektiv löbliches Ansinnen. Hoffen wir, der Hammer Gottes geht auf die Richtigen nieder - auf die klandestinen simonitischen Kreise innerhalb der Kirche und des Vatikans, auf die klerikalen sexuellen Belästiger, die scheinheiligen Kinderschänder. Was seinen Papstnamen angeht, zitieren wir am besten das Neue Deutschland - über allen Verdacht erhaben, am Papstkult mitstricken zu wollen: “Eine weitere Überraschung bot der frisch gekürte Pontifex mit der Wahl seines Namens. So nennt er sich fortan nicht Pius XIII, was mit Blick auf die konservativen Papstschaften von Pius IX… Pius X… und Pius XII… durchaus nahe gelegen hätte…. (Der Name erinnere an den Heiligen Benedikt, schreibt ND, daneben aber auch an den letzten Papst Benedikt) Benedikt XV (1914 - 1922). Dabei dürfte Ratzinger vermutlich weniger dessen zwar ehrenvolle, aber erfolglose Bemühungen bei der Vermittlung zwischen den Kriegsparteien im Blick gehabt haben. Eher wohl die innerkirchliche Politik des Italieners, der die von seinem Vorgänger Pius X betriebene Jagd auf so genannte Modernisierer stoppte, begrenzte theologische Debatten zuließ sowie das kirchliche Strafinstrumentarium zurückhaltender einsetzte… Vielleicht will Benedikt XVI bei Antritt seiner voraussichtlich überschaubaren Amtszeit signalisieren, dass die von treuen Anhängern in Kurie und Weltkirche geschätzte harte Linie an der einen oder anderen Stelle aufweichen könnte. Es ist also durchaus eine Auseinandersetzung zwischen Benedikt XVI und Joseph Ratzinger zu erwarten. Und diese könnte weitaus spannender sein als jene zwischen Traditionalisten und Reformern” 1 . Sehe ich genauso. Europa ist, wie gesagt, der Wurmfortsatz am Leib der Weltkirche. Aber natürlich kann man auch an einer Blinddarmentzündung sterben. Europa sollte sich daher möglichst raushalten - aus der Herausformung dieser Neuen Kirche, einer katholisch-religionsökumenischen Kirche des globalen Südens, einer Kirche, die uns hier im kalten Norden schon jetzt durch ihre Kraft und Vitalität empowert und kräftig einheizt. Vielleicht ist Ratzingers kurzes Bestandswahrungs-Pontifikat die harte Schale, in der diese Neue Kirche, gegen alle Widerstände, vollends heranreift - bis die zarte Kreatur ihre Schale zerbricht und machtvoll ausschlüpft. Bis dahin soll er es sich gut gehen lassen, unser Münchner Erzbischof im Himmel. Lujah, sag i! Anmerkungen: 1 ‘Päpstlicher als der Papst’, Ingolf Bossenz, ND vom 21. April 2005 2 Z.B. die Drewermann-Bücher ‘Wenn der Himmel die Erde berührt’ oder ‘Wozu Religion?’ 3 In Korinther 14,34/35 schreibt Paulus: “… sollen die Frauen in den Versammlungen schweigen; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz es sagt. Wollen sie aber Auskunft über etwas, so mögen sie zu Hause ihre Männer fragen; denn es steht der Frau nicht gut an, in der Versammlung zu reden”. 4 Solwodi (Solidarität mit Frauen in Not) www.solwodi.de 5 siehe den ZNet-Artikel zum Tode von Phil Berrigan: www.zmag.de (siehe zahlreiche Texte auf der Lebenshaus-WebSite >> Berrigan, Daniel und Philip ) Quelle: ZNet Deutschland vom 22.04.2005. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|