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Praktisches Gedenken auf deutschen Bahnhöfen

Mit Veranstaltungen in mehreren deutschen Städten werden die Proteste gegen das Nachfolgeunternehmen der “Deutschen Reichsbahn” (Deutsche Bahn AG) ausgeweitet. Die Bahn AG weigert sich, Fotos und Briefe von über 11.000 aus Frankreich deportierten Kindern auf den deutschen Publikumsbahnhöfen zu zeigen. Die Deportierten, darunter 520 deutsche und etwa 100 österreichische Kinder, waren zwischen 1942 und 1944 auf dem Schienennetz der “Reichsbahn” nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet worden. Das Schicksal der Deportierten sowie die Verbannung ihrer Bilder von den deutschen Bahnhöfen wird Gegenstand prominenter Meetings am 4. Mai (in Freiburg), am 8. Mai (in Frankfurt am Main), am 10. Juni (in Halle) und am 17. Juni (erneut in Frankfurt) sein. Die Initiatoren rufen im Mai und Juni zu massiven Protesten auf, “die auch in anderen deutschen Publikumsbahnhöfen an die 11.000 Kinder erinnern werden”.

Auftakt der Veranstaltungsserie war eine Demonstration in Weimar, die am vergangenen Montag vom Theaterplatz zum Hauptbahnhof führte. Dort wurde eine lokale Unterschriftenliste übergeben, die den Bahnvorstand zur Freigabe des Weimarer Bahnareals auffordert, um im Publikumsbereich eine Ausstellung über den letzten Weg der Deportierten zeigen zu können. 1 Über die Weimarer Gleisanlagen der “Reichsbahn” waren am 19. und 20. August 1944 etwa 51 Deportierte in das KZ Buchenwald geschleust worden. Von ihnen überlebten 35 deutsche und nur 4 französische Häftlinge, heißt es in einer statistischen Übersicht der Pariser Organisation “Fils et Filles des Deportes Juifs de France” (Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten Frankreichs). In jahrelanger Kleinarbeit ist es der Organisation gelungen, den Schienenweg der 11.000 Kinder und weiterer 61.000 erwachsener Häftlinge nachzuzeichnen. 2

Billiger

Die Ausstellung ist in den vergangenen Jahren durch 18 französische Bahnhöfe gewandert und war zuletzt auf dem Pariser Gare du Nord im Beisein des Präsidenten der französischen Staatsbahnen (SNCF) eröffnet worden. Eine Übernahme lehnte der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Hartmut Mehdorn, im Januar 2005 ausdrücklich ab; dafür habe die Bahn AG kein Geld. Auch sei der erforderliche Aufwand nicht zumutbar. Billiger wäre es, die Bilder der Kinder in einem Nürnberger Bahnmuseum unterzubringen, heißt es in mehreren Schreiben, die der Redaktion von Informationen zur Deutschen Außenpolitik vorliegen. 3 Gegen den Versuch, die Fotos und Dokumente der ermordeten Kinder aus den deutschen Publikumsbahnhöfen zu verbannen, protestierten am 27. Januar, dem Auschwitz-Gedenktag, Demonstranten in Dresden, Leipzig, Hamburg, Wuppertal und Frankfurt am Main. 4 Über die Gleisanlagen dieser Städte waren Häftlinge aus zahlreichen Nationen in den Tod geschickt worden.

Marion

In Halle und Freiburg ist es den lokalen Initiativen gelungen, das Schicksal einzelner Kinder und ihrer Familien zu rekonstruieren. In Freiburg, wo am 4. Mai eine Gedenkveranstaltung stattfinden wird (_”Mit der Reichsbahn in den Tod”_), soll an Marion Abraham erinnert werden. Nach ihrer Flucht aus Deutschland wurde die 17-jährige in Frankreich verhaftet und 1942 auf dem Schienenweg nach Auschwitz deportiert. Weder sie noch ihre 14 Familienmitglieder kehrten zurück. Zu dem Freiburger Meeting rufen u.a. mehrere Gewerkschaften (DGB, GEW), das iz3W (Informationszentrum Dritte Welt), die Humanistische Union sowie die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN/BdA) auf.

Walter

Die Initiatoren in Halle (darunter die Gewerkschaft IG Metall) widmen ihre Arbeit Walter Wartenberg, einem 14jährigen deutschen Jungen, der aus dem französischen Exil von Drancy (bei Paris) mit der “Deutschen Reichsbahn” nach Auschwitz kam. Bevor Walter dort den Tod fand, sah er ein letztes Mal seine Heimatstadt - aus den Luftschlitzen der Viehwaggons, die über das Schienennetz von Halle weiter nach Leipzig und Dresden fuhren. Einzelheiten versucht die Hallenser Initiative durch Archivrecherchen zu belegen. Ein Suchaufruf erschien am vergangenen Montag in der “Mitteldeutschen Zeitung”. 5 Um Walter Wartenberg und aller anderen Kinder zu gedenken, lädt die Hallenser Initiative zu einer Veranstaltung am 10. Juni ein. Gast wird Beate Klarsfeld sein, die “Fils et Filles des Deportes Juifs de France” (FFDJF) vertritt.

Bundesweit

Für den 17. Juni rufen die Initiatoren des “Offenen Briefes” an die Deutsche Bahn AG 6 zu einem zentralen Meeting in Frankfurt am Main auf. Unter den Deportierten waren etwa 60 Kinder, die aus ihrer Heimatstadt Frankfurt zwar nach Frankreich fliehen konnten, aber kurz darauf von den vorrückenden deutschen Truppen eingeholt wurden. Bevor sie das Schicksal der 11.000 teilten, führte ihr letzter Weg über die Gleisanlagen der hessischen Metropole, in der sich heute zahlreiche Verwaltungsstrukturen der Bahn AG befinden. Wie die Initiatoren der zentralen Veranstaltung mitteilen, hoffen sie für die Veranstaltung am 17. Juni auf Unterstützung aus der Bahngewerkschaft “Transnet”, aber laden ebenso Einzelpersonen, christliche Organisationen sowie antifaschistische Initiativen zu den Protesten ein. “Die bundesweiten Veranstaltungen und das praktische Gedenken auch kleiner Gruppen werden dem Unternehmensvorstand der Deutschen Bahn AG verdeutlichen, daß er die Erinnerung an die 11.000 Kinder und an die Verbrechen des Vorgängerunternehmens von den Reisenden nicht fernhalten kann - weder in Frankfurt, noch in Hamburg, München oder Leipzig”, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber der Redaktion von Informationen zur Deutschen Außenpolitik.

Kontakt Freiburg: elftausendkinder@web.de
Kontakt Halle: homepage@ludwigstrasse37.de
Kontakt Frankfurt a.M.: elftausendkinder@web.de

Anmerkungen:

1 Siehe dazu Aufwand nicht zumutbar

2 Serge Klarsfeld: Le Memorial des enfants juifs deportes de France, Paris 2004

3 Schreiben vom 17.12.2004, vom 04.03.2005 u.a.

4 Siehe dazu die Sonderseite bei Informationen zur Deutschen Außenpolitik

5 Klarsfeld-Ausstellung nach Halle? Juden ermordet; Mitteldeutsche Zeitung 11.04.2005

6 Siehe dazu Offener Brief

Quelle: Informationen zur Deutschen Außenpolitik vom 14.04.2005.

Veröffentlicht am

14. April 2005

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